Der CDU-Finanzexperte aus dem Sauerland:Mit spitzer Zunge aus dem Abseits reden

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Friedrich Merz kann Wahlvolk und Unions-Politiker begeistern, indem er alles vermeidet, was ihm als Kritik an Merkel ausgelegt werden könnte. Kein Zweifel, Merz will zurück in die erste Reihe.

Hans-Jörg Heims und Christoph Schwennicke

In die Stadthalle von Hallenberg drängen sich Hunderte Menschen. Alle Stühle sind schließlich besetzt und an jedem Zentimeter freier Wand steht jemand. Fünf Kameras richten ihre Objektive auf das Rednerpult. Draußen vor der Halle sind wie bei einem Großereignis Satelliten-Übertragungswagen aufgebaut.

Begeistert Wahlvolk und Unions-Politiker: Friedrich Merz. (Foto: Foto: dpa)

Doch nicht Bundeskanzler Gerhard Schröder oder seine Herausforderin Angela Merkel werden an diesem Abend in dem idyllischen Ort im Sauerland erwartet. Es findet nur das statt, was in diesen Tagen des Wahlkampfes vielerorts zu erleben ist: Ein einfacher Abgeordneter kämpft in seinem Wahlkreis um Stimmen. Eigentlich.

Doch seit einige CDU-Ministerpräsidenten Friedrich Merz gegen Merkels Ministerkandidaten für Finanzen, Paul Kirchhof, in Stellung gebracht haben, wird jeder Wahlkampfauftritt des CDU-Politikers selbst in einem Sauerland-Kaff zum Politikum.

Und Merz, im sauerländischen Brilon zu Hause, nutzt das Heimspiel, um seine Rückkehr auf die große politische Bühne vorzubereiten. 90 Minuten redet er an diesem Abend in Hallenberg. Es ist die Rede eines Generalisten, eines Homo Politicus, eine Rede, mit der sich der von Merkel und Edmund Stoiber vor drei Jahren aus dem Fraktionsvorsitz gedrängte Merz eben genau für diesen Job wieder empfiehlt.

Merz will zurück

Wo er in dem von Kirchhof vorgeschlagenen Tandem sitzen will, dazu möchte sich Merz nicht äußern. Ohnehin fällt auf, dass der hochgewachsene Mann, der sich zuletzt neben seinem Bundestagsmandat als Anwalt betätigt hatte, alles vermeidet, was ihm als Kritik an Merkel ausgelegt werden könnte. Kein Zweifel, Merz will zurück in die erste Reihe.

Im tief konservativen Sauerland trifft der Kandidat den Ton seiner Zuhörer, selbst wenn er sie zuweilen mit Forderungen nach einem "fundamentalen Mentalitätswechsel" erschrickt. "Gesunde Ansichten" habe der, sagt eine Zuhörerin anschließend, und meint damit vor allem die Aussagen zum möglichen EU-Beitritt der Türkei ("Ich verspreche Ihnen, dass ich im Bundestag nicht zustimmen werde") und zur Ausländerpolitik ("Wer nicht Deutsch lernen will, muss in sein Heimatland zurück.")

Erst nach mehr als einer Stunde kommt Merz auf Steuerpolitik und auf Paul Kirchhof zu sprechen. Der ehemalige Verfassungsrichter hatte drei Stunden zuvor bei einer CDU-Veranstaltung in Köln Merz nicht einmal erwähnt, sondern sich auf seinen Vortrag beschränkt, weshalb Deutschland ein einfacheres Steuersystem braucht. Kirchhof vollführt dabei das Kunststück, zwar immer von "unserem Programm" zu reden, aber über weite Teile seiner Rede sein Konzept eines einheitlichen Steuersatzes von 25 Prozent zu rechtfertigen.

Höchstes Lob für Kirchhof

Merz hingegen lobt Kirchhof in höchsten Tönen. Unverschämt und frech sei es, wie der Kanzler mit einem der führenden Köpfe der deutschen Rechtswissenschaft umgehe, empört sich Merz über Schröders abfällige Bemerkung vom "Professor aus Heidelberg".

Kirchhof war noch Verfassungsrichter in Karlsruhe, als das politische Potenzial des Friedrich Merz erstmals aufblitzte. Am 16. Januar 1996 stellte sich ein schlaksiger Lulatsch ans Mikrofon im Bonner Wasserwerk, sein pinocciohaft-spitzbübisches Gesicht täuschte schon da über seine 40 Jahre hinweg. Merz redete an diesem Tag alle in Grund und Boden. Die grünen Jung-Politiker Oswald Metzger und Matthias Berninger waren darunter, alles Namen, die keiner kannte, wie eben jenen von Merz auch nicht.

Der Redewettbewerb für Nachwuchspolitiker, den der Christdemokrat damals haushoch für sich entschied, beschäftigte sich aus dem Stegreif mit so grundlegenden Themen wie der Frage, ob es gut sei, wenn Politiker Kochbücher schrieben. Merz hatte kurz vor seinem Einsatz dieses Sujet zugesteckt bekommen: "Achtung und Respekt vor den Älteren im Parlament - zerstört diese Einstellung die Streitkultur in der Politik?" Sehr zur Freude von Juroren wie Rudolf Dreßler und Heiner Geißler merkte Merz an, die Jüngeren müssten den Streit mit den Älteren anfangen.

"Ab heute", so Merz damals, "gehen die Jungen in die Offensive!" Diese Streitlust markierte sechs Jahre später einen Wendepunkt in der Karriere des Friedrich Merz. Nach der Wahlniederlage der Union 2002 hatte der Sauerländer, der sich in den diesen sechs Jahren bis auf den Fraktionsvorsitz der Union vorgearbeitet hatte, erkennen müssen, dass gerade unter Parteifreunden mit gezinkten Karten gespielt wird.

Wörtlich erinnert sich Merz an die Absprache, die es zwischen ihm, Angela Merkel und Edmund Stoiber damals gegeben habe. "Wir werden nach der Wahl gemeinsam über die Führung der Fraktion entscheiden." Merz hatte Stoiber entgegnet: "Sie werden sehen, dass ich mich in dieser Frage auf das Wort von Angela Merkel nicht verlassen kann." Darauf verlangte Stoiber von ihm: "Ja, nun hab doch mal Vertrauen."

Merz verließ sich - und war verlassen. Merz hat Merkel nie nachgesehen, dass am Wahlabend im Konrad-Adenauer-Haus gestreut wurde, sie habe sich mit Merz und Stoiber darauf geeinigt, dass er verzichte. Er kenne "Frau Merkel in solchen Situationen mittlerweile", hatte er damals öffentlich den Eindruck der Niedertracht Merkels verbreitet. Und er nahm sich fest vor: "Die bescheißen mich nicht noch mal." Zwei Jahre hielt er es noch aus. Dann schmiss er vollends hin, im Oktober 2004.

Denkbare Rückkehr

Seit Wochen erlebte man eine seltsame Gespaltenheit in den Gesprächen mit Unionisten über Merz. Viele wünschten sich den wortgewaltigen Mann zurück, und alle erklärten es gleichzeitig für unmöglich, dass sich zwischen Merkel und ihm je wieder ein Arbeitsverhältnis herstellen ließe, womöglich noch mit Merz auf der Schlüsselposition des Fraktionschefs, also just dort, wo sie ihn einst weggedrängt hatte und wo er in Form der Abgeordneten einen echten Machthebel in die Hand bekäme.

Nun aber ist Angela Merkel in der Situation, dass sie dem durchs politische Dickicht stolpernden Paul Kirchhof einen Profi in ihrem Kompetenzteam an die Seite stellen muss, der das Geschäft, also auch seine mediale Seite beherrscht. Es ist in der politischen Klasse Berlins nicht übersehen worden, wie Merz etwa in einem Fernsehstreitgespräch den wortgewaltigen Oskar Lafontaine öffentlich den Schneid abkaufte.

Deshalb ist eine Rückkehr von Merz auf den Fraktionsvorsitz mittlerweile wieder denkbar. Und dass er zu einer Mannschaft von Merkel dazu gehört, daran lässt Merz keinen Zweifel. "Ich mache mit", sagt er am Ende seiner Rede.

© SZ vom 16.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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