Degler denkt:Deutschland sucht den Supergewerkschafter

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Die Gespräche zwischen den Betonköpfen von Bahn und GDL sind wieder in Gang gekommen. Doch die Tarifpolitik hat Schaden genommen, denn andere Gewerkschaften könnten aus dem eitlen Gebaren Schells die Schlussfogerung ziehen: Streik ist geil.

Dieter Degler

Haben Sie schon von den verdi-organisierten Streiks der Beschäftigten in der Versicherungswirtschaft gehört? Die laufen schon seit einer Woche. Aber weil sie nicht im Wahrnehmungsspektrum von Frau Will liegen, kriegen die meisten Menschen das nicht mit.

Der Dieter Bohlen der GDL: Manfred Schell (Foto: Foto: Getty Images)

Anders ist das in Sachen Bahn. Die Herren Schell und Mehdorn sind bei uns Thema beim Abendbrot, seit meine Kinder sich beim Warten auf die S-Bahn zur Schule einen Schnupfen gefangen haben. Und da ging dann die Fragerei los: Wieso fährt die nicht? Warum bekommen die Lokführer nicht mehr Geld? Und wer bezahlt das dann, wenn sie mehr bekommen?

Nun bin ich als Hobbypädagoge bestenfalls im unteren Mittelfeld anzusiedeln. Und ich tat mich auch als Verkünder des Merkel-Evangeliums schwer, dass der Aufschwung auch in die tiefsten Tiefen der Hamburger S-Bahn-Tunnel schwappen müsse. Kindern zwischen drei und dreizehn Jahren die blutig erkämpften Errungenschaften der Arbeiterbewegung von Streikrecht bis Tarifautonomie nahebringen zu wollen, schien mir ebenso wenig aussichtsreich.

Keine Entschuldigung für die Schmierseifenopfer

Aber dann, kurz vor einem schon fühlbaren Grundsatzkonflikt mit meiner Frau, der Klimaretterin durch Bahnfahren und fleischlose Ernährung, kam am Ende doch heraus, dass nicht Herr Mehdorn zahlt, sondern das Bahnfahren teurer werden wird. Dass nach jedem Streik wieder etwas teurer wird und deshalb immer wieder Leute streiken müssen, damit sie die gestiegenen Preise für Flugtickets, die Müllabfuhr oder Bankdienstleistungen noch bezahlen können. Und dass das auch gerecht ist, weil ja die Leute, die arbeiten, erst den Aufschwung gemacht haben.

Was aber nicht als Entschuldigung der Sturköpfe Schell und Mehdorn und klaglose Hinnahme ihrer seit Monaten aufgeführten Schmierseifenoper missverstanden werden darf. Denn wie sich der ehemalige Reservelokomotivführer-Anwärter von der GDL und der als Sprachpanscher des Jahres 2007 (service point, counter, McClean) ausgezeichnete Bahnchef in der Auseinandersetzung um eine gerechte Entlohnung von Triebfahrzeugführern und Begleitpersonal öffentlich und in feinem Zusammenspiel mit Medien und Politik gerieren, hat zwar auch Unterhaltungswert, ist aber auch geeignet, in der Verfassung verankerte Grundpfeiler des Sozialstaats zu beschädigen: Tarifauseinandersetzungen als Volksbelustigung, Tarifautonomie als Kann-Bestimmung und Schlichter als Hanswurste sind schädlich für den Arbeitsfrieden in Deutschland.

Tarifpolitik als Showbusiness

Wozu haben eigentlich die Mediatoren Geissler und Biedenkopf gearbeitet, wenn der Bahnchef ihrem Schlichtungsergebnis zwar zustimmt, sich aber hernach monatelang keinen Deut darum schert? Warum verweist der sonst eher als stilles Regierungswasser aufgefallene Wolfgang Tiefensee seit dem Sommer gebetsmühlenhaft auf die Tarifautonomie, bis er sich endlich bequemt, als Repräsentant des Bahn-Alleineigentümers Bundesrepublik auch Verantwortung zu übernehmen und die Streithähne an einen Tisch zu bringen. Und was reitet eigentlich SPD-Chef Beck, wenn er die Tarifautonomie gerade durch die Wahrnehmung derselben in Gefahr sieht und Druck auf die Eisenbahner macht?

Keine Frage: Spätestens mit dem Lokführer-Showdown ist auch Tarifpolitik zum Showbusiness mutiert. Gesprächsangebote werden in Talkshows vorverhandelt, Arbeitnehmervertreter sonnen sich im Scheinwerferlicht von TV-Sendern, Print-Medien überschlagen sich, wenn ein Gewerkschafter bei Will nicht auftreten darf.

Künftige Tarifauseinandersetzungen, das werden andere Gewerkschaften aus dem eitlen Gebaren des Kollegen Schell lernen, müssen öffentlich so nervensägend wie Werbekampagnen inszeniert werden: Streik ist geil. Deutschland sucht den Supergewerkschafter? Der Dieter Bohlen der GDL gehört zu den Favoriten.

Gute Wünsche für den Ruhestand

Dass er nach dem Schlichterspruch vom August, der den eigenen Tarifvertrag vorsah, in der Sache besser liegt als sein Widersacher mit dem Poker-Lächeln, wirkt da fast schon wie eine Nebensache. Die 75 bis 100 Millionen Euro Schaden, die durch den Bahnstreik bislang entstanden sein sollen, gehen auf das Konto des Mannes, der die Bahn so gerne an die Börse geführt hätte. Da ahnt man schon, wie sich der Aktienkurs unter Mehdorn entwickeln würde.

Nun reden sie wieder miteinander, und Manfred Schell wird ein letztes Mal die Blitzlichtgewitter genießen, wenn die Einigung gefunden sein wird. Dann, wenige Wochen danach, wird er im Halbschatten des wohlverdienten Ruhestands verschwinden, für den ihm alle guten Wünsche sicher sind. Möge sein Freund Mehdorn ihm bald folgen.

PS: Wie die Verhandlungen am Ende ausgehen, weiß ich auch nicht. Aber geht es nach Google-Treffern, liegt Mehdorn gegen Schell klar hinten: Mit rund 450.000 Treffern zu 1.200.000.

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