Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan:Die Erwartungshaltung steigt

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Im Süden Afghanistans ist die Gewalt alltäglich. Weil die Bundeswehr nur in den verhältnismäßig ruhigen Landesteilen stationiert ist, wird sie im ISAF-Hauptquartier kritisch betrachtet. Manchmal kann es mit einer Verlegung sehr schnell gehen, wenn der Druck groß genug wird.

Die Heftigkeit, mit der die Gefechte mit den radikal-islamischen Rebellen in Südafghanistan toben, hat selbst Pessimisten überrascht. Vor knapp einem Monat hat die Internationale Schutztruppe ISAF das Kommando für die Krisenregion übernommen.

Die Bundeswehr ist im verhältnismäßig ruhigen Norden Afghanistans stationiert - noch (Foto: Foto: ddp)

Manchmal, so sagt ein westlicher Diplomat in Kabul, kämpfen die Soldaten ums nackte Überleben. Nun überlegt die ISAF-Führung, auch die Bundeswehr im unruhigen Süden einzusetzen. Dass deutsche Truppen sich dort Kämpfe mit radikal-islamischen Rebellen liefern müssten, wird im Hauptquartier der NATO-geführten ISAF nicht ausgeschlossen.

Derzeit gebe es keine Anhaltspunkte für eine solche Planung, sagt der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg. Auffallend erscheint aber, dass Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) sich mit einem Dementi zurückhält, dass die Bundeswehr auch im Süden eingesetzt werden könnte.

Die Erfahrung lehrt inzwischen, dass es mit Einsätzen der Bundeswehr auch in gefährlichen Gebieten sehr schnell gehen kann, wenn der internationale Druck nur groß genug ist. Zudem müsste in diesem Fall nicht einmal der Bundestag befragt werden, weil dieser das Mandat vor einem Jahr auf das ganze Land ausgeweitet hat.

Für den ISAF-Einsatz dürfte es weit reichende Folgen haben, sollte die Bundesregierung eine mögliche Anfrage der Schutztruppe für einen Einsatz der Bundeswehr im Süden aus Sicherheitsgründen ablehnen.

Andere ISAF-Nationen könnten dem Beispiel folgen. Schon jetzt, so heißt es im ISAF-Hauptquartier, werde Deutschland kritisch betrachtet - weil die Bundeswehr nur im verhältnismäßig ruhigen Norden des Landes und in der Hauptstadt Kabul stationiert ist, während andere Nationen Opfer im Süden bringen.

Bislang sind vor allem Kanadier, Briten und Niederländer im Süden stationiert. Vom ISAF-Konzept, bereits befriedete Gebiete zu stabilisieren, ist wenig übrig geblieben - die Gewalt ist alltäglich.

Rebellen nehmen Rache für jedes tote Familienmitglied

Zwar tragen die Soldaten den Kampf immer wieder zu den Rebellen. Doch auch die Aufständischen greifen an, obwohl die ISAF-Truppen ihnen militärisch weit überlegen sind. Sicherheitsexperten sprechen in manchen Fällen von "menschlichen Wellen" hunderter feindlicher Kämpfer, die versuchten, ISAF-Außenposten zu stürmen.

Die regierungsfeindlichen Kämpfer - auch, aber nicht nur Taliban - haben weit höhere Verluste zu verzeichnen als die ISAF. Seit Jahresbeginn wurden nach Schätzungen über 1000 Rebellen getötet. Doch niemand glaubt noch, dass der Aufstand militärisch niedergeschlagen werden kann.

Das Konfliktgebiet wird von Paschtunen bevölkert, ihr Ehrenkodex gebietet ihnen, für getötete Familienmitglieder Rache zu nehmen. Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass für jeden getöteten Aufständischen zehn neue der Bewegung beitreten.

Die afghanische Regierung hält den Aufstand für ein "ernsthaftes Problem". "Wir sind mit einem international gut operierenden Terrornetz konfrontiert", sagt Außenminister Rangin Dadfar Spanta der dpa.

Der Wiederaufbau blieb aus

Nach Einschätzung von Kasim Achgar, Schriftsteller, Analyst und Mitglied der afghanischen Menschenrechtskommission, kontrollieren die Rebellen "praktisch den Großteil des Südens. In den ländlichen Gegenden gilt ihr Gesetz." Ein westlicher Diplomat meint, die Rebellen verfolgten die Strategie, "befreite Gebiete" zu schaffen, Städte zu isolieren und diese schließlich einzunehmen.

Gebrochene Versprechen der afghanischen Regierung und der internationalen Gemeinschaft sind der Grund, warum die Lage im Süden so verfahren ist: Der Wiederaufbau nach dem Sturz der Taliban blieb weitgehend aus, frustrierte Paschtunen wandten sich den Rebellen zu.

ISAF-Truppen im Süden brauchen Verstärkung

Nun wird hektisch versucht, das wieder gut zu machen. Das Konzept: Die ISAF soll gemeinsam mit afghanischen Sicherheitskräften halbwegs sichere Zonen schaffen, in denen schnell sichtbare Hilfsprojekte wie Wasser- und Energieversorgung sowie Straßenbau verwirklicht werden.

Wie steinig der Weg sein wird, darauf lassen die Verluste der ISAF im Süden schließen. Sechs Briten und ebenso viele Kanadier starben bei Kämpfen und Anschlägen seit der Kommandoübernahme vor einem Monat.

Auch sechs Bundeswehr-Soldaten starben einen gewaltsamen Tod in Afghanistan, zwölf verloren ihr Leben bei Unglücken und Unfällen - allerdings seit Beginn des Einsatzes vor bald fünf Jahren. Absehbar ist, dass die Truppensteller im Süden die tödliche Last irgendwann nicht mehr alleine werden schultern wollen.

© Can Merey, dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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