Degler denkt...:Go Besatzer, go

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Der Widerstand gegen den Irak-Krieg hat die Republikaner erreicht: George W. Bushs wichtigster Verteidigungspolitiker im Kongress bläst zum Rückzug. Die USA lernen - auch aus der eigenen Geschichte jenseits des Vietnamkriegs.

Dieter Degler

Auch wenn ich Land, Leute und die transatlantischen Bindungen schätze und zu den umschmeichelten Wahlkampfunterstützern von Frau Clinton ("I'm so proud to have you by my side") gehöre, bin ich doch kein Amerikaner, sondern Europäer.

Und zwar einer aus dem alten Europa, wo George W. Bush gerne die weltpolitischen Warmduscher verortet. Gerade war ich aber für einige Zeit in Noch-Bush-Country - Boston (Marathon), Philadelphia (Geschichte), Washington (Politik) - und dort kam mir eine Geschichte in den Sinn, die zum Irak-Desaster passt und ungefähr so geht:

Es war einmal eine Weltmacht mit vielen Kolonien. In einer davon, wo der Drang nach Unabhängigkeit besonders stark war, rotteten sich die Bürger zusammen - die Weltmacht sollte sich zurückziehen. Doch das starke Land wollte nicht, es brauchte die Kolonie aus wirtschaftlichen Gründen und, was als genauso wichtig annonciert wurde: Es wähnte sich als Mutterland der Demokratie, die es den Menschen in Übersee bringen wollte.

Leider hatten die Leute dort zu großen Teilen ganz andere Vorstellungen von Politik und Religion als die Kolonialisten. Es kam zu Revolten, offenem Widerstand und Terroranschlägen. Die Schlacht, die immer mehr Bürger der Weltmacht dahinraffte, dauerte acht Jahre - dann waren die Vereinigten Staaten von Amerika unabhängig von England.

Warners Worte hätten die Kraft, so US-Kommentatoren, den Krieg zu beenden

Man muss also gar nicht auf den Vietnamkrieg verweisen, wenn man den Amerikanern zum Abzug aus Bagdad rät. Was die Demokraten Obama (barackobama.com), Frau Clinton (hillaryclinton.com) und eine wachsende Mehrheit der artikulierten US-Bürger unisono fordern, lässt sich auch aus der eigenen Geschichte herleiten: Go Besatzer, go.

Dieser Ansicht hat sich - die Washingtoner Sensation der Woche - nun auch Bushs wichtigster Verteidigungspolitiker im US-Kongress, der konservativ-republikanische Senator John Warner (Virginia), angeschlossen. Er, der Bushs Krieg bis vergangene Woche nahezu bedingungslos unterstützt hatte, fordert nach einem Besuch im Irak, "noch vor Weihnachten" mit dem Truppenabzug zu beginnen. Warners Worte, fanden US-Kommentatoren, hätten die Kraft, den Krieg zu beenden.

Dass es zu dieser nun auch in Bushs eigene Partei hineinwirkenden Massenposition so lange gedauert hat, ist ebenfalls sehr amerikanisch: Die einzige amtierende Supermacht ist stark und neigt zur Selbstgefälligkeit - was in Kombination dazu führt, dass sie sich immer irgendwie unschlagbar fühlt.

Der nächste Präsident wird an diesem Thema arbeiten müssen. Oder, um es mit Hillarys wichtigstem PR-Berater Bill zu sagen: "Das ist wichtig in einer Zeit, in der wir aufhören müssen, Feinde zu produzieren und wieder beginnen müssen, Verbündete zu haben."

PS: Wer Clinton und Obama live oder im TV erlebt hat, weiß: Obama scheint in mancher Hinsicht der einen Tick stärkere Kandidat zu sein - authentischer, überzeugender und so entwaffnend jungenhaft-sympathisch wie ein getönter John F. Kennedy, falls sich jemand erinnert.

Was allerdings im Rennen um die nächste Präsidentschaftskandidatur kaum den Ausschlag geben wird, falls Obamas Mitbewerber ihn weiterhin erfolgreich als unerfahren darstellen können. Gelingt es Obama nicht, diese offene Flanke zu schließen, ist das Rennen für Hillary gelaufen. Eine Frau auf dem Staatssessel Nummer eins bedeutet für die USA offenbar schon ein Höchstmaß an Revolution. Und es wäre auch tatsächlich eine.

Degler ist Publizist und Unternehmensberater und war langjähriger Chefredakteur von Spiegel online.

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