Degler denkt:Traue keinem unter 70!

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Das Comeback von Oldie Theo Waigel bei Siemens zeigt: Nach Jahrzehnten des Jugendwahns ist die Erfahrung von Älteren wieder mehr gefragt.

Dieter Degler

Es gab eine Zeit, da machten sich Gesellschaften die Erfahrungen ihrer ältesten Mitglieder zunutze. Sie gingen davon aus: Wer lange gelebt hatte, traf weniger Fehlentscheidungen als Jüngere. Im alten Sparta etwa hatten die Geronten Verfassungsrang, aber das ist lange her. Heute gibt es allenfalls bei einigen Amazonasstämmen noch Dorfälteste, die etwas zu sagen haben.

Theo Waigel ist vom Siemens-Konzern zum Anti-Korruptionsbeauftragten berufen worden. Er wird im kommenden Jahr 70 Jahre alt. (Foto: Foto: Getty)

Bei uns Erstweltlern sind der - einflussarme - Ältestenrat sowie der Alterspräsident des Bundestages geblieben. Ansonsten ist Jugend Trumpf, alt ist höchstens der Weihnachtsmann.

In der Politik dominieren die Obamas statt der Adenauers. Alte kommen, abgesehen von Johannes Heesters, öffentlich nur noch in Werbefilmchen für Lebensversicherungen und in der Dove-Reklame vor. Vor wenigen Jahren forderte der gerade ins CDU-Präsidium promovierte Chef der Jungen Union, Philipp Mißfelder, Omas und Opas bräuchten keine künstlichen Hüftgelenke auf Kassenkosten. Und manche Teenager nennen Alte einfach "Gammelfleisch".

Ein wenig scheint sich das allerdings zu ändern. Gerade hat das einst bestechende Weltunternehmen Siemens den Oldie und ehemaligen Finanzminister Theo Waigel (CSU), der sich schon auf seinen 70. Geburtstag freut, für vier Jahre zum Anti-Korruptionsbeauftragten berufen. Der alte Schwabe, der das größte Vorkrisendefizit in einem Bundeshaushalt zu verantworten hatte, soll unter anderem dem US-Justizministerium und der amerikanischen Börsenaufsicht SEC regelmäßig Bericht erstatten, ob und wie die neuen Spielregeln bei Siemens eingehalten werden.

Waigel ist mit seiner späten Berufung nicht alleine: Sein alter Parteispezi Edmund Stoiber, auch schon 67, kümmert sich in Brüssel um die Entbürokratisierung der EU-Behörden. Und wenn irgendwo in Deutschland etwas zu schlichten ist, etwa in Tarifkonflikten, greifen die streitenden Parteien gerne auf bewährtes Personal zurück: zum Beispiel auf Kurt Biedenkopf, 78, oder Heiner Geißler, ebenfalls 78. Auch der Altkanzler und Weltökonom Helmut Schmidt, der nächste Woche neunzig wird, ist angesichts der schwerstwiegenden Wirtschaftskrise seit Gründung der Republik derzeit ein gefragter Ratgeber.

Schon schauen sich ein paar Unternehmen in Deutschland bei den seltener werdenden Stellenausschreibungen besonders gerne Bewerber jenseits der 50 an. Neuerdings gibt es sogar so etwas wie einen Ältestenrat für das globale Dorf: Der Popmusiker Peter Gabriel ("Sledgehammer") und Richard Branson, einer der kreativsten Entrepreneure Europas, haben ihn ins Leben gerufen und die Basisfinanzierung übernommen. Die große Aufgabe von The Elders (www.theelders.org): Die Mitglieder sollen mit ihrer riesigen Erfahrung und Unabhängigkeit in den Krisenregionen des Planeten mit Rat und Tat zur Stelle zu sein.

Im Startteam von The Elders sind, neben Branson und Gabriel, nur politische und/oder ethische Giganten vertreten, die allesamt Silverback-Status aufweisen: Die Südafrikaner Nelson Mandela und Bischof Tutu, Jimmy Carter, die Norwegerin Gro Harlem Brundtland, der ehemalige Finanzminister und Präsident von Brasilien, Fernando Henrique Cardoso, die burmesische Bürgerrechtlerin Aung Sang Suu Kyi und Ex-UN-Chef Kofi Annan. "Diese Leute", umschreibt Branson, "bekommen jederzeit und überall einen Termin."

Es wäre schön, wenn demnächst auch der ein oder andere Deutsche bei The Elders mitmachen würde. Es muss ja nicht Theo Waigel sein.

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