Der Mythos Kennedy:Ritter in schimmernder Rüstung

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Seine Familie und seine Ermordung vor laufender Kamera prägten den Mythos um John F. Kennedy.

(SZ vom 22.11.2003) - John F. Kennedy hat seine Wirkung auf die Massen nie stärker gespürt als im Sommer 1963 auf dem Balkon des Schöneberger Rathauses. Mehr als eine Million Menschen war an diesem Tag auf den Straßen, um den Präsidenten zu feiern. Es war Bundeskanzler Konrad Adenauer, der dem amerikanischen Außenminister Dean Rusk skeptisch zuraunte: "Bedeutet dies, das Deutschland eines Tages einen neuen Hitler haben könnte?"

Kennedy selbst fühlte sich auch nicht besonders wohl in diesem Moment, wie der Historiker Robert Dallek in seiner Biografie schreibt: "Wenn ich denen gesagt hätte, reißt die Mauer nieder, dann hätten sie es getan."

Kennedy, der Hypnotiseur - in Berlin hatte der Präsident eine leise Ahnung davon bekommen können, welche Faszination seine Person entfalten würde. Nach seiner Ermordung sind dem 35. US-Präsidenten alle Ehrungen und Lobpreisungen zuteil geworden, die man sich nur vorstellen kann. Abertausende Biographien, Sachbücher, Studien, Dissertationen und Aufsätze über das Leben, die Politik, die Regierungszeit und die Familie Kennedys sind in der Präsidentschafts-Bibliothek in Boston gesammelt, die meisten verehrend und bewundernd.

Die Ikone Kennedy

Kennedy, die Ikone, erscheint in unzähligen Formen, einen einzigen Grund für die Mystifizierung gibt es aber nicht. Der Biograph Dallek glaubt das auslösende Moment für die anhaltende Verehrung des Politikers zu kennen: Die Ermordung vor laufender Kamera und auf offener Straße. Niemals wieder ist ein derart hochrangiger Politiker so öffentlich gestorben. Kaum einen Moment in der Geschichte Amerikas und auch Europas haben so viele Menschen im Gedächtnis behalten wie die Ermordung Kennedys am 22. November 1963 in Dallas.

"Was wäre gewesen, wenn ..."

Der Tod mitten im Leben beschäftigt bis heute die Fantasie der Menschen: "Was wäre gewesen, wenn ..." gehört zu den Lieblingsspielen der politischen Kaste. Was wäre also mit Vietnam geschehen, wenn Kennedy noch gelebt hätte. Wie viel schneller hätte sich die Bürgerrechtsbewegung entwickelt. Hätte der Kalte Krieg sein Ende früher gefunden? "Ein unvollendetes Leben", heißt die Dallek-Biografie - eine Biografie mit ungezählten Fortsetzungsmöglichkeiten, die auch alle geschrieben wurden und damit den Mythos mit kreierten.

Allerdings waren es nicht nur die tausend Tage im Weißen Haus, die aus Kennedy eine Legende machten. Kennedy hat zwar ein beeindruckendes politisches Opus hinterlassen, gleichwohl rechtfertigt die Bilanz nicht unbedingt, dass er heute von der Mehrzahl der Amerikaner zu den drei bis fünf größten Präsidenten aller Zeiten gezählt wird. Kennedy verdankt seinen Ruf auch seiner Familiengeschichte, seiner Jugendlichkeit, seiner intelligenten und wunderschönen Frau Jackie, dem Bruder-Mythos und diesem Sendungsgeist.

Die Bürde des Dynasten-Erben

Schon als junger Mann bereiste der 1917 Geborene vor dem zweiten Weltkrieg wie selbstverständlich die Welt und nutzte politische Kontakte des Vaters, die den meisten verschlossen gewesen wären. Nachdem sein Bruder Joseph, dem eigentlich die Hauptrolle zugedacht war, im Krieg gestorben war, übernahm er ganz die Bürde des Dynasten-Erben.

Die Eltern Joseph und Rose pflanzten dem Clan ein gewaltiges Sendungsbewusstsein ein, ein Gefühl des Auserwähltsein. Ein derart von persönlichen Selbstzweifeln befreiter John konnte seine Energie auf das große Ziel konzentrieren: eine unvergleichbare Präsidentschaft zu leben.

Und er hatte ausreichend willige Helfer und Verehrer, die nicht müde wurden, sein Werk zu preisen. Selbst die betrogene und erniedrigte Ehefrau bastelte an dem Werk, als sie kurz nach dem Attentat das Weiße Haus der Kennedys mit Camelot und der Tafelrunde verglich - der Ritter in schimmernder Rüstung war geboren.

Fakten und Fiktionen

Inzwischen lassen sich Fakten und Fiktionen in Kennedys Leben kaum mehr auseinander halten. Kaum ein Leben, das so gründlich durchleuchtet wurde und trotzdem immer noch so stark strahlt.

Selbst die schwarzen Seiten in der Biographie, die krankhafte Beziehungsunfähigkeit, die Sexbesessenheit, die Kontakte in zwielichtige Milieus, können den Mythos nicht mehr schaden. Denn ein Mythos muss nicht mehr begründet werden - er trägt sich selbst und, im Falle Kennedys, einen ganzen Clan samt angehängter Industrie. Für viele, wie seinem Sohn John Junior etwa, wurde er freilich unerträglich.

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