D-Day:"Die Nachkriegszeit ist vorbei"

Lesezeit: 2 min

Die symbolträchtige Reise des Bundeskanzlers in die Normandie. Mit Schröder nimmt erstmals ein deutscher Regierungschef an den Feierlichkeiten zur Erinnerung an die Landung der Alliierten teil.

Von Nico Fried

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sich in Gerhard Schröders Kalender in diesen Tagen die historischen Termine drängen. Erst vor wenigen Wochen beging auch der Kanzler die Erweiterung der Europäischen Union, mit der die Teilung des Kontinents endgültig überwunden wurde.

Jetzt reist er in die Normandie, um als erster deutscher Regierungschef an den Feierlichkeiten zur Erinnerung an die Landung der Alliierten teilzunehmen. Bislang wurde Schröder kein besonderer Hang zum Geschichtlichen nachgesagt.

Nun bemüht er selber die historische Dimension. In mehreren Interviews erklärte er, die Teilnahme eines deutschen Kanzlers an den Gedenkfeiern zeige, "dass die Nachkriegszeit endgültig vorbei ist".

Ob man eine geschichtliche Phase tatsächlich so einfach für beendet erklären kann, mögen Historiker und Feuilletonisten entscheiden. Schröder jedenfalls hat sich nach Auskunft seiner Umgebung aufrichtig über die Einladung des französischen Staatspräsidenten gefreut.

In angemessener Bescheidenheit habe er darin auch weniger eine persönliche Ehre gesehen als vielmehr eine Anerkennung für den demokratischen Weg, den Deutschland seit dem Zweiten Weltkriegs gegangen ist.

Zumal die Geste Jacques Chiracs ja nicht für sich alleine steht: Eingedenk diplomatischer Gepflogenheiten darf man annehmen, dass sie auch mit den Regierungen der an der Invasion beteiligten Staaten abgestimmt wurde.

Unterstrichen wird das Einvernehmen auch dadurch, dass die USA - allen jüngeren Zwistigkeiten mit Berlin und Paris zum Trotz - in der Normandie durch Präsident George W. Bush vertreten sind.

Weder ein Tag des Sieges noch der Niederlage

Deutschland sei heute "ein geachteter und verantwortungsvoller Partner für die freie Welt, der sich seiner Vergangenheit gestellt hat", so Schröder. Der 6. Juni 1944 sei weder ein Tag des Sieges noch der Niederlage, sagte der Kanzler in Anspielung auf eine alte deutsche Debatte.

Vielmehr bezeichne er den Tag, der entscheidend für die Befreiung Deutschlands und Europas von der Nazi-Diktatur gewesen sei. Auch persönlich berühre ihn die Einladung, so Schröder. Er, Jahrgang 1944, habe zwar keine eigene Erinnerung an den Krieg. "Aber ich habe meinen Vater, den ich nie kennen gelernt habe, im Krieg verloren."

Kurz vor Schröders historischer Reise musste die Geschichte selbst übrigens ein wenig umgeschrieben werden. Bislang war es landläufige Meinung, Schröders Vorgänger Helmut Kohl habe am 40. und 50. Jahrestag der Invasion vergeblich auf eine Einladung nach Frankreich gewartet.

Der Spiegel entlarvte dies nun als Irrtum: Kohl habe eine Reise zu den Feierlichkeiten immer abgelehnt. Bei ihm überwog offenbar die persönliche Betroffenheit: Sein Bruder war in der Normandie verwundet worden und starb später bei einem Luftangriff.

© SZ vom 4. Juni 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: