Dalai-Lama-Empfang:"Hexe Angela" - Chinesen beschimpfen Merkel

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Im Vorfeld des Treffens zwischen Kanzlerin und Dalai Lama dürfen chinesische Internetnutzer in Online-Foren Angela Merkel wieder persönlich - etwa als "Hexe" - angreifen, ohne dass der staatliche Zensor die Attacke sofort streicht. Rückhalt für Merkel kommt aus dem Regierungslager und aus der Opposition.

Gebetsmühlenartig wiederholt die Sprecherin des Pekinger Außenministeriums, Jiang Yu, den chinesischen Widerstand gegen das erste Treffen eines deutschen Regierungschefs mit dem Dalai Lama, dem religiösen Oberhaupt der Tibeter.

Sie hat ihn 2005 getroffen - und sie will ihn wieder treffen, auch wenn China das nicht passt: Angela Merkel und der Dalai Lama. (Foto: Foto: ddp)

Der Protest schien zunächst nicht so heftig wie erwartet. Doch die Warnung, dass die Beziehungen Peking-Berlin Schaden nehmen könnten, ließ deutsche Diplomaten und Wirtschaftsvertreter bangen, was nach dem - offiziell als "privater Gedankenaustausch" beschriebenen - Sonntagsempfang im Kanzleramt noch kommen mag.

Ein ebenfalls für diesen Sonntag in München geplanter deutsch-chinesischer "Rechtsstaatsdialog" wurde von chinesischer Seite kurzfristig abgesagt. Als Grund für die Absage des zweitägigen Symposiums - unter anderem mit Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) und chinesischen Regierungsvertretern - wurden "technische Gründe" genannt.

Die Kanzlerin spiele "mit dem Feuer", befand ein Teilnehmer in einem Online-Forum, in dem auch nicht zitierfähige, beleidigende Angriffe zu finden sind. "Sie versteht das heutige China nicht." Und es war auch ein Aufruf zu lesen, vor der deutschen Botschaft in Peking gegen das Treffen zu demonstrieren.

Es schien nicht der erste zu sein, da der Autor den Zensor ausdrücklich bat, seinen "positiven und patriotischen" Appell bitte nicht wieder zu streichen.

Nach Jahrzehnten der Propaganda und patriotischen Erziehung, dass "Tibet seit alter Zeit schon Teil Chinas gewesen ist", haben die meisten Chinesen - vom einfachen Volk bis zu Intellektuellen - wenig Verständnis für den Dalai Lama oder die magische Anziehungskraft, die Tibet und sein Buddhismus auf viele Menschen im Westen ausüben.

Nach der Machtübernahme 1949 in Peking und der Invasion der Volksbefreiungsarmee 1950 in Tibet hatten die Kommunisten das größte Hochland der Erde in die Volksrepublik einverleibt. Es wurde zerteilt, anderen Provinzen zugeschlagen und die übrig gebliebene Hälfte des alten Tibets 1965 als autonome Region angegliedert.

Regiert mit harter Hand

Nach einem Volksaufstand flüchteten der Dalai Lama und sein Gefolge 1959 nach Indien. Jahrzehnte der Zerstörung des religiösen Lebens, der Klöster und Traditionen durch die Kommunisten, die Armee oder die eifernden roten Garden während der Kulturrevolution fanden erst mit der Reform- und Öffnungspolitik seit Ende der 70er Jahre langsam ein Ende.

Doch regiert Peking bis heute mit harter Hand und unterdrückt jedes Aufbegehren der Tibeter gegen die chinesische Fremdherrschaft.

Lob von Roth

Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Roland Koch hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor dem Besuch des Dalai Lama im Kanzleramt gegen Kritik aus China verteidigt: "Es ist gut, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht hat beirren lassen", sagte der hessische Ministerpräsident der Bild am Sonntag.

Die Regierung in Peking hatte Deutschland mit Konsequenzen gedroht. "Wir Deutsche können froh und stolz sein, dass Menschenrechtsfragen für Angela Merkel einen so hohen Stellenwert haben und sie in aller Welt Klartext redet und danach handelt", lobte Koch seine Parteivorsitzende und ihren Umgang mit dem Oberhaupt der Tibeter.

Auch Grünen-Chefin Claudia Roth nahm Merkel in Schutz. Die Kanzlerin zeige mit dem Empfang des religiösen Oberhaupts eine verantwortungsvolle Haltung, sagte Roth im Deutschlandfunk. Die Wahrung der Menschenrechte in Tibet liege auch im deutschen Interesse.

Signalwirkung

Auch die Tibet Initiative Deutschland e.V. (TID) begrüßt das heutige Treffen zwischen der Bundeskanzlerin und dem Dalai Lama.

"Dass solche eine Begegnung Drohgebärden provoziert, ist natürlich verständlich", sagt Wolfgang Grader, Vorstandsvorsitzender der TID. "Erfahrungen zeigen jedoch, dass die Sorge um die deutsch-chinesischen Beziehungen im Großen und Ganzen unbegründet ist."

Die Bundesrepublik Deutschland hat nach Ansicht der TID eine besondere Bedeutung für die internationale Tibet-Politik. "Als wichtigster Handelspartner der VR China in Europa sollte Deutschland sich bemühen, auf eine friedliche Lösung der Probleme in Tibet hinzuwirken", erklärt Grader.

Meinungsfreiheit sowie kulturelle, politische und religiöse Selbstbestimmung sind in Tibet nach wie vor unbekannt. "Für Tibet ist es wichtig, dass der Dalai Lama international als Gesprächspartner Anerkennung findet. Der Besuch bei Merkel stellt ein Signal dar und kann helfen, dem Dialog zwischen dem Dalai Lama und Peking mehr Substanz zu verschaffen."

Botschafter ins Ministerium "gebeten"

In diesen Tagen hat die TID Unterschriften im Auswärtigen Amt übergeben, durch die Außenminister Frank-Walter Steinmeier gebeten wird, sich mit Nachdruck für Verhandlungen zur Lösung der Tibet-Frage einzusetzen. Hintergrund ist die Lage in Tibet, die noch immer jährlich Tausende Tibeter veranlasst, unter Bedrohung ihres Lebens über den Himalaja zu flüchten.

Wie heikel das Thema bleibt, demonstriert auch die Tatsache, dass sofort nach der Ankündigung des Treffens in Berlin der deutsche Botschafter Michael Schäfer ins chinesische Außenministerium "gebeten" wurde - wie es in Berlin hieß, um nicht "einbestellt" sagen zu müssen. Immerhin wurde ihm keine formelle Protestnote überreicht.

Doch forderte das Außenministerium ebenso unmissverständlich wie vergeblich, "im Interesse der deutsch-chinesischen Beziehungen" von dem Treffen abzusehen.

Dass Merkel jetzt auch noch die Forderung des Dalai Lama nach religiöser und kultureller Autonomie auf ihre Fahnen schreibt, verstärkt noch ihre Botschaft an Pekings Führer, den Dialog mit den Exil-Tibetern endlich auch ernsthaft zu führen. Viele Chinesen wie der einflussreiche frühere Botschafter in Berlin, Mei Zhaorong, der Merkel wegen ihrer DDR-Vergangenheit und der vielleicht daraus folgenden besonderen Einsicht in diktatorische Systeme kritisch beäugt, dürften sich in ihrem Misstrauen nur bestätigt fühlen.

Dass die Kanzlerin bei Menschenrechtsverletzungen, Produktpiraterie oder Technologieklau eine deutlichere Sprache als ihr Vorgänger Gerhard Schröder spricht, hat seit Beginn ihrer Amtszeit schon für Irritationen gesorgt. Doch Regierungschef Wen Jiabao machte aus der Not eine Tugend und begrüßte, dass die Kanzlerin "direkt zur Sache kommt".

Ganz bewusst zog er einen Schlussstrich unter die interne Debatte über die Kanzlerin, um die Beziehungen zum wichtigsten Partner in Europa zu pflegen. Doch sendet Merkel mit dem Empfang des Dalai Lama nun die Botschaft aus, dass dafür von chinesischer Seite politisch mehr gefordert wird.

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