Der Hilferuf der Lehrer:"Wir sind ratlos"

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Die Lehrer der Rütli-Hauptschule im Berliner Problembezirk Neukölln haben in einem Brief einen Hilferuf an die Berliner Senatsverwaltung gesandt. Er war auf einer Konferenz der Lehrer einstimmig angenommen worden. Im Folgenden Auszüge aus dem Schreiben vom 28. Februar, das erst am Donnerstag bekannt geworden ist:

"Wie in der Schulleitersitzung am 21. Februar geschildert, hat sich die Zusammensetzung unserer Schülerschaft in den letzten Jahren dahingehend verändert, dass der Anteil der Schüler mit arabischem Migrationshintergrund inzwischen am höchsten ist.

Er beträgt zurzeit 34,9 Prozent, gefolgt von 26,1 Prozent mit türkischem Migrationshintergrund. Der Gesamtanteil der Jugendlichen n.d.H. (nicht deutscher Herkunft) beträgt 83,2 Prozent.

Wir müssen feststellen, dass die Stimmung in einigen Klassen zurzeit geprägt ist von Aggressivität, Respektlosigkeit und Ignoranz uns Erwachsenen gegenüber.

Notwendiges Unterrichtsmaterial wird nur von wenigen Schülern mitgebracht. Die Gewaltbereitschaft gegen Sachen wächst: Türen werden eingetreten, Papierkörbe als Fußbälle missbraucht, Knallkörper gezündet und Bilderrahmen von den Flurwänden gerissen. Werden Schüler zur Rede gestellt, schützen sie sich gegenseitig.

Laut Aussage eines Schülers gilt es als besondere Anerkennung im Kiez, wenn aus einer Schule möglichst viele negative Schlagzeilen in der Presse erscheinen. Unsere Bemühungen, die Einhaltung der Regeln durchzusetzen, treffen auf starken Widerstand der Schüler.

In vielen Klassen ist das Verhalten im Unterricht geprägt durch totale Ablehnung des Unterrichtsstoffes und menschenverachtendes Auftreten. Lehrkräfte werden gar nicht wahrgenommen, Gegenstände fliegen zielgerichtet gegen Lehrkräfte, Anweisungen werden ignoriert.

Hilfe holen per Handy

Einige Kollegen gehen nur noch mit dem Handy in bestimmte Klassen, damit sie über Funk Hilfe holen können. Die Folge ist, dass Kollegen am Rande ihrer Kräfte sind.

Entsprechend hoch ist auch der Krankenstand, der im 1. Halbjahr 2005/06 höher war als der der Schüler. Einige Kollegen stellen seit Jahren Umsetzungsanträge, denen nicht entsprochen wird, da keine Ersatzkräfte gefunden werden. Auch von den Eltern bekamen wir bisher wenig Unterstützung. Wir sind ratlos.

Wenn wir uns die Entwicklung unserer Schule ansehen, müssen wir feststellen, dass die Hauptschule am Ende der Sackgasse angekommen ist und es keine Wendemöglichkeit mehr gibt. Welchen Sinn macht es, dass in einer Schule alle Schüler gesammelt werden, die weder von den Eltern noch von der Wirtschaft Perspektiven aufgezeigt bekommen?

In den meisten Familien sind unsere Schüler die Einzigen, die morgens aufstehen. Wie sollen wir ihnen erklären, dass es trotzdem wichtig ist, in der Schule zu sein?

Die Schüler sind vor allem damit beschäftigt, sich das neueste Handy zu organisieren, ihr Outfit so zu gestalten, dass sie nicht verlacht werden, damit sie dazugehören. Schule ist für sie auch Schauplatz und Machtkampf um Anerkennung.

Der Intensivtäter wird zum Vorbild. Es gibt für sie in der Schule keine positiven Vorbilder. Sie sind unter sich und lernen Jugendliche, die anders leben, gar nicht kennen. Hauptschule isoliert sie, sie fühlen sich ausgesondert und benehmen sich entsprechend.

Perspektivisch muss die Hauptschule in dieser Zusammensetzung aufgelöst werden zu Gunsten einer neuen Schulform mit gänzlich neuer Zusammensetzung."

© SZ vom 31.3.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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