Claudia Roth:Nachhaltig beseelt

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Umstritten ist Claudia Roth in der Partei jetzt nicht - was gewiss nicht der einzige Grund dafür ist, dass man sie nun wieder an der Spitze der Grünen sehen will: "Sie ist eben authentisch."

Von Reymer Klüver

An diesem Abend, der nun schon ein paar Wochen zurück liegt, geschah Merkwürdiges im Leben von Claudia Roth. Nicht, dass nicht wie üblich Betriebsamkeit um sie herum gewesen wäre. Immer wieder schoss sie kreuz und quer durch den von Kronleuchtern in kaltes Licht getauchten Saal. Ihr schwerer Brokat-Schal flatterte dabei hinter ihr her wie eine Fahne im Wind. Gute Bekannte musste sie begrüßen, und zwar sofort.

Eine sehr barocke, lebensfrohe Mutter Teresa der Grünen. (Foto: Foto: ddp)

Aufschub duldet sie keinen in ihrem Leben. Wenn sie tatsächlich einmal still stand in diesen Minuten, knetete sie ihre Hände wie ein Schulmädchen, das nun bald ein Gedicht vortragen muss. Fürchterlich aufgeregt war sie. Die Wangen glühten.

Immergrüne Sponti-Frau

Der Mann im schwarzen Anzug neben ihr fand galante Worte. "Chère Claudiaaah", sagte er mit der Akzentsetzung seiner Muttersprache, ihn persönlich freue es, dass er sie im Namen seines Präsidenten ehren dürfe: sie, die als junge Frau Dramaturgin an den Städtischen Bühnen Dortmund war und Managerin einer Polit-Rockband namens "Ton, Steine, Scherben" wurde. Sie, die spätere Menschenrechtsaktivistin und prinzipienfeste Europapolitikerin.

Sie, die immergrüne Sponti-Frau. Dann war der Zeitpunkt gekommen, da der französische Botschafter im Empfangssaal seiner Kanzlei am Pariser Platz, dort, wo man aus den Fenstern aufs Brandenburger Tor schaut, Claudia Roth einen Kuss auf die erhitzten Wangen hauchte und sie zur Ritterin der Ehrenlegion ernannte. Als erste Politikerin der deutschen Grünen.

Auch für Claudia Roth war es der erste Orden. Sie war gerührt an diesem Abend. Wischte sich Tränen aus den Augen und sprach ein paar sehr persönliche, ziemlich gescheite Sätze. Dass sie, die bayerische Schwäbin, nun das familiäre Vermächtnis ihres Vaters und ihres Vatersvaters einlösen dürfe, die von einem friedlichen und ausgesöhnten Europa geträumt hätten und die beide doch in Kriegen gegen Frankreich kämpfen mussten. Und dass nicht allein sie geehrt werde, sondern eine besondere Art, die Politik als persönliche Sache zu betreiben, sozusagen als Einmischung in die eigenen inneren Angelegenheiten.

Persönliche, vielleicht gescheite Sätze

So ähnlich wird es auch an diesem Wochenende sein, wenn die Partei sie wieder zu ihrer Vorsitzenden macht. Zum zweiten Mal. Nachdem sie sie einmal schon fortgejagt hatte. Claudia Roth wird sich die Tränen wegwischen, und sie werden sie dafür lieben. Und vielleicht werden manche der grünen Delegierten in der unwirtlichen Kieler Ostseehalle spüren, dass auf einmal ein Wärmestrom durch ihren Parteitag fließt. Einfach, weil Claudia Roth so ist, wie sie ist.

Weil sie gerührt sein wird und ein paar sehr persönliche, vielleicht gescheite Sätze sagen wird. Etwa, dass sie, die für ihre Spontaneität geschätzte, mitunter auch gefürchtete Linke, nun nicht nur für eine Richtung in der Partei sprechen werde, sondern für die ganze Partei einstehe.

"Ich bin eh ein Schreihals": Claudia Roth. (Foto: Foto: dpa)

Immer noch Chaospotenzial

Es ist dies ein Umbruch in der Führungsstruktur, der die Grünen vielleicht mehr treffen wird, als die meisten es jetzt ahnen oder wahrhaben wollen. Denn in den vergangenen beiden Jahren ging es den Grünen so gut wie zuvor nur Mitte der Neunzigerjahre. Damals kam nach dem Höhenflug der Absturz.

Was wird, wenn es auch diesmal irgendwann wieder bergab geht? Womöglich noch vor der Bundestagswahl? Wird die Einigkeit halten? Oder wird die neu besetzte Führungsstruktur wieder aufbrechen in die alten Lager?

Heute, in den Zeiten des Erfolgs, scheinen solche Auseinandersetzungen passé zu sein. Doch selbstverständlich ist das gewiss nicht. Von Richtungskämpfen sprechen die Grünen zwar nicht mehr so gern. Aus den Richtungen sind Strömungen geworden. Das klingt weicher.

Aber man muss sich keine Illusionen machen. Um die Positionen wird weiter mit harten Bandagen gekämpft im Untergrund von Partei und Fraktion. Auch Fundis gibt es angeblich nicht mehr, das ist eine Vokabel aus der Steinzeit der Partei. Heute sind da die Regierungslinken, ein kleiner aufsässiger Haufen, der angeführt wird von Umweltminister Jürgen Trittin, wenn diesem die Gefechtslage ihm günstig erscheint. Bisher meist unter rühriger Anteilnahme von Claudia Roth.

Schönes neues Image

Trittin, sie und der nordrhein-westfälische Landeschef Frithjof Schmidt sind Wortführer in einem Gesprächskreis der Linken, in dem die ihre Positionen festzurren. Die Linken sind zwar längst nicht mehr in der Lage, die Richtung der Partei zu ändern. Aber sie haben immer noch Chaospotenzial.

Ziemlich nachhaltig könnten sie das schöne neue Image der einigen Partei stören, das den Grünen bei den Wählern so viel Erfolg gebracht hat. Das wissen die Realos und setzen deshalb auf Einbindung der Linken in die Verantwortung - auf Regierungslinke eben.

Im Realo-Lager mag es manchen zwar durchzuckt haben, als vor einem Jahr die Idee zum ersten Mal ventiliert wurde, Claudia Roth wieder im Parteivorsitz zu installieren. Aber sie zu verhindern, wäre schwierig geworden. Und so war sie in der Partei nie wirklich umstritten, als sie im Frühjahr nach langem Hin und Her endlich ihren Anspruch anmeldete.

Keine "Harakiri-Positionen" mehr

Wen man auch fragt bei den Großmächtigen dieser Partei, man hört relativ viel Gutes über Claudia Roth. Natürlich wissen sie, dass ihre tränenreiche Art auch fürchterlich nerven kann. Und sie haben ziemlich genau in Erinnerung, dass es in ihrer Zeit als Vorsitzende nicht gerade einfach war, sie von radikalen Positionen abzubringen und auf den Kurs der Mehrheit einzuschwören.

Aber inzwischen sagt einer von der Knallhart-Realofraktion anerkennend, dass sie ja keine "Harakiri-Positionen" mehr vertrete. Sie beklagt zum Beispiel nicht mehr lauthals die "Verschröderung" der Sozialdemokratie, wie sie es vor fünf Jahren noch tat. Geißelt nicht, wie manche grüne Ur-Linke, den Sozialabbau durch die Reformgesetze der Koalition. Im Gegenteil.

Wer sie in den Wahlkampfveranstaltungen der vergangenen Wochen gesehen hat, erlebte eine Claudia Roth, die geworben hat für diese Reform des Sozialstaats. "Wie schaffen wir es, das System zukunftsfest zu machen", darum gehe es, sagte sie zum Beispiel. Das klingt so nach Mainstream der Partei, anders würde kein Realo formulieren. Sie sind alle älter geworden bei den Grünen, erfahrener eben.

Es sei ein Vorteil, sagen die Führungsrealos, dass "die Regierungslinken nun wieder angebunden werden an die Parteiführung". Und das ist nicht gönnerhaft gemeint.

Wenn die Grünen sich schon eine Doppelspitze leisteten, sagt einer, der weiß, wovon er redet, dann müsse sie die auch gut besetzen. Das ist natürlich eine Sottise, gezielt auf Angelika Beer, die unglückliche Noch-Vorsitzende, die nun ins Europa-Parlament gewählt wurde und so den Platz freimacht für Roth. Immerhin sprang sie ein, als die Grünen ihr damals hoch erfolgreiches Führungs-Duo Fritz Kuhn und Claudia Roth im Herbst 2002 dem Prinzip opferten, dass Mandatsträger nicht auch noch Verantwortung in der Partei tragen dürfen.

Das Prinzip haben sie inzwischen aufgegeben. Nun wird die Augsburger Bundestagsabgeordnete Roth also doch wieder das, was sie vor zwei Jahren nicht bleiben konnte: Parteichefin. Angelika Beer aber, die Mandatslose, war in diesen zwei Jahren als Vorsitzende und als Vertreterin der Linken praktisch sprachlos. Und wenn sie doch den Mund aufmachte, wünschten die meisten in der Partei, sie hätte weiter geschwiegen.

Ungeschützte Emotionalität

Das wird jetzt ganz anders sein, da sind sie sich alle sicher. "Claudia Roth wird wieder leicht breite Wahrnehmung finden", prognostiziert einer aus dem innersten Machtzirkel der Partei. Sie selbst sagt von sich, als auf einem Wahlkampftermin im Osten das Mikrofon ausfällt, das mache nun gar nichts, "ich bin eh ein Schreihals". Natürlich ist das nicht nur als Hinweis auf ihre kräftige Stimme gemeint. Sie wird nicht zu überhören sein, wenn sie nun wieder für ihre Partei spricht. Und sie will mitreden, in den internen Führungszirkeln dabei sein. Das hat sie schon unmissverständlich zu verstehen gegeben.

Ihr Ko-Vorsitzender Reinhard Bütikofer, der in den vergangenen zwei Jahren groß herausgekommen ist und um seine Wiederwahl nicht bangen muss, signalisiert bei jeder Gelegenheit, dass man sich zusammenraufen werde. Die Aufgabenteilung scheint klar zu sein: Bütikofer betreut die Innenpolitik, die ökonomischen und sozialen Themen, Claudia Roth setzt Zeichen bei Bürger- und Menschenrechten und Migration. Er ist zuständig für die Strategie, sie für die Seele der Partei.

"Claudia Roth", sagt einer aus dem Führungskreis der Grünen, "erfasst Emotionen, die Reinhard Bütikofer nicht hat." Ihre direkte Art, die ungeschützte Emotionalität, die sie auch gern mal auf politische Rücksichten verzichten lässt, wird in der Partei sicher zunächst eher als Vorteil denn als Belastung wahrgenommen. "Ich hab das einfach tief in mir drin", sagte sie neulich nach dem schrecklichen Massaker von Beslan, "die Wut, die Verzweiflung, das Entsetzen." So einen Satz macht ihr so schnell keiner nach. Persönliche Betroffenheit kann sie wie kaum ein anderer in der Berliner Politik-Szene glaubhaft vertreten.

Verstörende Präsenz

Als "Mater Dolorosa" der Grünen hat die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung die im Angesicht der Gemeinheiten dieser Welt zerfließende Claudia Roth bezeichnet. Da ist was dran. Aber sie verharrt nicht in der Passion. Da ist ihre urwüchsige Fröhlichkeit und ungeheure Energie davor, mit der sie sich auf ihre Aufgaben stürzt. Wenn, dann wäre sie wohl eher die, zugegeben sehr barocke, lebensfrohe Mutter Teresa der Grünen. Sorgend, kümmernd, überall bewegend.

So machte sie den Job als Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, den ihr Joschka Fischer nach ihrem Abgang als Parteichefin andiente, zu einer hochpolitischen Angelegenheit. Andere hätten das als Austragsstüberl verstanden. Sie brachte es so weit, dass die Mullahs von Teheran und der alte Mann in Havanna sie gleichermaßen nicht im Lande haben wollten. Zu verstörend wäre ihre Präsenz gewesen, so wie sie es in den Neunzigerjahren in der Türkei war, als sie auf die Kurdenverfolgung hinwies.

Ihre Art, das Herz auf der Zunge zu tragen, wird die Grünen in Bewegung halten. "Sie ist eben authentisch", sagen sich Spitzengrüne, um die eine oder andere Befürchtung beiseite zu schieben. Schließlich haben selbst die Grünen von solchen Politikern nicht allzu viele.

© SZ vom 30.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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