Ceta:Widerstand aus Prinzip

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Die Region Wallonie, einst Kraftmaschine Belgiens, ist wirtschaftlich abgehängt. Ihr Premier Paul Magnette, der sozialistische Bürgermeister von Charleroi, fühlt sich nun als Sprachrohr der europäischen Freihandelsgegner.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Man muss Zahlen nennen, um die Macht zu verdeutlichen, die einem kleinen Teil von Belgien im Streit um das Handelsabkommen der EU mit Kanada zukommt. Die Wallonie, eine der drei Regionen oder auch Bundesstaaten des Landes, hat mit 3,6 Millionen so viele Einwohner wie Berlin. Belgien insgesamt hat 11,2 Millionen. Der wallonische Anteil an den gesamtbelgischen Exporten nach Kanada beträgt neun Prozent, das entspricht ein paar Hunderttausend Euro im Jahr.

Andererseits sind Länder wie Malta oder Luxemburg noch viel kleiner. Würden sie sich gegen Ceta sperren, müsste die EU darauf genauso Rücksicht nehmen. Das ist Folge der vielfach kritisierten und der eigenen rechtlichen Ansicht entgegenstehenden Entscheidung der EU-Kommission, das Abkommen als "gemischt" anzusehen. Nun müssen alle nationalen Parlamente zustimmen, in Belgien eben auch einige regionale. Das wallonische Parlament hatte seinen Widerstand schon im April in einer Resolution zum Ausdruck gebracht und bleibt bei seiner Linie.

Ausgerechnet die Wallonie. Zumindest aus Sicht jener, die sich Sorgen machen um die EU-Handelspolitik und überhaupt um die Handlungsfähigkeit der EU, ist die Region ein unangenehmer Widersacher. Denn neben den inhaltlichen spielen auch persönliche, parteipolitische und strukturelle, sehr belgische Faktoren eine Rolle. Erst ihr Zusammenspiel erklärt die erstaunliche Zähigkeit der frankofonen Belgier.

Die Wallonie war bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eine Kraftmaschine. Im Kohlegürtel von Mons bis Charleroi und Lüttich wurde das Geld verdient, auch dank ausländischer Arbeiter. Auf die Ent-Industrialisierung haben die Wallonen aber nie eine Antwort gefunden und rangieren wirtschaftlich nun weit abgeschlagen hinter den Flamen, die ihre Landsleute jährlich mit 209 Euro pro Kopf subventionieren. Die im Süden seit Jahrzehnten dominierenden Sozialisten orientieren sich stark an Frankreichs Linken und deren vehementer, auch mal militanter Kritik an der ungleichen Verteilung des Reichtums und den Folgen der Globalisierung. Für viel Wut und Frust sorgte zudem jüngst die Ankündigung des US-Baumaschinenherstellers Caterpillar, in einem Vorort von Charleroi mehr als 2000 Jobs zu streichen.

Die flämischen Separatisten bestanden auf Ultra-Föderalismus - nun entscheidet eben die Region

Paul Magnette, Sozialist, Bürgermeister von Charleroi und Premierminister der Wallonie, fühlt sich als Sprecher der vielen Europäer, die ein Problem mit der Globalisierung und dem Freihandel haben, wobei er stets betont, nicht grundsätzlich gegen solche Handelsabkommen zu sein. "Ceta ist ein Vertrag neuen Typs, der Recht setzt für spätere Abkommen", sagt Magnette. "Unsere Aufgabe ist es, sehr strenge Normen und Standards für unsere künftigen Beziehungen mit Kanada zu fixieren." Nach Ansicht der EU-Kommission ist dies jedoch gerade nicht Aufgabe einer europäischen Region.

Daneben ist die Causa Ceta auch eine einmalige Gelegenheit für Magnette, sich zu profilieren. Vom "Kampf seines Lebens" sprechen belgische Medien, dem "entscheidenden Moment seiner Karriere". Der 45-Jährige mit dem Dreitagebart ist gelernter Politikprofessor, von 2007 bis 2013 bekleidete er diverse Ämter in der nationalen Regierung, zuletzt im Kabinett seines Parteikollegen Elio Di Rupo. Der wiederum hat noch nicht verkraftet, dass er 2014 abtreten musste und soll im Hintergrund fleißig die Fäden bei allen Aktionen ziehen, die der konservativ-liberalen Regierung seines Nachfolgers Charles Michel schaden können. Säße die Parti Socialiste noch mit am Tisch in der Brüsseler Rue de la Loi, wäre es wohl nicht zu diesem Schlamassel gekommen. Die PS kann insofern nur gewinnen, wenn sie bei Ceta hart bleibt, nicht zuletzt, weil ihr die kommunistische Linksaußen-Partei PTB in Umfragen gefährlich nahe rückt.

Die schärfste Kritik an den frankofonen Belgiern stammt, wie immer, aus Flandern. Gwendolyn Rutten, Chefin der flämischen Liberalen, fordert, man möge jetzt bitte unterschreiben, egal was die Wallonen sagen. Wenn Politiker der nationalistischen Regierungspartei N-VA allerdings über die "Sowjetrepublik" im Süden schimpfen, ist Heuchelei im Spiel. Denn gerade die flämischen Separatisten waren es, die den belgischen Ultra-Föderalismus vorangetrieben haben, so dass immer mehr Kompetenzen in die Teilstaaten verlagert wurden. Auch beim Außenhandel.

© SZ vom 24.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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