Degler denkt:Falsche Farbe an der Ampel

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Die Grünen werden vom Thema des Jahres kalt erwischt. Zur Großen Krise fällt ihnen nicht viel ein - ihnen fehlt wirtschaftliche Kompetenz.

Dieter Degler

Die deutschen Banken sollen gutbetuchte einheimische Privatkunden nicht länger von Tochtergesellschaften in Steueroasen betreuen lassen, war eine Nachricht dieser Woche - eine vernünftige und längst überfällige Forderung. Denn für das Ausweichen nach Liechtenstein oder die Cayman Islands kann es eigentlich nur einen Grund geben: die Absicht, Steuern zu hinterziehen. Absender der Forderung war Gerhard Schick.

Plakat der Grünen zum Europawahlkampf (Foto: Foto: dpa)

Den kennen Sie wahrscheinlich nicht, und das ist auch schon ein Teil des Problems. Herr Schick ist finanzpolitischer Sprecher seiner Partei im Bundestag, also jemand, von dem man in der großen Konjunktur- und Finanzkrise ähnlich viel und ähnlich Lautes hören müsste wie von seinen Kollegen Peer Steinbrück von der SPD. Dem ist aber nicht so, was nicht an Herrn Schick liegt, sondern an der Partei, der er angehört: den Grünen.

Eine Schwäche, die in ruhigeren Zeiten nicht so stark auffällt

Die stärkste globalwirtschaftliche Erschütterung seit 80 Jahren scheint eine Nummer zu groß zu sein für die einstige Ökopartei. Während die FDP, der ewige Konkurrent um Rang drei im Parteiensystem, sich in Umfragen und zuletzt auch bei der Hessen-Wahl zunehmender Beliebtheit erfreut, fristen die Grünen trotz ihrer Forderung nach einem Green New Deal ein Schattendasein.

Das liegt zum einen daran, dass in der Großen Krise die Ökonomie vor der Ökologie rangiert, was man bedauern mag. Es liegt aber mindestens ebenso daran, dass nun eine Schwäche der Partei hervortritt, die in ruhigeren Zeiten nicht so stark auffällt: Es mangelt ihr an Wirtschaftskompetenz.

Wenn beispielsweise der neue Vorsitzende Cem Özdemir nach Rezepten gegen den globalen Konjunkturcrash gefragt wird, fällt ihm zwar ein, dass es auch noch die Klimakrise gibt, aber eine konkrete Antwort bleibt er schuldig. Und während Özdemirs Truppe vergangenes Jahr einen verdienstvollen Sonderparteitag zum Afghanistan-Einsatz deutscher Soldaten einberief und damit den Stimmungsnerv vieler Bürger traf, fällt ihr Vergleichbares zur größten politischen Herausforderung dieses Jahres nicht ein.

Mit Ampel-Träumen hausieren gehen

Es scheint sich zu rächen, dass Özdemirs Vorgänger den eitlen, aber sachkundigen und medienwirksamen Wirtschafts-Realo Oswald Metzger vergrault haben. Es wirkt sich aus, dass die kompetente Finanzpolitikerin Christine Scheel, die ihrer Partei mit klugen Fragen und Vorschlägen wachsendes ökonomisches Profil und Respekt eintrug, in die Fraktionsführung aufgerückt ist. Dort säbelt sie nun gegen die "gigantische Staatsverschuldung, falsch angelegtes Bankenrettungspaket und schlechtes Konjunkturpaket". Aber das wusste die interessierte Öffentlichkeit schon vorher, und Scheels finanzpolitisches Florett verrostet.

Während die Bürger von Parteien und Politikern erwarten, dass sie Rezepte gegen die Krise entwickeln, geht das grüne Spitzenduo Renate Künast und Jürgen Trittin mit Ampel-Träumen hausieren. Statt sich auf das wichtigste Thema seit Jahrzehnten zu konzentrieren, bringen die beiden die Basis mit vorzeitigen und unsinnigen Planspielen für Bündniskonstellationen gegen sich auf, die nach der Bundestagswahl eintreten könnten oder auch nicht.

Wenn die Partei so weitermacht, könnte die Ampel für eine Machtbeteiligung der Grünen im Herbst die falsche Farbe zeigen.

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