Deutsche Außenpolitik:Europa darf Russland und China nicht verprellen

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Auch die deutsche Außenpolitik muss sich auf eine multipolare Welt einstellen. Wie dies geht, ist eine große öffentliche Debatte wert, in der die Argumente gewogen werden.

Erhard Eppler

Wer sich an die leidenschaftlichen Bundestagsdebatten über die Außenpolitik erinnert, die einmal die Republik aufgewühlt haben, wundert sich manchmal darüber, dass sich heute nur noch Fachleute und Parteitaktiker für die Scharmützel interessieren, die zwischen Kanzleramt und Auswärtigem Amt ausgetragen werden.

Erhard Eppler: Der ehemalige Bundesminister wünscht sich eine große öffentliche Debatte zur Deutschen Außenpolitik. (Foto: Foto: AP)

Sicher: Es geht nicht mehr um militärische Westbindung contra Wiedervereinigung, nicht mehr um die deutsch-polnische Grenze. Aber es könnte ja sein, dass wir eines Tages aufwachen und feststellen: Da sind irgendwann von irgendwem Weichen umgestellt worden, ohne dass wir es gemerkt haben.

Koalitionspartner können sich keine furiosen Redeschlachten leisten. Und die Opposition? Vielleicht sehen es die drei kleineren Parteien ganz gern, wenn es in der Koalition knistert. Warum stören? Und wo ist in diesen drei Parteien der Außenpolitiker, der eine Grundsatzdebatte lostreten könnte?

Keine Debatte in den Medien

Bleiben die Medien. Sie stehen schon deshalb meist auf der Seite der Kanzlerin, weil diese nur allzu genau weiß, was die Mehrheit der Medien hören und sehen will. Also findet auch dort praktisch keine Debatte statt. Für die Talkshows ist das Thema nicht attraktiv - glücklicherweise, denn da passt es auch nicht hin.

So bleibt es dabei, dass die Kanzlerin - in der Bild-Zeitung! - erklärt, sie entscheide selbst, wen sie wann und wo empfange. Bravo! Jemand, der sich von Chinesen nicht einschüchtern lässt! Eine Kanzlerin, die nicht, wie Helmut Kohl, mit Duzfreund Boris in die Sauna geht oder, wie Gerhard Schröder, mit Duzfreund Wladimir im Pferdeschlitten plaudert.

Endlich jemand, der Tacheles redet und anderen klarmacht, was Menschenrechte sind. Da verhallt die Mahnung des Uraltkanzlers Helmut Schmidt, deutsche Regierungen sollten anderen besser keine Ratschläge oder gar Zensuren geben.

Vielleicht hat Helmut Schmidt als altmodischer Mensch noch den Eid in Erinnerung, den er als Bundeskanzler dreimal abzulegen hatte. Er hat nicht geschworen, für die einzig richtige Demokratie in Russland zu sorgen, auch nicht, zu empfangen, wen er will, sondern den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren, Schaden von ihm zu wenden.

Benedikt XVI. hat den Dalai Lama ausgeladen. Ist er nun ein Feigling oder wollte er Schaden von der Kiche abwenden? Sicher, unsere Verantwortung endet nicht an den Grenzen der Republik. Wo Menschen leiden, geht uns das sehr wohl an. Und die Deutschen helfen ja auch. Ihre Republik hat dafür ein eigenes Ministerium.

Hilft es, den Dalai Lama zu empfangen?

Und wo die Not zum Himmel schreit, können die Deutschen sogar großzügig spenden. Sie sorgen mit ihren Soldaten dafür, dass Kosovaren und Serben sich nicht gegenseitig umbringen. Das alles ist gut so.

Aber wem hilft es, wenn Frau Merkel den Dalai Lama empfängt? Den Tibetern? Den Oppositionellen in China? Den bettelarmen Chinesen, die für Hungerlöhne das chinesische Wirtschaftswunder schaffen? Und wem hilft es, wenn die Kanzlerin öffentlich die - unübersehbaren - Defizite der russischen Demokratie beklagt? Der dortigen Opposition, in der jeder sein eigenes Süppchen kochen will? Oder wird da nicht der Stolz auf Mütterchen Russland verletzt, den Putin seinen Landsleuten wiedergegeben hat?

Was das Gefühl der Demütigung in einem Volk auslösen kann, hat die Geschichte gezeigt. Ohne dieses Gefühl der Demütigung durch Versailles hätte es zwar Hitler, aber keinen Kanzler Hitler gegeben.

Den Zerfall der Sowjetunion haben die meisten Russen als Demütigung empfunden. Sie haben keinen Hitler gewählt, sondern Wladimir Putin. Und sie werden ihn wieder wählen, weil er den Staatszerfall gestoppt, das Chaos gebändigt, ein Mindestmaß an öffentlicher Ordnung hergestellt und damit den wirtschaftlichen Aufbau möglich gemacht hat.

Auch, weil er manchen, die beim Umbau von Staatswirtschaft in Privatwirtschaft plötzlich Milliardäre geworden waren, ihre Beute wieder abnahm. Putin hat verzweifelten Russen wieder Hoffnung gegeben. Dass es nicht die Hoffnung auf eine perfekte Demokratie ist, bedauern wir alle.

Aber von wem hätten die Russen Demokratie lernen sollen? Von uns? Wir haben selbst ziemlich lange dazu gebraucht. Und unsere Lernschwierigkeiten haben von 1941 bis '45 mehr als 20 Millionen Sowjetbürger mit dem Leben bezahlt.

Putin hat Alternativen

Hitlers Vernichtungskrieg hat auch mitbewirkt, dass die meisten Russen bis heute andere Sorgen haben als eine lupenreine Demokratie. Verglichen mit Stalins Säuberungen und Hitlers Rassenwahn ist Putins gelenkte Demokratie höchst human. Putin möchte, wie er sagt, sein Land als gleichberechtigten Partner Europas sehen. Aber wenn die Europäer darauf nicht scharf sind, hat er Alternativen.

Russland ist auch eine asiatische Macht. Es biedert sich nicht an. Und ein Präsident, der immer wieder als mutmaßlicher Mörder gehandelt wird, auch nicht. Aber für meine Enkel ist es ein Unterschied, ob sich Russland an China oder an die EU anlehnt.

Niemand weiß, was aus den Vereinigten Staaten wird, aus ihrer Wirtschaft, aus dem Dollar, aus ihrer Außenpolitik. Sicher ist nur, dass sie keine moralische Weltmacht mehr sind. Sicher ist auch, dass die übrige Welt sich nicht mit dem abfinden wird, was Neokonservative für eine pax americana halten.

Die Amerikaner werden die Welt nicht regieren. Der Globus wird mehrere Pole haben. Einer davon wird China sein, ein anderer Russland. Beide werden es sein, ob sie unserer Vorstellung von Demokratie entsprechen oder nicht. Ob es einen Pol Europa geben wird, ist leider noch nicht sicher. Wenn die Europäer sich dazu durchringen, braucht Europa ein gedeihliches Verhältnis zu Russland und zu China. Schaffen sie es nicht, brauchen es die Deutschen noch sehr viel mehr.

Wirtschaftliche Macht wird wichtiger

Mag sein, dass die militärische Dominanz der USA noch manches zudeckt. Sie dürfte in absehbarer Zeit ein Ende haben. Weil militärische Überlegenheit an Bedeutung verliert. Im Irak weiß der militärisch haushoch überlegene Sieger nicht, wie er sich ohne Gesichtsverlust aus dem Staube machen kann.

Das letzte Wort hat künftig nicht die Armee des Siegers, sondern die entstaatlichte Gewalt im Lande des Besiegten. Aber dann verliert militärische Drohung an Gewicht. Wirtschaftliche Macht, auch politische Vertrauenswürdigkeit werden wichtiger.

Verantwortliche Außenpolitik muss sich auf die multipolare Welt vorbereiten. Wie dies geht, ist eine große öffentliche Debatte wert, in der die Argumente gewogen werden. Dazu müssen sie erst einmal ausgesprochen, erläutert, mit Gegenargumenten konfrontiert werden.

Erhard Eppler, 80, war von 1968 bis 1974 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Der engagierte evangelische Christ überarbeitete zuletzt das neue Grundsatzprogramm der SPD.

© SZ vom 28.11.2007/ckn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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