Der Wechsel an der Spitze der SPD:Notoperation am eigenen Leib

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An diesem frühen Freitagnachmittag sitzt das ganze politische Berlin vor dem Fernseher. Schröder wirft hin, Münte übernimmt. Das ganze politische Berlin?

Von Kurt Kister und Nico Fried

Nein, Joschka Fischer und Rezzo Schlauch sitzen in einer Kneipe am Reichstagsufer. Fischer, Vizekanzler, muss gleich nochmal zu Schröder, bevor er nach München zur Sicherheitstagung fliegt.

Erfahren hat Fischer von der Chose am Freitagmorgen, Schröder hat es ihm gesagt.

Bevor er nun zum zweiten Mal an diesem Tag mit Schröder spricht, will der stets interessierte Minister noch schnell wissen, wie sich die Operation Parteivorsitz wohl Samstagmorgen in den Zeitungen niederschlagen wird.

Man zählt es ihm, in die Kneipe gerufen, auf:

Müntefering ist gut für die SPD; Schröder wollte unbedingt was machen, ohne das Kabinett gleich umzubilden, weil er nie oder jedenfalls nicht gleich Sachen macht, die in den Zeitungen stehen; das Kabinett muss er trotzdem umbilden; Olaf Scholz ist der eigentliche Loser.

Fischer lauscht, nickt, wubbelt auf dem Stuhl.

Und was heißt das für die Grünen?, will man im Gegenzug wissen. "Das ist eine Angelegenheit der SPD", sagt Fischer hochoffiziell.

Dann sagt er noch ein paar Dinge, die man nicht schreiben darf, aber wörtlich könnte man sie sowieso nicht schreiben, weil diese Zeitung auch von jungen Menschen gelesen wird, die keine garstigen Worte benutzen sollen.

Wahrheit, scheibchenweise

Eine Stunde vorher, ein paar Blocks weiter im Saal der Bundespressekonferenz.

Gerhard Schröder ist einer der wenigen Menschen, die mit heruntergezogenen Mundwinkeln lächeln können. Doch, das geht, und zumindest dafür ist er uneingeschränkt zu bewundern.

Zu Beginn der überraschend einberufenen Pressekonferenz machten Franz Müntefering und Schröder noch Gesichter, als hätten sie zu verkünden, dass nun leider Rudolf Scharping wieder SPD-Vorsitzender werden muss.

So schlimm kommt es ja nun doch nicht, und im Laufe der knappen halben Stunde hellten sich beider Mienen wieder etwas auf.

Einmal wurde sogar richtig gelacht. Der subtile Humorist Müntefering sagte, neben dem Amt des Papstes sei das des SPD-Vorsitzenden doch das schönste.

Der Gelegenheitsselbstironiker Schröder grinslachte und meinte: "Das kann man so und so sehen."

Im Volksmund heißt es, das Schlimmste sei vorüber, wenn man endlich die Wahrheit gesagt hat. Allerdings purzelte selbst in dieser knappen halben Stunde die Wahrheit nur scheibchenweise vom Podium.

Die erste große Wahrheit gab Schröder noch ungefragt preis. Er wolle das Amt des Parteichefs aufgeben, Franz Müntefering solle ihm nachfolgen, und ein Sonderparteitag solle das Ganze im März absegnen.

Schröder verkündete die Sensation mit steinernem Gesicht, Müntefering guckte dabei, als solle das Sauerland an Frankreich abgetreten werden. Dann sprach Müntefering.

Es war eine kleine programmatische Rede tief aus Münteferings sozialdemokratischem Herzen. Er zitierte dabei Ferdinand Lassalle, den Parteigründer, der schon im Mai 1863 die Genossen zum "Unterhaken" aufgefordert hatte.

Dem Franz nimmt man so etwas ab, und weil dies auch der Noch-Chef und bisherige Teilzeitvorsitzende Schröder spürte, lächelte er da zum ersten Mal. Es war dieses Wolfslächeln, das mit den heruntergezogenen Mundwinkeln.

Ganz am Schluss seines Vortrages gab sich Müntefering fast demonstrativ ehrfürchtig vor seinem neuen Amt: "Der Vorsitz der SPD war etwas, woran ich nie gedacht habe und was ich bis vor kurzem nicht im Kopf hatte." Im Januar habe er mit Gerhard Schröder gesprochen.

"Wir waren uns einig: Wir wollen das schaffen." Nun müssten aber auch alle in der Partei mithelfen, nun müsse Schluss sein "mit der Lust, gegeneinander und übereinander zu reden".

Ein seltsamer Aufstieg findet nun seine nächste Stufe. Denn die Karriere des Franz Müntefering verlief schon mehrmals entgegengesetzt zum Zustand von Partei und Regierung.

In den vergangenen Jahren musste Müntefering immer dann einspringen, wenn die Not besonders groß war.

Müntefering, Profiteur der Krisen

Nach dem Abgang von Oskar Lafontaine berief ihn der neue Parteichef Schröder wieder in das Amt des Generalsekretärs.

Und nach dem Rauswurf von Scharping und den folgenden Personalrochaden stieg Müntefering in das Amt des Fraktionschefs auf. Warum er immer der Krisenprofiteur sei, wurde Müntefering kürzlich in einem Interview von Sandra Maischberger gefragt.

Die Antwort fiel trocken aus wie immer, wenn Müntefering über sich selbst spricht: "Ich habe mich nicht darum bemüht. Ich bin immer gefragt worden."

Spätestens seit dem November 2003 aber war Müntefering nicht mehr nur der Diener seiner Partei. Ohne einen erkennbaren Anflug von Karrierismus war er in der SPD plötzlich zu dem Mann aufgestiegen, an dem vorbei nichts mehr gehen würde.

Bei den Wahlen der Führungsspitze auf dem Bochumer Parteitag wurden damals Wolfgang Clement und vor allem Generalsekretär Olaf Scholz mit lausigen Ergebnissen abgestraft.

Müntefering aber, der sich als Fraktionschef keiner Abstimmung stellen musste, war derjenige, der die Delegierten mit einer kurzen Rede am meisten mitriss.

Neue Verhältnisse für Schröder

"Die Fraktion ist gut, die Partei auch. Glückauf!", hatte er am Ende seines Auftritts gerufen und damit wenigstens für Sekunden in der gequälten Partei so etwas wie ein Wir-Gefühl heraufbeschworen.

Danach wurde gemutmaßt, Müntefering könne zu einem zweiten Herbert Wehner werden, zu einem Fraktionschef, dem der Kanzler auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sein würde.

Schröder fügte sich in die neuen Verhältnisse. Beim Neujahrsempfang der SPD-Fraktion versetzte er Müntefering von sich aus in den Stand der Unverzichtbarkeit.

Die Umsetzung der Agenda 2010 wäre ohne die Hilfe des "lieben Franz" nicht möglich gewesen, so Schröder.

Ganz besonders würdigte Schröder Münteferings "persönliche Loyalität". Und um die Huldigung abzurunden, wandelte der Kanzler noch Münteferings Ausspruch ab: "Die Fraktion ist gut, die Koalition auch. Glückauf!"

Schon kurz nach dem Parteitag zog Müntefering durchs Land. Nicht mehr nur die Kollegen, auch die Basis wollte er nun für die Politik der Regierung gewinnen.

Am Anfang seiner Tour wurde er gefeiert, doch seit Jahresbeginn, als mit der Praxisgebühr für die SPD ein neues Zeitalter der Wut begann, stieß auch der populäre Fraktionschef auf immer mehr Kritik.

Vor knapp zwei Wochen berichtete er dann im SPD-Präsidium vom Verdruss unter den eigenen Leuten und besonders vom Frust unter den Gewerkschaftern - einen Tag später verhängte Gerhard Schröder sein Reformmoratorium bei der Pflegeversicherung.

Der eigene Wunsch des Generalsekretärs

Zum neuen Parteivorsitzenden Müntefering gehört allerdings auch ein neuer Generalsekretär.

Das war das nächste Scheibchen Wahrheit auf der Pressekonferenz, und es purzelte erst nach einer Journalistenfrage. Wie denn die Zukunft des Generalsekretärs Olaf Scholz aussehe? Nun, sagte Müntefering, der werde "auf eigenen Wunsch" sein Amt zur Verfügung stellen.

Er, Müntefering, und da war es schon wieder Schluss mit der reinen Wahrheit, habe immer ein sehr gutes Verhältnis zu Scholz gehabt, und ganz bestimmt bedeute diese Entwicklung nicht das Ende der politischen Karriere von Olaf Scholz.

Andererseits ist es auch kein so gutes Zeichen für Scholz, dass der designierte Parteivorsitzende die, nun ja, freiwillige Demission des Unglückswurms Scholz fast en passant und nach dem Motto, schauen wir mal, ob einer danach fragt, erwähnte.

Kurzfristige Entscheidungen

Zwar bemühte sich Schröder mehr als Müntefering, den Eindruck zu erwecken, die Verkündung der Entscheidung sei das Ende eines langen Prozesses.

Schon seit Januar, so Schröder, habe er mit Müntefering darüber nachgedacht.

In Wirklichkeit aber ist Schröders Rückzug vom Chefsessel erst in dieser Woche festgezurrt worden. "Die sind seit Mittwoch zusammen gehockt", sagt einer, der das Kanzleramt betreten darf, ohne irgendeinen Ausweis zeigen zu müssen.

Scholz war am Donnerstag zweimal länger bei Schröder.

Andere wichtige Koalitionäre erfuhren von der Operation Schröder-Scholz erst am Freitagmorgen. Die Begründung dafür: Ursprünglich sollte die Bombe am 16. Februar platzen.

Dann aber befanden Schröder und Müntefering, dass die Situation so schwierig geworden sei, dass man nicht mehr länger warten dürfe.

Erst am Freitagmorgen wurde entschieden, die Pressekonferenz schon am Nachmittag abzuhalten.

Der Grund, dass aus dem Coup eine Notoperation wurde, ist einfach:

Einerseits wurde Schröder von den jüngsten Umfragen - die SPD bei 24 Prozent Wählerzustimmung - , und einer wahren Flut der Krisenberichterstattung getrieben.

Animiert von Leitartikeln in FAZ und SZ hämmerten bis zur Bild-Zeitung alle auf Schröder ein.

Dies wiederum nahmen SPD-Landespolitiker und sonstige Sozialdemokraten zum Anlass, alles Mögliche zu fordern.

"Das hat sich so aufgeschaukelt, dass sogar irgendein Unterbezirksvorsitzender bundesweit als Vorausmeldung unter der Überschrift ,Schröders Krise hält an' lief", sagt ein Schrödermensch.

Schröder also wollte und musste handeln. Weil er aber nie das tun will, was ihm andere vorschreiben, schmiss er keine Minister aus dem Kabinett, sondern sich selbst aus dem Parteivorsitz.

"Der Rausschmiss von Scholz allein wäre zu wenig gewesen", sagt ein Kundiger.

Also gab Schröder auf, was ihm ohnehin zusehends zur Bürde wurde, und Müntefering muss tun, was er in dieser Lage wohl als einziger in der SPD kann.

Gegner drohen Watschen und Peitschen

Aus dem spätestens seit Bochum heimlichen Parteichef Müntefering wird nun der offizielle Vorsitzende.

Und Schröder, seit geraumer Zeit für viele in der Partei ein unheimlicher Vorsitzender, bleibt Kanzler. Wie das nach Schröders Vorstellung in Zukunft funktionieren soll, hat Müntefering auf seine Weise immer wieder und auch in der Freitagsverkündung klar gemacht:

Die SPD ist Regierungspartei, Regierungspartei, Regierungspartei. Wer in Zukunft als SPD-Abgeordneter - Schreiner und doppelnamige Damen aufgepasst! - das Gehabe eines Oppositionsvertreters an den Tag legt, wird vom Kanzler gewatscht und vom Fraktionsparteichef Müntefering gepeitscht.

Die Luschen im Kabinett haben Bewährung gekriegt. Mal sehen was nach der Hamburg-Wahl passiert.

© SZ vom 7.2. 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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