Der Deutsche Herbst - Tag 38:Verhöre im "Volksgefängnis"

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12.10.1977: Hanns Martin Schleyer wird nur noch von einer Kerntruppe aller im Untergrund lebenden RAF-Mitglieder bewacht. Der Arbeitsgeberpräsident wird von seinen Entführern mehrfach verhört - über Rüstungsexporte und seine NS-Vergangenheit.

Wie die Ermittler später feststellen, waren an der Planung, Vorbereitung und Realisierung der Entführung von Hanns Martin Schleyer alle 20 damals im Untergrund lebenden RAF-Mitglieder beteiligt; sie sind im Durchschnitt 26 Jahre alt.

Sie stellen sich einen schnellen Austausch des Wirtschaftsführers mit den elf Terroristen in deutschen Gefängnissen vor. Wenn das nicht klappt, so ist von Anfang an klar, soll Schleyer erschossen werden. Im ersten "Volksgefängnis" in Erftstadt-Liblar wird dieser von den Terroristen mehrmals "verhört".

Sie wollen Informationen über deutsche Rüstungsexporte in den Nahen und Mittleren Osten, das Engagement von Daimler-Benz in der Dritten Welt, und sie wollen ihn über die Bedeutung der Gewerkschaften belehren. Schleyer lässt sie auflaufen, bald brechen die Entführer ihre naiven Befragungen ab.

Ein weiteres Thema ist immer wieder die NS-Vergangenheit des Arbeitgeberpräsidenten. Die Entführer sehen in ihm die "faschistische Kontinuität" in der BRD verkörpert, ein Bindeglied zwischen Faschismus und Imperialismus. Schleyer war Mitglied der NSDAP und der SS, er leitete das Studentenwerk im besetzten Prag und war im Zentralverband der Industrie für Böhmen und Mähren tätig.

"Bewegende menschliche Situation"

Von 1945 bis 1948 saß er in französischer Kriegsgefangenschaft und wurde später als "Mitläufer" eingestuft. Schleyer hat seine Nazi-Karriere nie verheimlicht. Vor allem in der linken Szene wird darüber in den siebziger Jahren immer wieder intensiv diskutiert.

Der Terrorist Stefan Wisniewski sagte 1997 der taz: "Wir haben ihn in einer sehr banalen, bewegenden, menschlichen Situation erlebt, in der er kein Interesse hatte, sich mit uns über die Nazizeit auseinanderzusetzen. Wir haben es immer wieder versucht, aber er hat es zum Teil aggressiv, zum Teil relativierend abgewehrt, darüber zu reden. Er hat es nicht geleugnet, aber er hat es in einen selbstverständlichen Kontext für ihn gesetzt."

Die RAF unterlässt es entgegen einer ursprünglichen Idee, den Arbeitgeberpräsidenten in ihren Erpresserbriefen mit seiner Vergangenheit verächtlich zu machen. Die Entführer waren von Schleyer irritiert, schreibt sein Biograph Lutz Hachmeister: "Er entsprach nicht dem konventionellen Bild vom ,alten Nazi', blieb höflich und distanziert, kroch nicht zu Kreuze und bediente keine banalen Verhörstereotypen."

Im Lauf der Zeit stellt sich so etwas wie Vertrautheit zwischen Schleyer und den Entführern ein, sie duzen sich gegenseitig, einmal sollen sie sogar Monopoly gespielt haben. Auch bei der Formulierung der Botschaften an die Bundesregierung soll Schleyer mitgewirkt haben.

Doch in diesen Oktobertagen bewacht nur noch eine Kerntruppe um Wisniewski, Willy-Peter Stoll, Christoph Wackernagel, Angelika Speitel und Rolf Klemens Wagner den 62-Jährigen in einem Brüsseler Hochhaus. Die übrigen Terroristen um die beiden Anführer Peter-Jürgen Boock und Brigitte Mohnhaupt warten seit Wochen in Bagdad darauf, dass etwas Entscheidenes passiert. Robert Probst

© SZ vom 12.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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