Contra:Ein Linksrückchen - mehr nicht

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Die Republik sehnt sich nach sozialer Gerechtigkeit und sinniert geschlossen über einen sogenannten Linksruck. Doch der ist nur gefühlt.

Melanie Ahlemeier

Nach Bremen nun also Hessen, Niedersachsen und Hamburg: Die Linke ist künftig in allen drei frischgewählten westdeutschen Landesparlamenten vertreten. Deutschland rückt nach links, das beschwört die Union als Horrorbild - und warnt vor purem Sozialismus im 21. Jahrhundert.

Trotz des desaströsen Wahlkampfs von Hessens Ministerpräsident Roland Koch erreichte die SPD nur das zweitschlechteste Wahlergebnis in ihrer Geschichte. (Foto: Foto: ddp)

Doch, langsam. Eine Wiederauferstehung des politischen Beglückungssystems ist bei weitem nicht in Sicht.

Denn: In Niedersachsen büßte die SPD 3,1 Prozentpunkte der Stimmen ein, die Grünen legten um gerade mal 0,4 Prozentpunkte zu - und die Linke zog mit 7,1 Prozent der Stimmen in den Landtag ein. Das soll ein Linksruck sein? Mitnichten!

In Wiesbaden spielte der CDU-Großwesir Roland Koch mit seiner Hetze gegen kriminelle jugendliche Ausländer dem linken Parteienspektrum geradezu in die Hände. Die Kampagne war so plump, dass sie geradezu zwangsläufig Widerstand provozieren musste. Auch überzeugte Unions-Anhänger machten ihr Kreuz bei der studierten Soziologin und SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti, zahlreiche Grüne wählten ebenfalls rot.

Und obwohl die Sozialdemokraten am Ende deutlich mehr Wählerstimmen bekamen, als Meinungsumfragen im Dezember noch prophezeit hatten, langte es für die SPD am Ende nur zum zweitschlechtesten Ergebnis der Nachkriegsgeschichte. Die Linke schaffte mit Ach und Krach den Sprung über die magische Fünf-Prozent-Hürde. Ein echter Linksruck sieht anders aus.

Regiert wird nach wie vor konservativ

Auch in Hamburg wurde das Gespenst der Linken lange vor der Wahl an die Wand gemalt. Trotz sozial-diskutabler Themen wie Steuerskandal und Reichenmoral wählte der Stadtstaat weit seltener die Linkspartei als zunächst angenommen. Gerade einmal 6,5 Prozent gaben der Spitzenkandidatin der Linken, Dora Heyenn, ihre Stimme - ein ordentlich zweistelliges Ergebnis hatten die Männer und Frauen rund um die prominenten Wahlkampfhelfer Gregor Gysi und Oskar Lafontaine vorab als Ziel ausgegeben. Ein Linksrückchen - mehr war das nicht.

Wie stark aktuelle Stimmungen in das Wählerverhalten einfließen können, bewies im September 2001 die vom ehemaligen Richter "Gnadenlos" Ronald Schill angeführte Partei Rechtsstaatlicher Offensive in Hamburg: Aus dem Stehgreif kamen die Populisten auf fast 20 Prozent der Stimmen.

Themen für die Linke gäbe es zur Genüge, um die Republik wirklich entscheidend nach links rücken zu lassen: eine desaströse Steuermoral der Elite; exorbitante Managergehälter; gewaltige Manager-Abfindungen nach Pleiten, Pech und Pannen; ein flächendeckender Mindestlohn, der zum Leben reicht; die von den Verbündeten geforderte Ausweitung des Bundeswehr-Einsatzes im risikoreicheren Süden Afghanistans; eine auf 3,6 Millionen Arbeitslose schöngerechnete Statistik; ein vernünftiges Kinderbetreuungskonzept für arbeitende Mütter; eine der Menschenwürde entsprechende Aufstockung des Hartz-IV-Satzes.

Und obwohl links derzeit in aller Munde ist und die aus der PDS und WASG hervorgegangene Linke nun auch in westdeutschen Landesparlamenten Bänke besetzt - regiert wird nach wie vor konservativ. Am Reformkurs kann sich in Wirklichkeit wenig ändern, weil sonst die staatlichen Haushalte wieder leiden würden.

Und, mal ehrlich: Nach wie vor ist den Deutschen nichts wichtiger als Sicherheit. Sicherheit vor Kriminellen und vor Arbeitsplatzverlust. Auf beiden Themenfeldern sind die Konservativen traditionell besser zu Gange. Sie dürfen nur nicht auf einen wie Roland Koch setzen, der mit seiner Angstmache zum Bürgerschreck wurde. Es gibt ja auch, siehe Christian Wulff in Niedersachsen, einen smarten Weg zum Erfolg.

Nein, eine wegweisende Wende ist nicht in Sicht. Der sogenannte Linksruck ist nur gefühltes Wunschdenken - mehr nicht.

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