Der Prototyp eines Terroristen:Ein Mann wie du und ich

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Der britische Geheimdienst wollte in einer Studie den typischen Terroristen finden - und stieß dabei auf eine Art Otto Normalverbraucher.

Pia Röder

Begeben wir uns in eine typische Bar in einer englischen Kleinstadt. Das Licht ist schummrig, die Einrichtung urig und hinter der Bar zapft ein gemütlich-rundlicher Kerl ein Bier.

Nach den Anschlägen von London vom 7. Juli 2005 suchte das MI5 jetzt nach dem "typischen Terroristen" - doch den gibt es nicht. Das Bild zeigt Passagiere in einem Bus am Kings Cross einen Tag nach den Anschlägen. (Foto: Foto: AFP)

Hinten links am Stammtisch sitzen fünf Männer - Durchschnittsbriten unterschiedlicher Herkunft. Der Glatzkopf mit dem roten Gesicht stammt aus Bristol, ein anderer aus Cardiff. Einer von ihnen kommt ursprünglich aus Pakistan. Dunklerer Teint, dicht behaarte Unterarme - ein wenig anders eben. Verdächtig?

Seit den Anschlägen vom 7. Juli 2005 in London, ist man in Großbritannien sensibilisierter für solche Typen. Ein Terrorist? Ein islamischer Extremist? Das sind natürlich Vorurteile. Es ist einfach ein ganz normaler Mann, der sich abends mit Kumpels in irgendeiner Bar trifft. Doch Terrorist könnte in Großbritannien theoretisch jeder sein, wie der Inlandsgeheimdienst MI5 in einer Studie herausgefunden hat.

Den typischen Terroristen gibt es nicht

Laut der britischen Zeitung Guardian wurden für die Studie mehrere hundert Menschen befragt, die "in gewalttätige, extremistische Aktivitäten verwickelt waren oder zumindest Kontakt" dazu hatten. Unter ihnen waren auch Personen, die Geld für Terrornetzwerke gesammelt, aber auch welche, die selbst Anschläge in Großbritannien geplant hatten.

Das Ergebnis: Den typischen "britischen Terroristen" gibt es nicht. Vielmehr sei er so gewöhnlich, dass er in der Gesellschaft, in der er sich bewege, nicht weiter auffalle, zitiert das Blatt die Studie. Es sei laut dem MI5 nicht einfach Terroristen zu identifizieren. Es sind ganz normale Männer ohne auffällige Verhaltensmuster, die zu Terroristen würden.

Die Mehrzahl der Befragten sind, mit wenigen Ausnahmen, legal im Land. Die Hälfte von ihnen wurde in Großbritannien geboren, andere sind später in das Land migriert. Die Terroristen seien von ihrer Herkunft her so bunt gemischt, wie die gesamte muslimische Bevölkerung Großbritanniens: Sie kommen unter anderem aus Pakistan, dem Mittleren Osten und der Kaukasus-Region. An der Hautfarbe, der ethnischen Zugehörigkeit und der Nationalität könne man keine Terroristen erkennen.

"Verrückt und böse" seien sie nicht und auch weit entfernt vom religiösen Fanatismus. Sie praktizieren ihren Glauben nicht regelmäßig. Viele von ihnen kennen noch nicht einmal genau die religiösen Schriften. Die wenigsten von ihnen wurden in strengreligiösen Familien großgezogen. Als "religiöse Neulinge" bezeichnet sie das MI5.

Gelegentlichen Bordellbesuchen nicht abgeneigt

Der Gedanke vom radikalen Einzelgänger, der wie besessen danach giert, nach dem Märtyrertod im Jenseits vierzig Jungfrauen zur freien Verfügung zu haben, sei Unsinn. Terroristen in Großbritannien sind keine sexuell frustrierten Jünglinge, sondern ganz normale Männer um die Dreißig in einer festen Partnerschaft. Viele hätten sogar Kinder.

Den Freuden des Diesseits seien sie laut der Studie auch nicht abgeneigt. Der Durchschnittsterrorist trinkt Alkohol, nimmt Drogen und erfreut sich an gelegentlichen Bordellbesuchen - ein ganz normaler Mann eben.

Nicht dumm, nicht schlau, nicht besonders religiös, durchgedreht auch nicht. Man könnte fast sagen, der britische Durchschnitts-Terroristen ist ein wenig langweilig. Aber gerade das mache ihn so gefährlich. "Sie passen in kein demographisches Profil und folgen keinem typischen Muster des gewaltsamen Extremismus", folgert der Geheimdienst.

Der MI5 ist sich sicher, dass diese Studie ein wichtiges Lehrstück für die Regierung sei, um die Ausbreitung von gewaltsamen Extremismus einzudämmen. Die Gefahr lauere überall. Vielleicht auch in der Kneipe nebenan - muss aber nicht sein.

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