Den Haag:Milosevic: Deutschland war verantwortlich für Balkankonflikt

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Der vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal angeklagte frühere jugoslawische Präsident hat die Anschuldigungen gegen ihn als "schamlose Lügen" bezeichnet: Schuld an der Zerstörung Jugoslawiens sei die Weltgemeinschaft gewesen, allen voran die deutsche Regierung.

Der frühere jugoslawische Staatspräsident Slobodan Milosevic hat am Dienstag nach mehrmonatiger Verzögerung mit seiner Verteidigung im Prozess vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag begonnen.

Dabei kritisierte er die Richter, weil sie ihm nur vier Stunden Zeit für seine Eröffnungserklärung gegeben hätten.

Milosevic wirkte erholt, als er mit sonnengebräuntem, zum Teil vor Erregung gerötetem Gesicht seine Darstellungen vortrug.

Die internationale Gemeinschaft habe in den 90er Jahren als treibende Kraft "hinter der Zerstörung Jugoslawiens" gestanden, sagte Slobodan Milosevic vor dem Gericht. "Die Anschuldigungen gegen mich sind schamlose Lügen", erklärte er.

In erster Linie sei Deutschland für die Konflikte der neunziger Jahre im früheren Jugoslawien verantwortlich. Vor allem deutschen Politikern hätten die Zerstörung Jugoslawiens durch schnelle Anerkennung der nach Unabhängigkeit strebenden Kräfte in Kroatien und Slowenien betrieben.

"Außenminister Genscher war der Hauptkriminelle"

"Außenminister Genscher war der Hauptkriminelle bei der Zerstörung Jugoslawiens", wiederholte Milosevic eine frühere Behauptung. Er wies den von der Anklage erhobenen Vorwurf zurück, dass er selbst durch eine Politik groß-serbischer Vormacht für Verbrechen im Kosovo, in Kroatien und in Bosnien-Herzegowina verantwortlich gewesen sei.

Dem ehemaligen Staatschef werden Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen.

Beobachter hatten einen angriffslustigen politischen Auftritt des 63-Jährigen erwartet. Die Verteidigungsphase ist auf 150 Prozesstage festgelegt, Milosevic möchte aber mehr als 1600 Zeugen aufrufen.

Wegen seiner Rolle in den Kriegen in Kroatien (1991-1995), Bosnien (1992-1995) und im Kosovo (1999) ist er in mehr als 60 Punkten angeklagt. Im Falle seiner Verurteilung droht ihm lebenslange Haft.

Eigentlich hätte die Verteidigung schon im April das Wort haben sollen. Der Termin wurde jedoch wegen gesundheitlicher Probleme Milosevics bislang fünf Mal verschoben.

Das Gericht unter dem Vorsitz von Richter Patrick Robinson wird sich auch mit der Frage befassen, ob sich Milosevic weiter alleine selbst verteidigen darf.

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