Bundeswehr in Afghanistan:"Man kann sich nicht schützen"

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Nach dem jüngsten Zwischenfall in Kundus: Bundeswehr-Verbandsvize Ulrich Kirsch über die Risiken des Isaf-Einsatzes, den Frust deutscher Soldaten - und die Versäumnisse der Politiker.

Oliver Das Gupta

sueddeutsche.de: Herr Kirsch, Sie sagen, der Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch sei geschönt dargestellt. Was meinen Sie damit konkret?

In riskantem Einsatz: Bundeswehr-Soldat in Afghanistan (Foto: Foto: Reuters)

Ulrich Kirsch: Es wäre besser gewesen, wenn man deutlich gesagt hätte: Für unsere Soldatinnen und Soldaten gibt es dort auch echte Kampfhandlungen. Feuergefechte, die 30 Minuten dauern, mit Stellungswechseln und Ausweichmanövern. Zu einem Kampf sollte man auch Kampf sagen. Doch das hat leider bislang nicht stattgefunden.

sueddeutsche.de: Welche Folgen hat diese Sprachregelung?

Kirsch: So ist der Eindruck entstanden, dass im Norden Afghanistans alles paletti sei. Doch das ist nicht der Fall, wie man an den Vorfällen sehen kann. Der Anschlag von dieser Woche hat gezeigt, dass Tod und Verwundung Teil unserer Einsätze geworden sind. Das macht uns betroffen! Man kann sich nicht gegen alles schützen. Der Gegner bestimmt Zeit und Ort - dadurch hat er die Überraschung auf seiner Seite.

sueddeutsche.de: Kann man diese Kämpfe schon als eine Art von Krieg bezeichnen?

Kirsch: Das sind kriegerische Handlungen. Die exakte Bezeichnung lautet: Aufstandsbekämpfung. Unser Auftrag lautet: Als Isaf (Internationale Schutztruppe für Afghanistan) unterstützen wir die afghanische Regierung dabei, ein stabiles Umfeld zu schaffen, damit das Land aufgebaut werden kann. Nichts anderes machen wir dort.

sueddeutsche.de: Die Situation in Nordafghanistan wird immer unruhiger. Müssen wir uns darauf einstellen, dass es bald noch mehr tote deutsche Soldaten gibt?

Kirsch: Das kann niemand vorhersagen. Aber eines ist klar: Taliban- und Al-Qaida-Kämpfer gibt es reichlich. Sie trainieren ungestört in Pakistan und sickern dann über die ungesicherte Grenze nach Afghanistan ein. Gerade vor der anstehenden Mandatsverlängerung versuchen sie, Stimmung zu machen.

sueddeutsche.de: Meinen Sie damit, dass die Islamisten dadurch auch Einfluss auf die öffentliche Meinung in Deutschland nehmen wollen?

Kirsch: Wir müssen uns immer darüber im Klaren sein, dass die Führer der Taliban und von al-Qaida zu Kenntnis nehmen, was in deutschen Zeitungen und Online-Medien geschrieben wird.

sueddeutsche.de: Wie ist denn die Stimmung in der Truppe angesichts der wachsenden Bedrohungslage?

Kirsch: Die Stimmung in der Truppe ist positiv, was den Auftrag angeht. Doch viele kommen aus Afghanistan zurück und erfahren, dass dieser Einsatz zu Hause nur von ganz wenigen zur Kenntnis genommen wird. Sie werden gefragt: Was macht ihr da eigentlich? Das bringt doch sowieso nichts. Das sitzt dann schon tief. Die Betroffenen finden sich dann in einem Spannungsfeld wieder zwischen der friedlichen Heimat und dem feindlichen Geschehen in Afghanistan. Das ist oft schwer auszuhalten.

sueddeutsche.de: Was für einen Rat haben Sie, damit diese Spannung abfällt?

Kirsch: Man müsste ehrlicher mit diesen Tatsachen umgehen. Die politisch Verantwortlichen in diesem Land sind gefordert, in unsere Gesellschaft hineinzutragen, wozu dieser Einsatz gut ist.

sueddeutsche.de: Seit 2006 ist die Bundeswehr in Afghanistan - doch dort zieht sich der Aufbau hin.

Kirsch: Es ist richtig, dass der Aufbau nur sektoral stattfindet und nicht in der gesamten Breite. Deswegen gibt es Defizite, zum Beispiel in der Verwaltung, der Justiz oder bei der Polizeiausbildung.

sueddeutsche.de: Woran liegt es, dass es diese Defizite gibt?

Kirsch: Das liegt vor allem an der internationalen Gemeinschaft, denn die hat sich zum Beispiel dazu bereit erklärt, die Polizei auszubilden. Wir haben um die 30 deutsche Polizisten in Afghanistan - dabei hat sich Berlin bei einem G-8-Gipfel verpflichtet, in dieser Causa die führende Nation zu sein. Man hat das jetzt zu Eupol rübergeschoben. Die internationale Gemeinschaft tut leider viel zu wenig. Das führt auch dazu, dass man die Herzen und Köpfe der afghanischen Bevölkerung nicht erreicht. Darum gibt es viele, die die Islamisten unterstützen, weil sie keine Besserung erfahren - diese Schieflage wird letztendlich auf dem Rücken unserer Soldaten ausgetragen. Im Übrigen: Mit Soldaten können Sie nur Zeit kaufen - doch irgendwann ist die Zeit um. Es darf nicht dazu kommen, dass deutsche Soldaten als Besatzer angesehen werden.

Ulrich Kirsch, Offizier im Rang eines Oberstleutnants, ist stellvertretender Vorsitzender des Deutschen BundeswehrVerbands (DBwV). Etwa 200.000 aktive und ehemalige Soldaten sowie deren Angehörige sind in dem Verband organisiert.

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