Degler denkt:Neufünfland in Sicht

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Die Berliner Parteiführungen von CDU und Alternativen haben die Türen für Schwarz-grün weit geöffnet. Der Start in ein Zeitalter neuer Koalitionen scheint nahe.

Dieter Degler

Es gibt einige Argumente, die gegen ein schwarz-grünes Bündnis in Hamburg sprechen. Die "Schnittmenge", wie die GAL-Spitzenkandidatin das preistreibend nennt, sei halt "gering". Es gibt allerdings auch ein paar gewichtige Gründe für die Haltung des Grünen-Bundesvorstandes, der seine hanseatische Dependance geradezu ermuntert, es mit Ole von Beust zu versuchen. Der wichtigste ist, die Partei auf die Zukunft in Parlamenten mit fünf Fraktionen auszurichten. Denn in diesem Neufünfland werden andere Koalitionen regieren als im vergangenen Jahrtausend. Rot-Grün oder Schwarz-Gelb allein wird künftig mangels Masse kaum noch regierungsfähig sein.

Im Wahlkampf haben Schwarze und Grüne in Hamburg noch Unterschiede in den Mittelpunkt gerückt, jetzt entdecken sie Gemeinsamkeiten. (Foto: N/A)

Ein zweiter Grund liegt in der politischen Opportunität. Auch Angela Merkel hat erkannt, dass die Grünen ihrer Partei mehr Bündnisbeweglichkeit verleihen , zu der auch die Person des Hamburger Regierungschefs gehört. Ole von Beust ist nach Vita und Habitus ein liberalkonservativer Politiker. So wenig derzeit Annäherungen an Roland Kochs CDU oder Günther Becksteins CSU möglich erscheinen: Eine erste Koalition auf Landesebene in Hamburg wäre keine Todsünde.

Das wäre sie auch deshalb nicht, weil - drittes Argument - die Wurzeln der grünen Partei nicht nur in der SPD und bei den neuen sozialen Bewegungen zu finden sind, sondern auch tief ins Lager der Union reichen. Umweltschutz war und ist durchaus auch ein konservatives Thema. Der erste grüne Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl 1979 hieß Herbert Gruhl. Er saß zuvor als CDU-Umweltpolitiker im Bundestag und hatte den von Helmut Kohl verachteten Bestseller "Ein Planet wird geplündert" verfasst. An seiner Seite kämpfte der erzkonservative schleswig-holsteinische Landwirt und Grünen-Mitbegründer Baldur Springmann. Und der von der CSU zu den Grünen gewechselte Politologe Alfred Mechtersheimer, der für die Alternativen bis 1990 im Bundestag saß, wird heute vom Verfassungsschutz sogar als rechtsextrem eingestuft.

Natürlich sind das Wahrheiten, auf die sich die GAL-Gewaltigen kaum berufen werden, wenn sie ihrer stramm linksgewirkten Hamburger Basis eine schwarz-grüne Koalition schmackhaft machen wollten. Und es ist deshalb - und wegen der kleinen Schnittmenge zwischen den ungleichen Partnern - noch immer wahrscheinlicher, dass es in dem Stadtstaat zur großen Koalition kommt.

Die Berliner Grünen-Granden sollten allerdings andere Interessen verfolgen. Für die Zukunft ihrer Partei kommt es darauf an, sich möglichst schnell von der überkommenen Festlegung auf Rot-Grün zu verabschieden, wenn sie den Auftrag ihrer Wähler zum Regieren gelegentlich auch wieder erfüllen wollen.

Schwarz-Grün im Norden wäre auch ein Signal für alle Parteien in Neufünfland: Es könnte der SPD helfen, sich - je früher, je besser - der Linkspartei so weit zu öffnen wie schon seit langer Zeit im Berliner Rathaus. Und es sollte der FDP, am besten schon in Hessen, die Erinnerung daran erleichtern, dass sie extrem erfolgreiche Jahre als Partner der SPD erlebt hat. Gelingt den Liberalen dieser Befreiungsschlag nicht, könnten die Wahlergebnisse von Hessen und Hamburg die ersten Meilensteine am Weg in die politische Bedeutungslosigkeit der FDP gewesen sein.

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