Deutsch-Türken der dritten Generation:Unter Wölfen

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Sie rappen nationalistische Lieder, hassen die PKK und lieben eine ferne, fremde Heimat - Einwandererkinder und ihr neu entdecktes Türkentum.

Marc Felix Serrao

Die grauen Fliesen vor dem Mietshaus neben der Trinkhalle sehen aus, als hätte sie jemand mit der Zahnbürste geschrubbt, da liegt kein Krümel mehr. Auch das Gras ist frisch getrimmt. Aus den Blumenkästen quellen violett-pinke Geranienbüschel. Gleich neben dem Eingang hängt ein Putzplan, der offenbar streng befolgt wird. Das Treppenhaus glänzt wie in einer Putzmittelwerbung und riecht nach chemischer Zitrone. Willkommen in Deutschland.

"Guck mich an, ich bin anders": Der Rapper Osun Baba vorm Bild seines Idols Atatürk (Foto: Foto: Serao)

Im ersten Stock rechts lebt Oguzhan E. mit Mutter und Schwester. Der 26-jährige, arbeitslose Schweißer ist allein zu Hause, die Frauen sind bei der Arbeit. Zurzeit mache er ein Praktikum, erzählt er: Kfz-Versicherungen verkaufen. Es klingt mäßig begeistert. Lieber spricht er über seine Musik. In "L-Town", wie er Langenfeld nennt, kennt man Oguzhan nur als Osun Baba. Seine Musik ist anders als die in den Charts, wo es nur ums Kiffen und Sex geht, um das Leben als harter Kerl und den beef, wie man Streit unter Rappern nennt, mit anderen harten Kerlen. Bei Baba geht es um mehr: "Türkiye! Für mein Volk, voller Ehre, voller Stolz. Trag die Fahne durch die Welt, Halbmond im Blut vom Volk." Unter dem genuschelten Sprechgesang wummert der Bass.

Osun Baba ist ein Bozkurt, ein "Grauer Wolf". So nennen sich die rechten türkischen Nationalisten (es gibt auch linke). Der Sage nach führte eine Wölfin die türkischen Stämme aus dem zentralasiatischen Gebirge in die Freiheit. Verfassungsschützer schätzen, dass in Deutschland 7500 organisierte Graue Wölfe leben. Das ist nicht viel, bei 2,5 Millionen türkischstämmigen Migranten. In Sicherheitskreisen gelten sie im Vergleich zu PKK und Islamisten als relativ harmlos, auch weil sie öffentlich kaum noch auftreten. Das aber könnte sich bald ändern. Denn während sich die Alten bieder geben, basteln sich immer mehr türkische Jugendliche aus der Bozkurt-Legende ihr ganz eigenes Weltbild. Darin sind sie Teil eines auserwählten Volkes, das größer und besser ist als alle anderen. Und plötzlich sind die Wolfszeichen von früher wieder da, auf der Straße und im Internet.

Die Haare sind sorgfältig gegelt, die Bartkanten millimetergenau abrasiert. Unter dem T-Shirt wölben sich dicke Brustmuskeln. Osun Baba, das sieht man, achtet sehr auf sein Äußeres. "Lieder fürs Land" nennt der 110-Kilo-Mann seine ultrapatriotische Musik. Einen Vertrag hat er nicht. Für 1,99 Euro gibt es das Album mit 14 Liedern bei MySpace. Um zu wissen, wo sich der Rapper zu Hause fühlt, reicht ein Blick in sein zehn Quadratmeter großes Zimmer. Zwischen Postern von Muhammad Ali und "Scarface" hängen blutrote Fahnen an der Wand, eine mit einem heulenden Wolf, eine andere mit drei Halbmonden darauf - dem Symbol der "Partei der Nationalistischen Bewegung", MHP. Das ist der politische Arm der Grauen Wölfe.

Alles unter Kontrolle?

Früher, in den wilden siebziger und achtziger Jahren, als die MHP noch offen faschistisch war, verbreitete ihr Kürzel Angst und Schrecken. Auch in Deutschland prügelten Graue Wölfe auf linke Türken und kurdische Aktivisten ein, wenn die ihre Flugblätter verteilen wollten. Heute geben sich die 70 Abgeordneten der MHP in Ankara stramm nationalkonservativ, aber gesetzestreu. Genau wie der Ableger im Ausland, die "Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Europa" (ADÜTDF). Deren Führung wirke "mäßigend" auf die Mitglieder ein, schrieb der Berliner Verfassungsschutz noch vor einem halben Jahr. Mit einer Einschränkung: "Es ist zweifelhaft, ob eine umfassende Kontrolle der Anhängerschaft tatsächlich gewährleistet ist."

Was das heißt, hatte sich wenige Wochen zuvor gezeigt. Da war das türkische Militär ins nordirakische Kurdengebiet einmarschiert. Obwohl die ADÜTDF ihre Leute mahnte, friedlich zu bleiben, lieferten sich Türken und Kurden in mehreren deutschen Städten Massenschlägereien. Viele junge Türken hängten sich dabei die Fahnen der Grauen Wölfe um und machten deren Zeichen: Kuppen von Daumen, Mittel- und Ringfinger zusammenpressen und Zeigefinger und kleinen Finger abspreizen. Wie ein Wolfskopf.

Zurzeit ist die Lage in der Türkei wieder angespannt. Zwar wurde das Verbot der Regierungspartei AKP verhindert. Doch es wird gestritten, wer hinter den Bombenanschlägen mit 17 Toten und 150 Verletzten steckt. Die Regierung beschuldigt die PKK, die PKK den "tiefen Staat". Das ultranationalistische Netzwerk aus Militär, Justiz und rechten Intellektuellen steht wegen vermeintlicher Putschpläne am Pranger. Dutzende mutmaßliche Mitglieder, unter ihnen Ex-Generäle, sitzen in Untersuchungshaft. Was passiert, wenn sie verurteilt werden, weiß keiner.

Zugleich heizen auch die deutsch-türkischen Jungwölfe die Stimmung an, zum Beispiel bei YouTube. Das erste Bild wirkt noch harmlos: türkische Soldaten in Reih und Glied, dahinter eine riesige Halbmondfahne. "Dieser Rap geht an die ganzen Kurden...", beginnt der Text. Danach schimpft ein junger Sänger zu Bildern von Wolfsköpfen, Waffen und dem geknebelten früheren PKK-Chef Abdullah Öcalan auf "schwule Bergkurden" und ihr "stinkendes Kurdenblut". Das Video, von dessen Machart es Hunderte gibt, heißt "Bozkurt Rap" und wurde schon jetzt fast 60000 Mal angeklickt. Die meisten Kommentare sind auf dem Niveau des Liedes selbst.

Osun Baba grinst, als er das hört: "Kinder. Kannste doch nicht ernst nehmen!" Dass seine Musik die Kinder aufgeheizt haben könnte, glaubt er nicht. Dabei dürfte seine Biographie typisch sein für viele Einwanderer der "dritten Generation", die sich in Deutschland nicht integrieren können und sich deshalb auf ihr "Türkentum" besinnen.

Wände voller Fahnen

Drei Stunden und eine halbe Packung Zigaretten lang versucht der 26-Jährige zu erklären, weshalb er hier, wo er geboren ist, nicht zu Hause ist. Nach dem Kindergarten schicken ihn die Eltern zu Verwandten in die Türkei, fünf Jahre bleibt er dort. Warum so lange, weiß er nicht, "finanzielle Probleme oder so". In der deutschen Schule kommt er danach kaum noch mit. Nach Hauptschule und Schweißerlehre wird er arbeitslos. Vor zwei Jahren geht der Vater zurück in die Türkei. Glücksspiel. "Der hat alles verzockt, was er sich in 20 Jahren aufgebaut hat", sagt der Sohn. Die beiden haben keinen Kontakt mehr. Osun Baba muss einmal im halben Jahr seinen Pass einschicken, um die Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern.

Aber es gibt auch andere Fälle, wie den von Mehmet Cetin. Der 23-jährige Türke, geboren und wohnhaft in Berlin-Kreuzberg, wirkt wie die personifizierte Antithese zum Klischee des desintegrierten Ausländers. Ein höflicher junger Mann, der Medieninformatik studiert und perfekt Deutsch spricht. Wenn Cetin von seinem Verein erzählt, vom Nachhilfeunterricht, von Musik und Tanz und dem eigenen Fußballklub mit vier Herren- und 15 Jugendmannschaften, dann klingt es mehr nach Wellness als nach Wolfsrudel. Man muss genau hinhören, um zu merken, dass der junge Sprecher der Grauen Wölfe politisch sehr radikal denkt.

An der Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg, direkt unter der Kampfsportschule Yayla, sind sie zu Hause. "Türk. Verein" steht an der Klingel. Drinnen gibt es Billardtische, Dartscheiben und eine Tee-Theke. An den Wänden hängen wieder rote Fahnen, die mit dem Wolf und die mit den drei Monden. "Klar bin ich Nationalist", sagt Mehmet Cetin beim Tee. Aber bitte, das habe nichts mit Faschismus zu tun. "Nationalismus heißt bei uns: Liebe zum Vaterland. Jeder Türke liebt sein Land." Deutschland sei nicht seine Heimat, denn "dieser Staat verlangt von uns Assimilation, tut aber nichts für unsere Integration." Zur politischen Krise in der Türkei will sich der junge Kreuzberger erst nicht äußern, tut es dann aber doch kurz. Den "tiefen Staat", das Netzwerk der Ultranationalisten, bezeichnet Cetin als "wichtiges Organ". Er überlegt kurz, dann sagt er: "Den gibt es in jedem stabilen Staat, auch in Deutschland."

Auch Osun Baba glaubt an den Staat, zumindest an den türkischen, den er kaum kennt. Ob er sich nicht ein wenig deutsch fühle, nach so vielen Jahren? Der Rapper hält sich die Hände vors Gesicht, wie einen Spiegel: "Guck mich an, Mann. Ich bin anders." Für Ausländer gebe es hier "genau so ein Kastensystem wie in Indien". Wer die Sprache beherrsche und einen Job habe, integriere sich auch. Die anderen "leben von Tag zu Tag, immer mit der Angst um Arbeit, immer mit Behördenstress". Wenn all der Mist nicht wäre, würde er Deutschland lieben, sagt Osun Baba, "mindestens fifty-fifty".

© SZ vom 06.08.08/vb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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