Deutscher Einigungsversuch könnte scheitern:Polen will Reform der EU blockieren

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Die deutschen Bemühungen, doch eine EU-Verfassung zustande zu bringen, könnten an Polen scheitern. Ministerpräsident Kaczynski kündigte an, er werde sein Veto einlegen, wenn sein Land nicht mehr Einfluss bekomme: "Es ist wert, dafür zu sterben."

Martin Winter und Thomas Urban

Zehn Tage vor dem europäischen Gipfel am 21. Juni und nach fünf Monaten Verhandlungen zwischen den 27 Mitgliedsländern, kündigte der polnische Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski ein Veto für den Fall an, dass auf dem Gipfel politische Beschlüsse über die wichtigsten Elemente einer Vertragsreform gefällt werden sollten.

Damit stellt sich Warschau gegen die große Mehrheit der Länder, die der EU zwei Jahre nach den gescheiterten Volksabstimmungen über den Verfassungsvertrag noch in diesem Jahr eine abgespeckte Vertragsreform verordnen will. Die ist notwendig, um die EU nach ihrer großen Erweiterung im Jahre 2004 - unter anderem um Polen - handlungsfähig zu halten.

Obwohl seit mehreren Jahren über die Reform diskutiert wird, sagte der polnische Regierungschef Jaroslaw Kaczynski am Montag nach einem Treffen mit dem österreichischen Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, sein Land sei "nicht dafür, dass wichtige Fragen zur Zukunft Europas innerhalb weniger Tage geregelt werden".

Sollten die anderen auf dem Gipfel auf eine Entscheidung drängen, "dann wird es keine Entscheidung geben", sagte er und kündigte damit ein polnisches Veto an.

Hohe Diplomaten bewerten diese Drohung als einen Versuch, die Partnerländer dazu zu zwingen, der polnischen Forderung nach mehr Gewicht für mittelgroße Länder bei Mehrheitsabstimmungen nachzugeben. Warschau fordert seit langem unter dem Stichwort "Quadratwurzel" eine Änderung des vorgesehenen Abstimmungsverfahrens in der EU.

Das sieht vor, dass es für Beschlüsse der Zustimmung von mindestens 55 Prozent der Staaten bedarf, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Polen behauptet, dass damit die kleinen und mittleren Länder benachteiligt würden und beharrt deswegen auf einem anderen Verfahren: Das Gewicht jedes Landes soll berechnet werden, indem man die Quadratwurzel der Einwohner nimmt und durch die Landesfläche teilt.

Dadurch soll das Gewicht Polen angeblich von heute 6,2 Prozent auf acht Prozent steigen und das Deutschlands von 17,2 auf 9,1 Prozent sinken.

Außer Polen und, wie Diplomaten berichten, "etwas halbherzig" Tschechien, ist niemand in der EU an einer Änderung des Abstimmungsmodus interessiert. Der Brite Tony Blair und andere Regierungschefs haben sogar ausdrücklich davor gewarnt, den im Verfassungskonvent 2003 mühselig gefundenen Kompromiss über die institutionellen Regeln wieder aufzuschnüren.

Wenn das Polen zuliebe geschehe, dann würden auch andere Wünsche anmelden und eine Vertragsreform würde in weite Ferne rücken.

"Vollkommen unkalkulierbar"

Die polnischen Drohungen werden in den anderen EU-Hauptstädten so ernst genommen, dass nach Gusenbauer in dieser Woche auch der Spanier José Luis Zapatero und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy nach Warschau reisen, um die Regierung von ihrem Kollisionskurs abzubringen.

Vor allem Paris ist an einer schnellen Lösung der Vertragsprobleme interessiert. Über die Erfolgsaussichten dieser Missionen machen europäische Diplomaten inzwischen aber keine Vorhersagen mehr. Regierungschef Jaroslaw Kaczynski und sein Bruder Lech, der Staatspräsident, gelten bei ihnen inzwischen als politisch "vollkommen unkalkulierbar".

Komplizierter wird die Lage noch dadurch, dass der polnische Präsident inzwischen die von seinem Zwillingsbruder Jaroslaw gebrauchte Formel bekräftigte: "Es ist wert, für die Quadratwurzel zu sterben."

Polens Regierungschef wird am Samstag zu Gesprächen in Berlin erwartet. Bundeskanzlerin Angela Merkel will dabei Möglichkeiten ausloten, wie es am 21.Juni doch noch zu einer Entscheidung kommen kann, ohne dass irgendjemand sein Gesicht verliert.

© SZ vom 12.06.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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