CDU-Klausurtagung:Die Entdeckung der Gerechtigkeit

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Die große Koalition ist noch keine zwei Monate alt. Und doch hat die Union auf ihrer Vorstandsklausur still und leise die Vorbereitung auf die nächste Bundestagswahl begonnen.

Große Rücksicht wollen die Christdemokraten auf die SPD nicht nehmen - unter Wahrung der politisch angezeigten Tonlage in einer Koalition. Kanzlerin Angela Merkel war am Ende sogar davon überzeugt, dass erfolgreiche Regierungsarbeit in der großen Koalition Spielräume schaffe, "die eigene Identität zu schärfen".

Nachdem Merkel vor allem in den Augen der Bürger ihre ersten Kanzlerinnen-Wochen mit Bravour absolviert hatte, bahnte sich schon vor der Klausur eine harmonische Veranstaltung an. Und doch war es bemerkenswert, wie nahezu alle 40 Vorstandsmitglieder am Samstag äußerst zufrieden der Heimat zustrebten.

Hessens Ministerpräsident Roland Koch sah "einen guten Konsens", wie die Partei in den nächsten ein bis zwei Jahren vorgehen wolle.

Nach außen spektakuläre Beschlüsse waren gar nicht einmal verabschiedet worden. Die großen Streitthemen der vergangenen Wochen - die Verlängerung der Restlaufzeiten für die Kernkraftwerke und die Einführung eines Kombilohns - wurden, anders als auf der CSU-Klausur in Wildbad Kreuth, allenfalls am Rande erwähnt.

Dennoch war auch die CDU im Grunde nur mit einer Frage beschäftigt: Wie kann die Partei trotz der Einbindung in die große Koalition kenntlich bleiben, sich vom Bündnispartner trotz der notwendigen Treue von ihm abgrenzen? Die Überschrift der Mainzer Klausur lautete: "Neue Gerechtigkeit durch mehr Freiheit".

Wie nun tatsächlich Gerechtigkeit durch eine Verstärkung der Freiheit des Einzelnen entstehen kann, schien zum Abschluss trotz der Erklärversuche der Kanzlerin nicht jedem Teilnehmer aufgegangen zu sein. "Ich habe es nicht ganz verstanden", räumte ein CDU-Mann offenherzig ein.

Kluger Schachzug von Pofalla

Als kluger Schachzug des neuen Generalsekretärs Ronald Pofalla wurde aber der Versuch gewertet, den Begriff Gerechtigkeit überhaupt einmal wieder selbst zu besetzen. Die Wähler hatten diesen Begriff jahrelang mit der SPD in Verbindung gebracht.

Bei der Bundestagswahl war die CDU - dies ist inzwischen Allgemeingut in der Partei - zu kühl aufgetreten. Die Wähler empfanden eher die SPD als Partei der sozialen Gerechtigkeit. Das versucht Pofalla nun zu ändern.

Die neue Strategie des sanften Raubzugs von SPD-Schätzen zeigte beispielsweise die Diskussion über die frühkindliche Erziehung. Der Hirnforscher Gerald Hüther referierte zu diesem Thema als Gast. Manchem Teilnehmer wurde nach Hüthers Analyse der Bildung und Fürsorge für die "Kleinen" ganz mulmig.

"In Deutschland ist da wohl vieles zusammengebrochen", meinte ein Vorstandsmitglied nachdenklich. Der Vorstand setzte eine Kommission unter Leitung von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen und Sachsen-Anhalts Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz ein, die bis Ende des Jahres über neue Strategien bei Bildung und Erziehung nachdenken soll.

Im Grunde ist schon dieser Schritt für die Union eine kleine Revolution. Denn bislang folgten CDU und CSU bei der Kindererziehung immer noch dem Leitbild, das bei diesem Thema fast ganz auf die Eltern setzt.

Nun heißt es in der Mainzer Erklärung: "Noch immer entscheidet die Herkunft eines Menschen erheblich über seine Bildungschancen." Die (noch) unausgesprochene Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Der Staat muss den Eltern wohl mehr als bisher zur Seite springen. So wurde bislang eher bei den Sozialdemokraten gedacht.

Bei den anstehenden Wahlkämpfen in Baden-Württemberg, Rheinland- Pfalz und Sachsen-Anhalt setzt die CDU auf Sieg. Welche Auswirkungen ein solcher Triumph freilich auf das Koalitionsklima in Berlin hätte, wollte sich von den CDU-Granden aber lieber noch keiner ausmalen.

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