Degler denkt:Die Renten-Drückeberger

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Jürgen Rüttgers, der selbsternannte Sozialbeauftragte der Union, mag mit seinem Vorstoß gegen Altersarmut danebenliegen. Doch sein Hinweis auf die Risiken des deutschen Rentensystems stimmt.

Dieter Degler

Vor einiger Zeit habe ich mich - man weiß ja nie - bei der Bundesversicherungsanstalt danach erkundigt, ob ich eines fernen Tages tatsächlich in den Genuss einer Rente komme. Antwort: Ja - und wenn sich nichts ändert, könnten es monatlich knapp über 1000 Euro werden.

Die Durchschnittsrente liegt derzeit bei 800 Euro monatlich. Doch Fakt ist: Die Altersarmut in Deutschland nimmt zu. (Foto: Foto: AP)

Damit muss man nicht verhungern, aber für größere Sprünge reicht es nicht. Und dennoch gehört man damit schon zur besseren Hälfte der Renten-Erwarter. Die Mehrheit liegt unter 1000 Euro, die Durchschnittsrente bei rund 800 Euro. Und knapp sechseinhalb Prozent der Rentner beziehen zwischen null und 600 Euro. Das nennt der nordrhein-westfälische Regierungschef Jürgen Rüttgers zu Recht: Altersarmut.

Mit seinem Vorschlag, Rentner, die lange eingezahlt hätten, müssten auch eine höhere Rente erzielen als die Grundsicherung, ist der Christdemokrat allerdings bei seiner Kanzlerin auf Widerstand gestoßen. Die Rente solle sich an der eingezahlten Gesamtsumme bemessen und nicht an der Einzahlungsdauer - nicht finanzierbar, passt nicht ins System, basta. Thema erledigt?

Mitnichten. Denn Rüttgers weist zu Recht auf die wachsende Altersarmut und andere Risiken der demographischen Lawine hin. Es stimmt, dass es ungerecht ist, wenn jemand, der sein Leben lang eingezahlt hat, bei Rentenantritt ebenso dasteht wie jemand, der immer nur von staatlichen Transferleistungen gelebt hat. Und sein Vorstoß belegt einmal mehr die dringende Notwendigkeit, das System grundsätzlich zu reformieren - eine Arbeit, vor der sich alle Regierungen der Bundesrepublik seit Jahrzehnten drücken.

Vorbild Schweiz

Spätestens, wenn die in den sechziger Jahren geborenen Baby-Boomer in Rente gehen, könnte das System zusammenbrechen. Und deshalb ist es richtig, jetzt nach effizienten, gerechteren und vor allem nachhaltigeren Alternativen zu suchen.

Dabei kann es - unabhängig von der Tatsache, dass Renten- und Arbeitsmarktpolitik eng miteinander verzahnt sind - helfen, über die Grenzen des Landes und des Kontinents hinauszuschauen, wo die Probleme ähnlich, die Lösungen aber womöglich besser sind.

Beispiel Schweiz: Dort zahlen Arbeitnehmer nicht einmal zehn Prozent ihres Lohnes in die gesetzliche Versicherung ein, während es bei uns rund 20 Prozent sind. Der Grund: Auch Selbständige und Beamte, also die Besser- und Bestverdiener, müssen berappen. Und: Es gibt keine Bemessungsgrenze. Wer eine Million Franken verdient, zahlt darauf den gleichen Satz wie ein kleiner Angestellter, bekommt aber im Alter nur die gleiche Höchstrente - eine sozial gerechte Umverteilungsmaschine, die vorbildlich ist.

Beispiel Chile: Gegen alle Wetten hat sich das 1981 von Diktator Pinochet eingeführte Rentensystem bewährt und gilt unter Wirtschaftswissenschaftlern als vorbildlich. Das Prinzip: Nicht der Staat verwaltet die Einzahlungen der Pflichtversicherten, sondern börsennotierte Fondsgesellschaften. Und die erwirtschaften mit dem Geld ihrer Anleger nicht nur beeindruckende Erträge, sondern kurbeln mit dem Geldstrom der Versicherten auch noch die nationalen Kapitalmärkte an.

Fazit des renommierten Berliner Forschungsinstituts für neue Alterssicherungssysteme: "Die Durchführung der obligatorischen kapitalgedeckten Altersvorsorge durch private Pensionsfonds könnte Modellcharakter auch für eine ergänzende obligatorische kapitalgedeckte Altersvorsorge in Deutschland haben."

Es gibt ja immer wieder mehr oder minder überlegte Vorschläge, das einsturzgefährdete deutsche Rentensystem zu reparieren. Sie sind nicht immer ausgegoren und manchmal nicht zu bezahlen, aber für das nationale Gerechtigkeitsklima wichtiger als neunmalkluge Ideen zur Begrenzung von Managergehältern. Und es ist allmählich höchste Zeit zu handeln.

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