CIA-Affäre:Im Tiefflug durch Berlin

Lesezeit: 4 min

Gute Außenpolitik kann auch heißen: mit vielen Worten nicht allzu viel sagen. Angela Merkel und Condoleezza Rice beherrschen diese Kunst.

Nico Fried

Der ältere Herr mit dem glatten, silbernen Haar wirkt sehr entspannt. Gemütlichen Schrittes überquert er um 9.55 Uhr an diesem Dienstag die Neustädtische Kirchstraße in Berlin-Mitte, schlendert im eleganten Dreiteiler und trotz der eisigen Temperaturen ohne Mantel ein wenig Unter den Linden entlang, scherzt mit seinen zwei Leibwächtern und verschwindet dann im Gebäude mit der Hausnummer 50, wo sich sein Abgeordnetenbüro befindet.

Otto Schily ist an diesem Morgen unterwegs in der Hauptstadt. Und wenn seine Mitarbeiter ordentlich gearbeitet haben, wird er auf seinem Schreibtisch gleich die telefonischen Anfragen unzähliger Journalisten vorfinden, die gerne mal mit ihm reden würden.

Der Richtung nach, aus der Schily kommt, war er entweder in der amerikanischen Botschaft, was angesichts der guten Kontakte, die er dorthin gepflegt zu haben scheint, eine mögliche, aber auch eine etwas gemeine Unterstellung wäre. Wahrscheinlicher ist, dass er soeben, langjähriger Gepflogenheit folgend, im Café Einstein ein Frühstück eingenommen hat.

Dabei hat er womöglich auch in den Zeitungen davon gelesen, dass sich der frühere Innenminister Otto Schily nicht dazu äußern will, was er vom ehemaligen US-Botschafter Dan Coats über die Entführung eines deutschen Staatsbürgers durch den amerikanischen Geheimdienst wusste.

Wenn man Schily da so sieht, gewinnt man nicht gerade den Eindruck, dass es ihn sehr belastet, mit im Mittelpunkt einer ziemlich unangenehmen Geschichte zu stehen, die an diesem Tag das politische Berlin beherrscht. Condoleezza Rice, die Außenministerin der Vereinigten Staaten von Amerika, ist in der Stadt.

Und in den Gesprächen, die sie im Auswärtigen Amt mit Frank-Walter Steinmeier und im Kanzleramt mit Angela Merkel führt, geht es natürlich auch um die geheimen Operationen der CIA im Kampf gegen den Terror und die Verschleppung des deutschen Staatsbürgers Khalid el-Masri, von der Schily innerhalb der damaligen Bundesregierung im Mai 2004 offenbar als erster erfahren hat. Doch wie eindrucksvoll zu erleben ist, genießt der frühere Innenminister seinen Ruhestand - um die Aufklärung müssen sich nun andere kümmern.

Mehr Fragen als Antworten

Man darf an dieser Stelle schon einmal vorwegnehmen, dass auch dieser Tag der Stippvisite von Condoleezza Rice in Deutschland nicht als Tag der Aufklärung in Erinnerung bleiben wird. Vielmehr stehen unterm Strich auch weiter mehr Fragen als Antworten.

Das gilt für Rice, die noch vor wenigen Tagen beim Besuch von Außenminister Frank-Walter Steinmeier in Washington mehr Informationen versprochen hatte. Es gilt aber auch für die deutsche Seite, auf der man allenthalben über eigene Erkenntnisse höchstens in homöopathischen Dosen berichtet.

Immerhin aber ist zu beobachten, wie sich die neue Bundeskanzlerin bei ihrem ersten heiklen Auftritt im Milieu der Diplomatie aus der Affäre zieht, was durchaus wörtlich zu verstehen ist: Denn die Nachricht des Tages gibt Angela Merkel vor, als sie es in der Pressekonferenz mit Rice ungefragt für wünschenswert erklärt, dass der frühere Kanzleramtschef und heutige Außenminister Steinmeier "namens der alten Regierung" dem parlamentarischen Kontrollausschuss des Bundestags zum Fall el-Masri Rede und Antwort steht.

So ganz nebenbei hat Merkel damit klargestellt, dass Bundesregierung hier nicht gleich Bundesregierung ist und sie nicht die Absicht hat, sich gegenüber ihrem sozialdemokratischen Koalitionspartner auf Kosten ihrer eigenen Kanzlerschaft in grenzenloser Solidarität zu üben.

Höflich lächelnd und englisch plaudernd sind die beiden Damen nun vor die in einem ungewöhnlich großen Pulk versammelte Presse im Kanzleramt getreten, zwei der mächtigsten Frauen der Welt, Seit' an Seit'. Condoleezza Rice trägt ihr Haar wie immer zu einer Art welligem Helm geföhnt und dazu ein elegantes Kostüm in Dunkelblau mit goldenen Knöpfen. Bei Merkel sitzen das Haar und das rote Sakko nicht ganz so stramm wie bei ihrem Gast.

"Wir sind uns einig..."

Anfang Februar war Rice das letzte Mal hier, damals noch zu Besuch bei Merkels Vorgänger. Es war ein Auftritt, der vor allem wegen Gerhard Schröder im Gedächtnis haften geblieben ist, der damals wie mit einem Hochdruckschlauch der Berliner Feuerwehr Charme und gute Laune über seinem Gast verspritzte. Seinerzeit sah es so aus, als sei das deutsch-amerikanische Verhältnis nach dem monatelangen Ärger über den Irak-Krieg auf einem guten Weg.

Doch nun ist die Lage wieder ernst - und Merkels Vortrag entsprechend. Nach den üblichen Floskeln ("Wir sind uns einig, dass Deutschland und die USA Partner und Freunde im umfassenden Sinne sind") kommt die Kanzlerin auf die Operationen der CIA zu sprechen. Im Kampf gegen den Terror müssten einerseits demokratische Spielregeln eingehalten werden, sagt Merkel.

Andererseits müssten aber auch die Geheimdienste ihre Arbeit machen können. Es geht ihr darum, auf die richtige Balance aus beidem hinzuweisen. So wie sie es sagt, hört es sich freilich wie ein schwer zu überbrückender Gegensatz an. Die Zustimmung ihres Gastes immerhin hat sie: Condoleezza Rice nickt, als ihr die Worte der Kanzlerin übersetzt werden.

Es ist nicht zu übersehen, dass Merkel an dieser Stelle höchste Vorsicht walten lässt. Immer wieder spickt sie auf den Zettel vor sich auf dem dunkelgrauen Pult, auf dem offenbar die innenpolitisch gewünschte, diplomatisch aber möglichst unverfängliche Sprachregelung geschrieben steht. Merkels Hände wandern zwischen den Rändern des Rednerpultes und dem Zettel hin und her.

Am deutlichsten erkennbar wird die Anspannung der Kanzlerin jedoch, als sie schließlich von ihr abfällt: Nach einer kurzen Atempause berichtet sie plötzlich locker, fast fröhlich, dass Rice und sie Gelegenheit gehabt hätten, "auch noch über andere Fragen zu sprechen", die Nato, Russland, Iran, den Irak und Afghanistan. "Wir haben also eine Tour de raison durch die Außenpolitik in unserer Zeit gemacht", sagt sie.

Wahrscheinlich meinte sie eine Tour d'horizon, aber nun, da die neue Kanzlerin anders als ihr Vorgänger immerhin recht flüssig englisch spricht, sollte man vielleicht nicht gleich wieder an ihrem Französisch herummäkeln.

Als die Außenministerin das Wort hat, beglückwünscht sie Merkel zunächst zu ihrem Wahlsieg, was wiederum ein kurzes Nicken, diesmal seitens der Kanzlerin zur Folge hat. Dann stellt Rice recht unmissverständlich klar, dass sie für ihre Regierung keinen Anlass zur Selbstkritik sieht. Die USA foltern nicht, sagt Rice. Die USA respektieren die Souveränität ihrer Partner.

Und die Geheimdienste arbeiteten lediglich daran, das Leben der Bürger in Amerika, aber auch der Bürger rund um den Globus vor Terroristen zu schützen, deren klare Absicht es sei, unschuldige Menschen zu töten. Punkt. Interessanterweise beginnt Rice dreimal mit der Formel, sie habe gegenüber Merkel wiederholt, was sie schon am Montag vor ihrem Abflug aus den USA gesagt habe, was unweigerlich zu der Frage führt, weshalb die beiden Damen dann eigentlich noch miteinander sprechen mussten.

Die wenigen zugelassenen Fragen der Journalisten fördern nichts Erhellenderes mehr zutage, sieht man von einigen bemerkenswert gelungenen Ausweichmanövern der Kanzlerin ab. Auf die Frage, ob sie mit den Auskünften von Rice zufrieden sei, vermeidet sie eine klare Antwort, ebenso wie auf die Frage, ob sie und Rice unter Folter von Gefangenen überhaupt das selbe verstünden. Wenn man sich damit abfindet, dass gute Außenpolitik bisweilen darin besteht, mit vielen Worten nicht allzu viel zu sagen, war das ein souveräner Auftritt Merkels.

© SZ vom 07.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: