Deutsche Europapolitik:Gefordert und fordernd

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Die Erwartungen an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft sind hoch - der Ehrgeiz der Kanzlerin auch. Dabei wäre schon viel gewonnen, wenn sie den Verfassungszug wieder aufs Gleis setzen könnte.

Bernd Oswald

Es gibt hohe Erwartungen an die deutsche Ratspräsidentschaft. Das sagt kein Geringerer als EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso, nimmt aber im nächsten Satz Druck von der Bundesregierung: Es sei nicht fair, wenn die ganze Last der Verantwortung auf Deutschland gelegt werde.

Den größten Teil der Last bildet die EU-Verfassung. Seit die Niederländer und Franzosen sie 2005 in Volksabstimmungen abgelehnt haben, ist so gut wie sicher, dass das Konvolut - zumindest in dieser Form - nicht kommen wird. Obwohl schon knapp zwei Drittel der Mitgliedstaaten die Verfasssung ratifiziert haben, ist seit Sommer 2005 so gut wie nichts mehr passiert. Dabei benötigt die EU dringendst einen neuen (Verfassungs-)Vertrag, um handlungsfähiger und transparenter zu werden. Nun ist es also an Deutschland, die Diskussion wiederzubeleben.

Neue Verfassung bis zur Europawahl 2009

Kanzlerin Merkel hat sich vorgenommen, eine Einigung herbeizuführen. Sie sagt, dass "wir eine Verfassung brauchen" und zwar eine, die gegenüber dem aktuellen Entwurf nicht allzu sehr abgespeckt wird: "Es muss ein Gebilde sein, das das Wort Verfassungsvertrag verdient", so Merkel. Die neue Version soll der Kanzlerin zufolge vor der nächsten Europawahl im Juni 2009 in trockenen Tüchern sein. Sie ist sich bewusst, dass die neuen Verhandlungen nicht bis zum Ende der deutschen Präsidentschaft am 1. Juli 2007 abgeschlossen sein werden. Aber zumindest einen neuen Zeitplan, eine Road-Map, wie es weitergeht, will die Bundesregierung aufstellen.

Mit Deutschland übernimmt am 1. Januar ein Land die Ratspräsidentschaft, das zu den entschiedendsten Befürwortern der Verfassung zählt. Das ist gut und wird der Diskussion neuen Schwung verleihen. Einen neuen Zeitplan aufzustellen, ist ein realistisches Ziel und sollte machbar sein. "Die Bundesregierung sollte darauf achten, dass die Diskussion um die Verfassung nicht ganz von vorne losgeht, sondern nur ein wenig zurückgedreht wird", sagt Roman Maruhn vom Centrum für angewandte Politikforschung in München.

Da sich die Bundesrepublik in der Vermittlerrolle befindet, wird sie inhaltlich wenige Vorstöße machen und eher darauf achten, dass der Verfassungsentwurf nicht zuviel an Substanz verliert. Vor allem die Kernpunkte europäischer Außenminister, ständiger Präsident des Europäischen Rates, verkleinerte Kommission, wird Deutschland verteidigen.

In den letzten Monaten ist die Energiepolitik zu einem Aufreger-Thema geworden. Die Bundesregierung will die Vollendung des Binnenmarktes für Strom und Gas zum 1. Juli 2007 erreichen. Der deutsche EU-Vorsitz werde sich "für die vollständige Öffnung der Märkte für Strom und Erdgas" einsetzen, heißt es in einem Entwurf für das deutsche EU-Arbeitsprogramm.

Auf dem Energiegipfel im Kanzleramt sagte Außenminister Steinmeier: "Ohne funktionierenden Binnenmarkt gibt es auch keinen fairen Wettbewerb in Europa und auch keine Übernahme Eon - Endesa".

Einsatz für erneuerbare Energien

Ein vollendeter Binnenmarkt würde aus Sicht des Verbrauchers heißen: die Auswahl aus einem gesamteuropäischen Energieangebot, günstigere Strom- und Gastarife auch Dank liberalisierter Netzdurchleitungspreise. Das alles bis zum 1. Juli 2007 zu erreichen, sei ein "sehr hohes Ziel", sagt Politikwissenschaftler Maruhn. "Das wird nicht so schnell gehen, das wird ein Prozess bleiben."

Neben der Liberalisierung bereitet die Versorgungssicherheit der Bundesregierung Kopfzerbrechen. Um unabhängiger vom teuren Gas und Öl zu werden, wird sich Deutschland auch in Brüssel für klare Zielvorgaben bei erneuerbaren Energien einsetzen. Beim EU-Gipfel in Berlin im März wird das Energie-Konzept im Mittelpunkt stehen. Allerdings wird es hier um die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Mitgliedsländern gehen, da die Europäische Union über keine eigene Energie-Kompetenz verfügt. Angesichts der zum Teil völlig unterschiedlichen Ansichten über die künftige Rolle der Atomenergie ist das aber auch besser so.

Das genaue Programm der deutschen EU-Präsidentschaft beschließt das Bundeskabinett erst noch. Es wird erwartet, dass die Wirtschafts- und Sozialpolitik einen weiteren Schwerpunkt bildet. Im Endeffekt werden aber fast alle Themen unter dem Aspekt zu sehen sein, wie sie Verhandlungen um die EU-Verfassung am besten befördern.

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