Christliche Kirchen:Austritte als Ansporn

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"Besorgniserregend" und "erschütternd": Die Zahl der Menschen, die der katholischen und der evangelischen Kirche den Rücken kehren, steigt wieder. Auf die Finanzen wirkt sich das bisher kaum aus. Doch das wird sich ändern.

Es ist eine Art Ritual. Jedes Jahr im Juli veröffentlichen die beiden großen Kirchen in Deutschland am selben Tag eine Statistik. Es ist eine meist unerfreuliche Zusammenstellung von Zahlen, dieses Jahr nennt der Sekretär der katholischen Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer, die Statistik gar "besorgniserregend". Weil die Leute meistens vor allem auf die Kirchenaustritte schauen. Und da sehen sie diesmal die zweithöchste Zahl von Leuten, die der Kirche den Rücken gekehrt haben, seit der Wiedervereinigung. Von einem "Weckruf" spricht etwa Bambergs Erzbischof Ludwig Schick.

In den vergangenen drei Jahren hatten die Austrittszahlen zwischen 160 000 und 180 000 gelegen. 2014 erreichten sie nach dem Skandal um den Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst den bisherigen Höchststand von 217 716. 2018 waren es 216 078. Bei der evangelischen Kirche wurden 220 000 Austritte registriert.

Über die Gründe der Austritte werden keine Statistiken geführt. Eine Studie des Bistums Essen ergab aber im vergangenen Jahr als wichtigste Austrittsgründe die Kirchensteuer, eine Entfremdung oder fehlende Bindung zur Kirche, die rückständige Haltung und das Erscheinungsbild der Kirche sowie Glaubenszweifel. Ein Grund für die gestiegene Zahl der Austritte dürfte auch die im September veröffentlichte Missbrauchsstudie gewesen sein. "Viele glauben uns nicht mehr, dass wir konsequent und entschlossen gegen Täter vorgehen", sagte Langendörfer. Die katholische Reformbewegung "Wir sind Kirche" bezeichnete die Austrittszahlen als "erschütternd". Der Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Stefan Vesper, erklärte, die Zahlen müssten Ansporn sein, "den eingeschlagenen Reformprozess mutig und entschlossen voranzugehen".

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, betonte, jeder Austritt schmerze, jedoch zeigten Gottesdienstzahlen und ehrenamtliche Hilfe, "dass die Kirchenaustritte das Engagement für den Glauben und das Leben der Kirche keineswegs bremsen".

Allerdings hat diese Entwicklung sich bislang nicht finanziell ausgewirkt. Im Gegenteil: Im Vergleich zu 2007 ist das Kirchensteueraufkommen sogar gestiegen. 2007 erhielt die EKD Kirchensteuern in Höhe von etwa 4,2 Milliarden Euro. 2017 waren es etwa 5,79 Milliarden Euro. Die Deutsche Bischofskonferenz, der Zusammenschluss aus 27 katholischen Bistümern in Deutschland, erhielt 2007 rund 4,7 Milliarden Euro Kirchensteuer, 2017 waren es 6,4 Milliarden Euro. Seit 2010 sind die Einnahmen aus der Kirchensteuer bei beiden Kirchen kontinuierlich gestiegen. Der Grund dafür liegt laut dem Forschungszentrum Generationenverträge (FZG) der Freiburger Universität vor allem in der guten Wirtschaftskonjunktur. Bis 2060 erwarten die Wissenschaftler jedoch, dass sich die Finanzkraft der Kirchensteuereinnahmen in etwa halbieren wird. Halbieren wird sich demnach aber auch die Zahl der Kirchenmitglieder.

© SZ vom 20.07.2019 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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