Degler denkt ...:Weltmacht Europa

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Die Indizien für eine Machtverschiebung zwischen Europa und den USA mehren sich. Ob Weltklima, globale Standards oder internationale Sicherheitspolitik: Europas Bedeutung wächst.

Dieter Degler

Haben Sie schon Ihren nächsten Urlaub geplant? Wir schon. Meine Familie reist kommendes Jahr ins neue Billigreiseland USA. Für einen Ferien-Euro gibt es fast anderthalb Urlaubsdollar. So einladend preiswert war die amerikanische Währung noch nie.

Oder andersherum: Der Euro, der nach seiner Einführung zunächst geschwächelt hatte - und über den wir in Restaurants geschimpft haben, weil die Beträge fast dieselben waren wie zu DM-Zeiten - , ist zu ungeahnter Prosperität gereift. Neben Yen und Dollar ist er weltweit zur Leitwährung aufgestiegen.

Nun kann es noch ein Weilchen dauern, bis 40 Prozent der Weltwährungsreserven in Euro abgesichert sind ( Deutsche-Bank-Prognose: bis 2010). Doch der für Euro-Touristen günstige Wechselkurs, der jetzt Europas Exporteure belastet, ist eines der Indizien für die wachsende Bedeutung des alten Kontinents im Verhältnis zur Neuen Welt.

Im Gange ist eine Verschiebung der globalen Einflusskräfte: weg von der einzig verbliebenen Weltmacht USA, hin zu den G22- Staaten unter Führung von China, Indien und Brasilien und, vor allem, hin zu Europa.

Es sind zunehmend Europäer, welche die Richtung vorgeben: Es war Gordon Brown, der diese Woche als erster Sanktionen gegen die birmesische Militärdiktatur eingefordert hat. Es ist Europa, das den Kampf gegen die Klimakatastrophe anführt. Es sind europäische Richter, die den amerikanischen Microsoft-Konzern in seinem Streben nach globalen Monopolen bremsen. Und es ist Brüssel, das sich gerade zum Regulierer der Weltwirtschaft entwickelt.

Europa als Hort von Stabilität, Vernunft und Diplomatie

Ob Autos recycelt werden müssen, Elektrogeräte keine Schwermetalle enthalten dürfen oder Lippenstifte frei von Substanzen sein müssen, die krebserregend sein könnten - die EU diktiert dank ihrer ökonomischen Kraft als größter Wirtschaftsblock der Welt und ihrer auf Nachhaltigkeit angelegten wirtschaftspolitischen Philosophie mittlerweile weltweit Normen und Standards für Konsumgüter.

Und während die USA international derzeit durch wenig überlegte Außenpolitik mit schlimmen Folgen, als Dauer-Weltrekordler der Schuldenmacher und katastrophal-riskantes Gebaren von Finanzinstituten auffallen, gilt Europa zunehmend als Hort von Stabilität, Vernunft, Diplomatie und ökonomisch-ökologischer Nachhaltigkeit.

Wenn der für Guantanamo und hunderttausende Irak-Opfer verantwortliche US-Präsident vor den Vereinten Nationen das Hohelied von Freiheit und Menschenrechten intoniert, wirkt er unglaubwürdig. Wenn die Europäerin Merkel am gleichen Rednerpult die Nationen zur Rettung des Weltklimas verpflichten möchte, überzeugt sie.

Und der 2000 von den EU-Regierungschefs in Lissabon proklamierte Ehrgeiz, "im Rahmen des globalen Ziels der nachhaltigen Entwicklung ein Vorbild für den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fortschritt in der Welt zu sein", trägt allmählich Früchte.

Dazu passt, dass Deutschland hartnäckig auf den dritten ständigen Sitz für ein EU-Land im Weltsicherheitsrat drängt. Dazu passt auch, dass Frankreich seine Rückkehr als Vollmitglied der Nato angekündigt hat. Beides könnte ein Gewinn für die internationale Gemeinschaft sein.

Und dazu passt auch ein Erklärungsversuch der globalen Machtverschiebungen, den der Londoner Economist diese Woche unter Bezug auf das Microsoft-Urteil des Europäischen Gerichtshofs anstellte: Europas Philosophie sei möglicherweise deshalb erfolgreicher, weil sie dem dauerhaften Prinzip der Vorbeugung folge, während die amerikanische Einstellung auf kurzfristigen Kosten-Nutzen-Abwägungen beruhe.

Dass der Bedeutungszuwachs Europas allerdings auch noch andere Folgen haben wird, hat sich vielen Europabürgern, denen Brüssel unverändert fern und fremd ist, noch kaum enthüllt. Sicher scheint, dass wir uns wohl auf ein paar Veränderungen gefasst machen müssen:

Das Verhältnis Europa-USA wird zunehmend durch politisch-wirtschaftlichen Wettbewerb definiert werden. Insofern sind partnerschaftlicher Umgang und Bündnisse miteinander wichtiger denn je. Jedes Verhalten, das als Überheblichkeit empfunden werden könnte, ist schädlich, mehr Selbstbewusstsein aber nötig.

Europa wird auf Dauer nur dann eine wichtigere Funktion ausüben können, wenn die innereuropäische Einheit mit dem äußeren Machtzuwachs einhergeht. Die Verabschiedung des EU-Reformvertrags und die Prozesse der politischen Homogenisierung und des Gewinns von internationaler Handlungsfähigkeit geraten unter Zeitdruck.

"Europa ist doch genauso geil"

Begehrlichkeiten von außen werden zunehmen. Ein Europa, das in globalem Maßstab mindestens so attraktiv ist wie die Vereinigten Staaten, wird noch stärker zum Zufluchts-Pol der Armen und Verfolgten aus Afrika und Asien. Das hat unter anderem Folgen für die Außen-, Entwicklungs- und Integrationspolitik.

Die Kosten werden steigen. Denn innereuropäische Auseinandersetzungen wie auf dem Balkan werden künftig weitgehend innereuropäisch zu lösen sein. Und Europa wird stärker bei der Lösung außereuropäischer oder globaler Konflikte gefordert werden.

Und schließlich: Die Welt wird noch genauer hinschauen, was ein Europa mit höchster Verantwortung in welcher Situation tut oder unterlässt. Wer glaubhaft Vorbild für die Welt sein möchte, muss sich auch vorbildlich verhalten.

Diese und viele andere Anstrengungen stehen dieser und den nächsten Generationen bevor. Das wird nicht leicht gehen und schon gar nicht schnell. Und es wird, je nach individueller oder regionaler Situation, auch manchmal Anlass zu Ärger geben.

Spannend bleiben der politische Gewichtsgewinn von good old Europe und seine Konsequenzen allemal. Und schon deshalb folge ich meiner Tochter Antonia, 13, die sich schon jetzt auf den Familientrip über den Atlantik freut. "Europa", sagt sie, "ist doch genauso geil."

Dieter Degler ist Publizist und Unternehmensberater und war langjähriger Chefredakteur von Spiegel online.

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