Christlich-Demokratische Arbeitnehmer:"Ich bin Herz-Jesu-Sozialist und stolz darauf"

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Die CDU streitet über die Reform der Sozialsysteme, und der Arbeitnehmerflügel versinkt in Bedeutungslosigkeit. Hoffnung kommt aus Bayern.

Von Matthias Drobinski und Gerhard Hennemann

(SZ vom 11. Oktober 2003) Der Deutsche Automaten-Verband hat Geld gegeben, die Bitburger Brauerei, auch monster.de, "das größte Karriere-Netzwerk der Welt". So kann der "Zukunftspreis der CDA", mit einigem Aufwand verliehen werden, im ehemaligen Plenarsaal in Bonn.

1700 Anmeldungen zählt stolz die "Christlich-demokratische Arbeitnehmerschaft"; Roland Koch, der hessische Ministerpräsident, kommt zur Podiumsdiskussion, Horst Seehofer von der CSU - und am Abend erhält die CDU-Vorsitzende Angela Merkel den Preis des Arbeitnehmerflügels der CDU.

"Weil ihr Name für die energische Modernisierung der CDU und ihrer Programmatik steht", wie es in der Begründung heißt. Die Laudatio soll die Verlegerin Liz Mohn halten.

Zukunftspreis für Angela Merkel

Es könnte also spannend werden im ehemaligen Plenarsaal. Der Streit um die Sozialreformen hat die Union eingeholt. Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog ein radikales Programm zum Umbau des Sozialstaates vorgelegt, was Friedrich Merz, Finanzexperte der Bundestagsfraktion, triumphierend das "Ende der Sozialdemokratisierung der CDU" nennt.

Hermann-Josef Arentz, der Vorsitzende der CDA, hat daraufhin der CDU "ein außerordentlich fragwürdiges" Gerechtigkeitsverständnis bescheinigt - und damit auch jener Angela Merkel, die er nachher auszeichnen will.

Doch Arentz beschränkt sich auf den allgemeinen Hinweis, dass der notwendige Wandel im Bereich der sozialen Sicherungssysteme "mehr Chancen als Risiken" berge.

Bloß kein Ärger

Roland Koch redet über Bildung und bekommt dafür eine Flasche Champagner von einem der Sponsoren. Lediglich Horst Seehofer redet davon, dass eine wie auch immer geartete Reform der sozialen Sicherungssysteme zu keiner "Altersarmut" in Deutschland führen und dass am Prinzip der Solidarität der Stärkeren mit den Schwächeren nicht gerüttelt werden dürfe.

Aber auch er, der die Pläne Herzogs, eine Kopfpauschale in der Krankenversicherung einzuführen, heftig kritisiert hatte, bleibt vorsichtig: Bloß kein neuer Ärger.

Das Land streitet über den Umbau des gesamten Sozialsystems - und der Kongress der christdemokratischen Arbeitnehmer schweigt. Kann es einen beeindruckenderen Beleg für den Bedeutungsverlust des Arbeitnehmerflügels der CDU geben, als die fröhlich wimmelnde Belanglosigkeit im alten Plenarsaal? Einst waren die "linken Schwarzen", die "Herz-Jesu-Sozialisten" eine Macht.

Stärker als die FDP

Als sie 1947 das Ahlener Programm mitformulierten sowieso und auch später, als Hans Katzer, der CDA-Vorsitzende, an Ludwig Erhards Kabinettstisch saß. Selbst jene 16 Jahre der Kanzlerschaft von Helmut Kohl, als die Arbeitnehmer in der Union schon über Bedeutungsverlust klagten, erscheinen heute als glücklich - man hatte Norbert Blüm und Horst Seehofer im Kabinett, konnte dieses und jenes Zugeständnis erstreiten.

CDA und CSA standen für den konsensorientierten rheinischen Kapitalismus, die gemäßigte Umverteilung, den friedlichen Ausgleich. Sie waren der Kontakt der Honoratiorenpartei zu den kleinen Leuten, parlamentarischer Arm der katholischen Verbände. Kurz: eine der Garanten, dass CDU zur erfolgreichsten Partei der deutschen Nachkriegsgeschichte wurde.

Und heute? Heute gibt es 16000 Mitglieder der bayerischen CSA (beitragsfrei) und 20000 CDAler im Rest der Republik (Jahresbeitrag: fünf Euro) sowie fast hundert Bundestagsabgeordnete, die sich mehr oder weniger intensiv dem Arbeitnehmerflügel der Union zugehörig fühlen. Eine ordentliche Gestaltungsmacht - die FDP hat 47 Abgeordnete im Bundestag.

"Wir sind vor allem eins: verunsichert"

Und trotzdem sagt einer wie Uwe Schummer: "Wir sind vor allem eins: verunsichert." Uwe Schummer aus dem Wahlkreis Viersen, 45 Jahre alt und ehemaliger 400-Meter-Läufer, ist eine Art Vorzeige-CDAler. Politisiert in der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ), dann Vorsitzender der katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) in Köln, Sprecher der CDA und Chefredakteur ihrer Zeitschrift Neue Ordnung, zwischendurch Referent bei Arbeitsminister Blüm.

Den Auftritt in Düsseldorf hätte sich sein einstiger Chef besser gespart, sagt er. Aber auch er ist sauer auf Merz, "der die CDA diskreditiert hat mit seinem Satz von der Sozialdemokratisierung." Auch, weil er einem Diskussionsverbot gleichkäme: "Da soll das gesamte solidarische Gesundheitssystem, das seit Bismarck besteht, umgekrempelt werden - und wer sagt, vergesst die kleinen Leute nicht, der gilt inzwischen als Sozialist."

Schummer ist nicht zum CDA-Kongress gefahren. Heute morgen waren die Tischler seines Wahlkreises in Berlin, am Abend trifft sich der Kreisbauernverband in Viersen, "das ist wichtiger". Schummer hat den Wahlkreis im vergangenen Jahr knapp direkt gewonnen, das ist die Grundlage seiner politischen Existenz, nicht mehr die Zugehörigkeit zum Arbeitnehmerflügel - da heißt es Prioritäten setzen.

Vom Rhein an die Isar

Wobei ihn andererseits das Thema nicht loslässt: "Das Solidarprinzip ist eine Werthaltung, die die CDU nicht einfach über Bord werfen sollte", sagt er. Auch, dass ihm die Kreativität in der Partei fehle: "Wer eine Kopfpauschale will, in der der Bundeskanzler so viel zahlt wie sein Hausmeister, muss auch ein Modell zum sozialen Ausgleich entwickeln - zum Beispiel über eine negative Einkommensteuer, eine Zuzahlung für kleine Gehälter."

Und dann, auf die Frage, ob es den rheinischen Kapitalismus noch geben könne, sagt er: "Aus dem Rhein ist jetzt die Isar geworden". Die Hoffnung der linken Schwarzen kommt aus Bayern und heißt Edmund Stoiber - wer hätte das einmal gedacht.

"Ich will nicht jammern", sagt Uwe Schummer. Auch, weil er sich mit den mächtiger gewordenen Bayern in der Ablehnung der Herzog-Vorschläge einig weiß. Weil er mit Angela Merkel geredet und die ihm versprochen hat, "dass Herzog bei uns nicht so durchgepeitscht wird wie Hartz bei der SPD." Und weil er auf den Parteitag Anfang Dezember in Leipzig hofft: "Da kommt jeder Dritte Delegierte vom Arbeitnehmerflügel".

Denn: "Ich bin Herz-Jesu-Sozialist und stolz drauf". Gut, dass Uwe Schummer nicht im Bonner Plenarsaal war. Dort hätte der Satz ziemlich gestört.

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