Bush in Bagdad:Das Drehbuch für den Truthahn-Trip

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Wie der US-Präsident George W. Bush und seine engsten Berater mit ihrer minutiös vorbereiteten Aktion Freund und Feind überraschten.

(SZ vom 29.11.2003) - Creig und Deb gehören nicht zu jenen Amerikanern, die George Bush besonders mögen. Ganz im Gegenteil: Bei seinem bloßen Anblick schwillt ihnen der Kamm, wenn sie nur seine Stimme hören, sträuben sich ihnen die Nackenhaare. Ein Präsident, den man entweder liebt oder hasst, hatte das Nachrichtenmagazin Time unlängst geschrieben, und Creig und Deb fallen eindeutig in die zweite Kategorie.

Doch der Überraschungsbesuch des Präsidenten bei der Truppe in Bagdad nötigte selbst ihnen Respekt ab - wenn auch mit vernehmlichen Zähneknirschen. "Das war nichts anderes als ein Hollywood-Stunt", meinte Creig, während er dem Thanskgiving-Truthahn ein wenig aggressiver als nötig mit dem Tranchiermesser zu Leibe rückte, "aber leider war es ein verdammt guter Stunt".

So wie er denken viele Amerikaner: Anhänger des Präsidenten jubeln, seine Gegner zollen ihm widerwillig Anerkennung, und selbst die demokratischen Präsidentschaftsbewerber murmeln Zustimmung. Mehr noch als die mittlerweile umstrittene Landung Anfang Mai auf dem Flugzeugträger Abraham Lincoln dürfte die Nacht- und Nebelreise der Popularität des Präsidenten einen deutlichen Schub verliehen haben.

Hilflose Hillary

Bush in der Tarnjacke, umgeben von Soldaten, den gebratenen Truthahn in den Händen - nicht umsonst nennt man so etwas in den USA einen Kodak moment, einen Augenblick, den man auf Film bannen muss für die Nachwelt.

Dass es dabei auch auf die Wahl des richtigen Zeitpunktes ankommt, musste sich übrigens die Senatorin und ehemalige First Lady Hillary Clinton eingestehen: Ihr Bagdad-Besuch findet nun gleichsam unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, weil ihr Bush buchstäblich die Show gestohlen hat.

Die amerikanische Politik im Allgemeinen und das Amt des amerikanischen Präsidenten im Besonderen leben in nicht unerheblichem Ausmaß von Symbolen, und bei der Blitzreise in den Irak hätte die Symbolik nicht besser gewählt sein können: Der Oberbefehlshaber an der Front, die perfekte Geheimhaltung, das Überraschungsmoment, und natürlich der Termin - Thanksgiving.

Denn dieses Erntedankfest ist der vermutlich bedeutendste amerikanische Feiertag, an dem sich die Familien zu einem gemeinsamen Essen versammeln und in versöhnlicher Stimmung das vergangene Jahr Revue passieren lassen. Weil sie zudem an diesem Tag im Fernsehen Football-Spiele sehen, war sichergestellt, dass die Bilder von Bush in Bagdad ein aufnahmebereites Millionenpublikum erreichten.

Früher war es üblich, Soldaten aus nahe gelegenen Stützpunkten zum Truthahn-Essen einzuladen, wenn sie nicht selbst zu Vater und Mutter nachhause fahren konnten. Auch an diese Tradition knüpfte Bush an, als er nun selbst zu den Soldaten flog. Auch wenn alle erdenklichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden waren, wusste die Truppe das Risiko zu schätzen, das ihr Oberbefehlshaber eingegangen war.

"Es war eine angenehme Überraschung", meinte Master Sergeant Michael Johnson. "Sie hatten uns so lange mit dem Essen warten lassen, dass ich anfing, zornig zu werden. Aber wann sieht man denn schon einmal den eigenen Präsidenten?"

Die Idee für die Reise war irgendwann Mitte Oktober von Bushs Stabschef Andrew Card vorgeschlagen worden, und Bush war sofort davon eingenommen. "Ja, ich würde gerne fahren", habe er erwidert, erzählte der Präsident nun. "Aber ich will nicht, dass irgendjemand in Gefahr gerät." In den kommenden Wochen befragte Bush Militärkommandeure nach Details, besprach sich mit Irak-Verwalter Paul Bremer und setzte sich sogar mit Mark Tillman zusammen, dem Piloten der Präsidentenmaschine Air Force One.

Dennoch hatte er nach eigenen Worten bis zuletzt Zweifel, ob der Überraschungstrip gelingt. Noch drei Stunden vor der Landung in Bagdad ließ Bush überprüfen, ob das Geheimnis nicht geplatzt war. "Ich war voll darauf vorbereitet, dieses Baby umzudrehen und nachhause zu fliegen", vertraute Bush den wenigen mitreisenden Journalisten an.

Die Reporter gehörten zu der Hand voll Menschen, die in das Projekt eingeweiht waren: Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gehörte dazu, Stabschef Card, Außenminister Colin Powell und Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, die Bush auf der Reise begleitete. In den Wochen zuvor hatte Bush am Telefon mit Code-Worten operiert, wenn er über den Plan sprach. Selbst die Familienangehörigen Bushs - Ehefrau Laura, die Eltern George und Barbara sowie die Zwillingstöchter Barbara und Jenny - waren erst in letzter Minute eingeweiht worden.

Da hatten die Vorbereitungen für den Gewalttrip schon lange begonnen: 27 Stunden Flug für gut zwei Stunden in Bagdad. Noch nicht einmal die Agenten des Secret Service, die Bushs Ranch in Texas bewachten, wussten, dass es der Präsident und Condi Rice waren, die das Anwesen verließen.

Beide trugen Baseball-Kappen, die sie tief ins Gesicht gezogen hatten, und Bush rutschte im Fonds der Limousine tief hinunter in die Polster. "Wir sahen aus wie ein ganz normales Paar", sagte Bush später. Wie ein normales Paar fuhren sie auch mit einem normalen Auto die 45 Minuten zu einem Stützpunkt, wo die Präsidentenmaschine Air Force One wartete.

Zum ersten Mal seit seiner Vereidigung vor drei Jahren, scherzte Bush, sei er wieder im Verkehr stecken geblieben. Normalerweise gelten für Präsidentenkonvois weder rote Ampeln noch Vorfahrtsregeln.

Bush flog auf den Luftwaffenstützpunkt Andrews bei Washington, wo er in eine andere Präsidentenmaschine wechselte. Hier stiegen auch einige Journalisten zu, die unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit eingeladen worden waren.

Vor dem Abflug mussten sie Handies und andere elektronische Kommunikationsgeräte abgeben. Der Präsident selbst unterstrich unmissverständlich, wie ernst er es mit der Geheimhaltung meinte: Er fuhr sich mit der Hand wie mit einem Messer über die Kehle und formulierte mit den Lippen lautlos die Worte "no calls" - keine Anrufe.

Ein Brite schöpft Verdacht

Aufgeflogen wäre der Coup fast noch, als ein British-Airways-Pilot die Air Force One in der Luft erkannte. "Habe ich da gerade die Air Force One gesehen?", funkte er nach Angaben der Reporter ins Cockpit der Bush-Maschine. Es dauerte eine Weile, bis der Air-Force-One-Kapitän Tillman zögernd zurückgab es handle sich um die Gulf Stream Five, eine kleinere Maschine der Präsidenten-Flotte. Dies habe der britische Pilot mit einem verschwörerischen "Oh" quittiert.

So positiv viele Amerikaner und die US-Soldaten auf die Reise reagierten, so verunsichert erscheinen freilich viele Iraker über den Wert des Besuches. Der von den USA eingesetzte Regierungsrat war aus Sicherheitsgründen nicht vorab unterrichtet worden.

Vier Mitglieder dieses Gremiums waren anschließend mit dem amerikanischen Präsidenten zusammengetroffen, weil sie zu demselben Essen mit den Soldaten eingeladen worden waren. Das Ratsmitglied Mahmud Osman schätzte die Lage realistisch ein, als er sagte, dass der Besuch in erster Linie den US-Truppen und nicht dem irakischen Volk gegolten habe.

Abwartend äußerten sich andere Iraker. "Wir werden wohl eine Woche warten müssen, bis wir sehen, ob der Besuch gut oder schlecht für uns war", zitierte die Washington Post Mohammed Ibrahim, der eine populäre Eisdiele in Bagdad betreibt.

Der Student Ahmed Kassim gestand zu, dass es "ein gefährlicher Trip" für Bush gewesen sei. "Vielleicht ist er gekommen, um die Truppen zu unterstützen, vielleicht wollte er ihnen das Gefühl geben, dass es jemanden gibt, der sich um sie kümmert", meinte er. Dann fügte er nachdenklich hinzu: "Wir hoffen, dass Bush den Befehl gibt, die Dinge in Zukunft besser zu machen."

© Von Wolfgang Koydl - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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