Den Haag:Wahl in der Ukraine spaltet EU und Russland

Lesezeit: 3 min

Der umstrittene Wahlausgang in der Ukraine belastet das Verhältnis zwischen Europa und Russland. Beim Gipfeltreffen mit Putin erklärte der niederländische Premier Balkenende, die EU könne das offizielle Wahlergebnis "nicht akzeptieren". Doch Putin warnte die Europäer vor Einmischung.

Niemand habe das Recht, die Ukraine "in irgendein Massen-Chaos zu treiben", so Wladimir Putin. Der bei der Wahl unterlegene Oppositionsführer Viktor Juschtschenko legte beim Obersten Gericht Protest gegen das Ergebnis ein.

Zwar forderten die Europäische Union und Russland die ukrainischen Parteien auf, nach friedlichen Auswegen aus der Krise zu suchen. Zum Abschluss des EU-Russland-Gipfels in Den Haag räumte Gastgeber Balkenende jedoch ein, Moskau und Brüssel verfolgten "unterschiedliche Ansätze".

Der niederländische Ministerpräsident, der zur Zeit den EU-Vorsitz inne hat, bemängelte, die Wahlen hätten "nicht internationalen Standards genügt". Deshalb sei ihr Resultat - der Sieg des pro-russischen Präsidentschaftskandidaten Viktor Janukowitsch - für die EU "nicht akzeptabel".

Es müsse alles getan werden für eine Lösung, die "den Willen der Wähler widerspiegelt".

Rücktritt aus Protest

Putin hatte bei der Ankunft in Den Haag erneut demonstrativ seinem Favoriten Janukowitsch zum Sieg gratuliert. Er forderte die ukrainische Opposition und deren pro-westlichen Kandidaten Viktor Juschtschenko auf, sämtliche Vorwürfe von Wahlbetrug vor Gericht zu klären.

Zugleich mahnte Putin die Europäer zur Zurückhaltung: Keinem Land stehe es zu, "sich einzumischen in die Rechte des ukrainischen Volkes". Balkenende wies diesen Vorwurf zurück. Europa wolle sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Ukraine einmischen, sondern handele "aus Interesse an der Demokratie".

Das eigentliche Ziel des Gipfels, die Unterzeichnung eines Partnerschaftsabkommens, wurde in Den Haag nicht erreicht. Der Vertrag soll nun im Mai geschlossen werden. Die Beratungen zwischen dem russischen Präsidenten und der EU-Spitze finden zwei Mal im Jahr statt mit dem Ziel, eine kontinuierliche Zusammenarbeit zu gewährleisten.

Ausländische Vermittler

In den Konflikt um die Wahl schalteten sich unterdessen ausländische Vermittler ein. Polens Präsident Aleksander Kwasniewski präsentierte einen Drei-Punkte-Plan zur Beilegung der Krise. Dieser sehe die Überprüfung des umstrittenen Ergebnisses, die Einsetzung eines Runden Tisches mit Vertretern von Regierung und Opposition sowie die Garantie von Gewaltfreiheit durch beide Parteien vor, sagte Kwasniewski in Warschau.

Zuvor hatte der scheidende ukrainische Präsident Leonid Kutschma den litauischen Präsidenten Valdas Adamkus und Kwasniewski zur Vermittlung aufgerufen, wie das litauische Präsidentenbüro in Vilnius mitteilte.

Der Nobelpreisträger und frühere polnische Präsident Lech Walesa traf in der ukrainischen Hauptstadt Kiew ein. Nach eigener Aussage soll er dort als Vertreter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Gespräche führen.

Bundesaußenminister Joschka Fischer telefonierte mit Kutschma und Juschtschenko. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes habe der Minister sich für eine Überprüfung der Wahlergebnisse unter internationaler Aufsicht ausgesprochen.

Aus Solidarität mit der Opposition legten unterdessen ein Vize-Minister und ein Staatsanwalt in der Ukraine ihre Ämter nieder. Wie die Agentur Interfax-Ukraine meldete, reichte der stellvertretende Minister für Wirtschaft und europäische Integration, Oleh Haiduk, seinen Rücktritt ein.

"Als Bürger ist es meine Position, zum Volk zu stehen", hieß es in einer Erklärung. Wenn die Ergebnisse der Wahl praktisch nirgendwo anerkannt würden, könne nicht mehr von europäischer Integration die Rede sein. Auch Wolodimir Krawez, ein Staatsanwalt aus der Region Kiew, gab sein Amt auf.

Beschwerde beim Obersten Gericht

Die Opposition legte beim Obersten Gericht des Landes Beschwerde gegen das am Mittwoch offiziell verkündete Endergebnis ein, demzufolge Janukowitsch bei der Stichwahl am Sonntag 49,46 und Juschtschenko 46,61 Prozent erhalten hatte; Opposition und internationale Organisationen hatten massiven Wahlbetrug angeprangert.

Die Anhänger Juschtschenkos weiteten ihren Protest aus. "Wir werden diesen Platz nicht verlassen, bevor uns der Sieg sicher ist", sagte Juschtschenko vor 100.000 Demonstranten in Kiew. Der pro-westliche Oppositionsführer rief die Angehörigen der Streitkräfte auf, sich einem Generalstreik anzuschließen: "Ich appelliere besonders an alle Uniformträger: Wir atmen dieselbe Luft, wir haben ein Land und eine Verfassung - schließt euch dem Streik an."

Aus Protest gegen die Wahl traten die Lehrer der westukrainischen Stadt Lemberg in den Ausstand. Teile der Belegschaft der ukrainischen Zentralbank schlossen sich an. Die Opposition drohte zudem damit, Fabriken und weitere Schulen lahm zu legen. Ein Sprecher kündigte eine Autobahnblockade an.

Der scheidende Präsident Kutschma sprach vom Versuch eines Staatsstreichs. Angesichts der sich zuspitzenden Krise kündigte der vermeintliche Wahlsieger Janukowitsch an, Gespräche mit Juschtschenko aufnehmen zu wollen. Die Opposition bekräftigte dagegen, sie werde nur mit Kutschma verhandeln, und zwar ausschließlich über eine Machtübergabe.

© SZ vom 26.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: