Der Kurs des Präsidenten ist nicht mehr sakrosankt:Ein Falke gerät ins Trudeln

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Mit Versprechungen für die Armen und Drohungen gegen den Westen hat Mahmud Ahmadinedschad die Macht gefestigt - nun fordert das Volk Freiheit.

Rudolph Chimelli

Der Präsident wohnt hier nicht mehr. Aber sein Haus wird immer noch gut bewacht. Am Eingang der abgesperrten Hedajat-Gasse steht ein bewaffneter Revolutionsgardist in Uniform. ,,Wir kennen alle Anwohner'', sagt er lächelnd.

Ahmadinedschad: "Iran hat Washington schon oft erniedrigt, und wir werden euch auch in Zukunft erniedrigen." (Foto: Foto: Reuters)

,,Andere dürfen nicht hinein.'' An der rechten Seite der Sackgasse, in einem jetzt unbelebt wirkenden Drei-Zimmer-Haus mit nur 70 Quadratmetern Wohnfläche, lebte Mahmud Ahmadinedschad mit Frau und drei Kindern, als er noch Bürgermeister von Teheran war.

Zusammen mit einem 30 Jahre alten Peugeot (,,Made in Iran'') war das Haus Symbol eines bescheidenen Lebensstils, der ihn für seine überwiegend armen Wähler als einen der Ihren auswies.

Doch nun hat die Polizei das Eckhaus der Gasse im Osten der Hauptstadt übernommen, im nächsten Gebäude sitzt die Präsidialverwaltung, im übernächsten die Revolutionsgarde. Es ist ein ruhiges, gepflegtes Mittelstandsviertel mit vielen Alleen, abseits vom höllischen Verkehr der Metropole, die inoffiziell schon auf 15 Millionen Einwohner gewachsen ist. Auf dem Platz und in seinen Nebenstraßen üben Fahrschüler.

Von einer modernen Moschee, eine Straße weiter, rufen die Lautsprecher zum Gebet. In die Moschee kehrte der Präsident im Dezember zurück, um seine Stimme bei den Wahlen zum Gemeinderat und zur Expertenversammlung abzugeben. Sonst kommt er selten in seine alte Gegend.

,,Aus praktischen Gründen'' - so die offizielle Begründung - ist er in ein größeres Haus im Norden Teherans umgezogen, wo die Luft besser ist und wo die Oberschicht schon immer wohnt, die alte und die neue. Es steht auf dem Gelände eines der Paläste von Resa-Schah, dem Vater des letzten Herrschers. Dort sind die Plafonds fünf Meter hoch. Um den Innenhof führen Arkaden.

Teure Bakschisch-Politik

In Ahmadinedschads altem Viertel wurde im Haus der Präsidialverwaltung ein Schalter zur Straße hin eingerichtet. Auf dem Trottoir warten Frauen und Männer, die durch Tschador oder Stoppelbart ihre politisch korrekte Gesinnung kundtun. Sie wollen Petitionen abgeben. Hossein Nanwasadeh und seine Frau sind fast hundert Kilometer weit mit dem Motorrad gefahren, um Hilfe zur Verheiratung ihrer drei Töchter zu erbitten.

Ahmadinedschad hat Ehestandsdarlehen eingeführt. Seit er vor eineinhalb Jahren die Macht übernahm, hat der Staatschef 3,5 Millionen Bittbriefe erhalten - die meisten davon freilich per Post. Alle hoffen auf Wohltaten, doch nicht allein Kritiker, auch Fachleute im Apparat werfen Ahmadinedschad vor, seine Bakschisch-Praxis koste viel Geld, schaffe aber keine verlässlichen Loyalitäten.

Zweimal im Monat geht der Präsident auf Reisen. Am Dienstag ist er in die Erdölprovinz Chusistan aufgebrochen. Er nimmt seine Minister mit, um in der Provinzhauptstadt Ahwas eine Kabinettssitzung abzuhalten. Vier Tage lang macht er bürgernahe Politik nach seinem Gusto. Er verteilt Geschenke, macht Versprechungen, empfängt Würdenträger. Und er hält programmatische Reden, auch zur Weltpolitik.

In Ahwas hat er nun die vom UN-Sicherheitsrat verhängten Sanktionen gegeißelt und deftig den USA gedroht: Iran habe Washington ,,schon oft erniedrigt, und wir werden euch auch in Zukunft erniedrigen''.

Bereits 24 Provinzen hat Ahmadinedschad bereist. Als er kürzlich in Sari am Kaspischen Meer sprach, der Provinz-Hauptstadt von Masanderan, deutete er auf den neben ihm stehenden Gouverneur und fragte die Menge: ,,Seid ihr zufrieden mit ihm?'' - ,,Nein!'', schrie das Volk. Das war eine klare Antwort - aber dem Gouverneur passierte nichts.

Er ist ein Kriegskamerad von Ahmadinedschad und wurde von diesem an Stelle des Vorgängers aus der Zeit des Reform-Präsidenten Mohammed Chatami eingesetzt. Bald nach seinem Amtsantritt hatte Ahmadinedschad in fast allen Provinzen Vertrauensmänner aus gemeinsamer Vergangenheit bei Revolutionsgarden, Geheimdiensten oder bei der Volksmiliz der Bassidsch zu Gouverneuren ernannt.

Die Dezember-Wahlen jedoch haben gezeigt, dass die Welle der Volkstümlichkeit verebbt, auf der Ahmadinedschad surfte. In der Hauptstadt wie in den Provinzen wurden seine Parteigänger zurückgeschlagen. Sieger waren fast überall gemäßigte Konservative und Reformer. In Isfahan erhielt bei den Wahlen zum Gemeindeparlament die 25-jährige Studentin Fatemeh Aghaee, die als Unabhängige kandidierte, bei weitem die höchste Stimmenzahl.

In anderen Gesellschaften fiele es ihr nicht schwer, Schönheitskönigin zu werden. Auch das ist eine Art des Protests gegen den tristen Puritanismus, den die Obrigkeit den Iranern zu verordnen sucht, und zugleich gegen die Unansehnlichkeit, die viele an ihrem Staatschef stört. Sie ist in einem Land mit hoch entwickeltem Schönheitssinn zu einem negativen Popularitätsfaktor geworden.

Benzin, billiger als Wasser

Auch Ex-Präsident Rafsandschani war beim geistlichen Führer Ayatollah Ali Chamenei vorstellig geworden, bevor er sich am letztmöglichen Tag zur Kandidatur für den Expertenrat entschloss.

Er verlangte eine doppelte Zusicherung: Es dürfe nicht wieder eine ,,Verleumdungskampagne'' gegen ihn geben, worunter der steinreiche Rafsandschani die Ausbreitung von Korruptionsvorwürfen versteht; vor der Stichwahl zur Präsidentschaft, die er verlor, hatte sein Gegenkandidat Ahmadinedschad ungehemmt mit solchen Anschuldigungen operiert.

Und es dürfe bei der Auszählung der Stimmen nicht manipuliert werden. Beides sicherte Chamenei zu, und er sorgte dafür. Der Ex-Präsident wiederum versprach in einer Erklärung nach dem Wahlsieg Wohlverhalten mit den Worten, so lange er lebe, werde er an der Seite Chameneis stehen.

Auch dem Ayatollah ist sein Schützling Ahmadinedschad etwas zu eigenwillig geworden. Für seinen ruhigen Flug über den Institutionen braucht Chamenei beide Flügel des politischen Apparats. Er hat begriffen, dass es allein mit den Radikalen nicht vorwärts geht, sondern günstigstenfalls im Kreis.

Ahmadinedschad bekämpft die Bestechlichkeit und hat die kleine - nicht die große - Korruption weitgehend beseitigt. Durch systematische Befragung von Behördenbesuchern über ihre Behandlung wurden die Beamten so eingeschüchtert, dass sie kein Geld mehr zu nehmen wagen. Dem Präsidenten selber kann niemand Bereicherung vorwerfen.

Doch ohne Angriffsflächen ist auch er nicht. Im Parlament fragten die Abgeordneten Dschalal Husseini und Akbar Alami nach dem Verbleib von umgerechnet 300Millionen Euro, welche die Stadt Teheran unter Ahmadinedschad ohne Belege ausgegeben hat. Sie bekamen keine Antwort. Ferner gab die Stadt 106000 Euro für Blumen und Naschwerk aus, um Ahmadinedschads Wahl zu feiern.

Und in der Teheraner Naderi-Straße werden fabrikneue Schlafsäcke aus Amerika verkauft, die laut groß gedruckter Aufschrift für Erdbebenopfer bestimmt waren.

An Kummer gewöhnt, nimmt die unpolitische Mehrheit der Iraner solche Lappalien kaum wahr. Was sie ärgert, sind vor allem anderen die Lebensmittelpreise. Sie sind in acht Monaten um 30 Prozent gestiegen. Vor seiner Wahl hatte Ahmadinedschad versprochen, er werde die Erdöl-Milliarden auf die Sofreh der Armen umleiten, jene Matte auf dem Boden, auf der in traditionell lebenden Familien die Mahlzeit serviert wird. Und tatsächlich werden riesige Subventionen verteilt, allein für Brot mehr als zwei Milliarden Euro jährlich - aber nicht wohlüberlegt.

Die Literatur hat unter dem Kulturkampf immer noch zu leiden

Als der Präsident die Mindestlöhne um durchschnittlich 47 Prozent erhöhte, stiegen über Nacht die Brotpreise, weil die Bäcker die Mehrkosten nicht tragen konnten oder wollten. Autoritär verfügte die Regierung eine Senkung. Doch schon nach Tagen waren die Brotpreise wieder oben. Und es wird importiert, im Jahre 2006 für insgesamt 42 Milliarden Dollar.

Das mit jährlich zwölf Milliarden Euro subventionierte Benzin kostet weniger als Flaschenwasser, umgerechnet nicht mehr als acht Cent pro Liter. Es muss zu einem Drittel eingeführt werden, weil die iranische Raffinier-Kapazität nicht ausreicht. Vor Preiserhöhung oder Rationierung schreckt das Regime jedoch zurück.

Lockerungen im Alltagsleben, die vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wären, werden sichtbar. So treten im staatlichen Fernsehen mehr und mehr Sprecher glattrasiert auf. Und gelegentliche Aufschreie von Sittenstrengen gegen den laxen Umgang der Frauen mit dem Kopftuch verhallen ohne Wirkung. Zu leiden hat im Kulturkampf jedoch immer noch die Literatur. Mehr als 400 Werke liegen im Kulturministerium fest und können nicht veröffentlicht werden.

Darunter sind sogar Neuauflagen erfolgreicher Bücher. Auch der einzige ins Persische übersetzte Roman ,,Rot ist mein Name'' des türkischen Nobelpreisträgers Orhan Pamuk ist von der Zensur nicht freigegeben.

Mit den Wahlen indessen wurde der Wunsch der Bevölkerung nach mehr Freiheit deutlich. Der Chefredakteur der ultra-konservativen Zeitung Resalat, Mohammed Kassem Anbarlui, erklärt diesen Umschwung verschämt mit dem Funktionieren eines ,,geheimnisvollen kollektiven Gehirns'', das keine Extreme mehr wolle: ,,Nicht bei einer Wahl alle Stimmen für die Reformer, dann das nächste Mal alle Macht den Konservativen.''

Die Folge werde hinfort eine Teilung der Macht sein. ,,Die Reformer waren ausgeschlossen. Jetzt können sie zurückkehren und die nächsten Wahlen vorbereiten.''

Schon melden sich Kritiker, für die Ahmadinedschads harter Kurs in der Atomfrage nicht mehr sakrosankt ist. In der Zeitung Kargonsan, einem der wenigen verbliebenen reformfreundlichen Blätter, weist Rafsandschanis Bruder Mohammed darauf hin, dass iranische Entscheidungsträger zu Unrecht überzeugt gewesen seien, ,,gewisse Länder'' (gemeint sind Russland und China) würden Teheran davor schützen, dass der Sicherheitsrat Sanktionen beschließe.

Enttäuscht von Europa

Nachdem die USA ihre Ziele erreicht hätten, müsse Iran künftig auf ,,fähige und gemäßigte Leute'' setzen. Als erste waren noch vor der Wahl nach Jahren dumpfer Ruhe die Studenten wieder aufsässig geworden. An der Teheraner Amir-Kabir-Universität pfiffen sie Ahmadinedschad aus, nannten ihn einen ,,Diktator'' und verbrannten sein Bild. Er wiederum drohte ihnen, er werde sie zu Leutnants ernennen, eine Anspielung auf Rangabzeichen: Für jeden politischen Fehltritt erhält ein Student einen Stern in den Akten. Beim dritten Stern fliegt er.

Chatamis Botschafter in London, S.M.H. Adeli, beklagt die Abstinenz der Europäer, die sich gerade im entscheidenden Moment der Sanktionsfrage den Amerikanern gefügt hätten. Zwei Schweizer Großbanken hätten ihr Iran-Geschäft auf Grund amerikanischer Boykott-Drohungen bereits eingestellt. Mercedes ist dabei, sich nach einem halben Jahrhundert aus Iran zurückzuziehen. In den ersten neun Monaten des vorigen Jahres sind die deutschen Exporte nach Iran um rund ein Fünftel gefallen.

,,Sie sind zu sehr mit sich selber beschäftigt'', sagt Adeli über die Europäer, ,,mit Erweiterungs- und Verfassungsfragen, und sie sehen nicht, was weiter östlich passiert, welche neuen Rivalitäten sich bei uns ergeben.'' Iran sei dabei, sich nach Ostasien zu orientieren, was genau den politischen Prioritäten von Ahmadinedschad entspreche. Auch die Russen machten sich die Enttäuschung über die Europäer zunutze und drängten auf allen Gebieten herein - was die Iraner sich gar nicht wünschten.

"Er ist ein Mann, der immer Aufsehen erregen will"

Russland hat im Herbst die ersten Luftabwehr-Systeme vom Typ Tor M1 geliefert, welche die Iraner im Jahr zuvor bestellt hatten, um ihre Atom-Anlagen vor amerikanischen oder israelischen Angriffen zu schützen. Iranische Soldaten werden derzeit in Russland ausgebildet. Das Tor M1-System kann laut russischen Angaben bis zu 48 Ziele gleichzeitig orten und zwei Ziele in Entfernungen bis zu 6000 Meter unter Beschuss nehmen. Insgesamt werden 29 Systeme installiert.

Zwar glaubt eine Mehrzahl der Iraner, die USA seien voll mit dem Irak beschäftigt und könnten sich keinen weiteren Kriegsschauplatz leisten. Militär-Fachleute in Teheran sind jedoch pessimistischer. Für sie ist es vorstellbar, dass der amerikanische Präsident George W. Bush vor Ende seiner Amtszeit noch einen Angriff anordnet. Eine Verzögerung des iranischen Atomprogramms, das ohnehin noch Jahre von der Waffenreife entfernt ist, wäre dadurch möglich. Dessen volle Zerstörung oder ein Regimewechsel wären eher unwahrscheinlich.

Dies würde, genau wie die Sanktionen, mutmaßlich sogar den Präsidenten stärken, dessen Stern doch eigentlich gerade sinkt. Denn allzu oft verwirrt er inzwischen seine Landsleute. Was Ahmadinedschad zum Beispiel mit seiner Holocaust-Konferenz im Dezember wollte, ist informierten Iranern ein Rätsel.

Ein Professor, der den Präsidenten gut kennt, aber nicht zitiert werden möchte, führt die Veranstaltung auf dessen manisches Geltungsbedürfnis zurück. ,,Er ist ein Mann, der immer Aufsehen erregen will, auf jede Einladung geht und überall redet.''

© SZ vom 3.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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