Bundespräsident Horst Köhler:Allein, es fehlt der Glanz

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Er gilt als fleißig, akribisch und bescheiden. In der Debatte um seine zweite Amtszeit legen Bundespräsident Horst Köhler das die einen als Qualität aus, die anderen als Manko.

Stefan Braun

Der Mann betritt den Saal, und nichts ist zu hören. Er muss leise Sohlen tragen. Mittelgroß ist er, mittelschwarz ist sein Anzug, mittelgrau ist sein Haar geworden. In wenigen Schritten eilt er nach vorn, er will Platz nehmen und kein Aufhebens machen.

Köhler - ein Held? Das müsste mal ein Deutscher zu ihm sagen. (Foto: Foto: ddp)

Als er in der ersten Reihe ankommt, schüttelt er schnell noch ein paar Hände. Dabei streckt er seinen Nachbarn so freundlich die Hand entgegen, als wäre er es, der sich vorstellen müsste. Und jedem nickt er kurz und so ehrfürchtig zu, als müsse er allen anderen Respekt erweisen. Hier jedoch tritt kein schüchterner Konfirmant auf. Horst Köhler, der Bundespräsident, ist eingetroffen. Was man freilich nur merkt, weil er - wie stets - angekündigt wurde vor seinem Erscheinen.

Horst Köhler will und hat keine Insignien von Hofstaat, Macht und Wichtigkeit. Er beherrscht keine entsprechenden Gesten, er hat keine große Mannschaft dabei, die sein hohes Staatsamt bildreich unterstreichen könnte. Köhler schreitet nicht, er stolziert nicht, er gibt nicht den eitlen Storch, wie das mancher seiner Vorgänger durchaus genussvoll zelebierte. Horst Köhler zelebriert gar nichts. Würde sich das Publikum nicht vor seinem Auftritt erheben - es würde ihn vielleicht gar nicht bemerken.

Bemerken ist in diesem Zusammenhang eine heikle Vokabel, vor allem für Köhler selber. Vier Jahre ist er bald im Ámt, und er hat in dieser Zeit einmal den Bundestag aufgelöst, zweimal Gesetze der Regierung gestoppt und einmal in langer Abwägung das Gnadengesuch eines früheren RAF-Terroristen verweigert. So gesehen ist also einiges los gewesen, seitdem er Hausherr ist im Schloss Bellevue. Trotzdem muss er sich mit dem Eindruck herumschlagen, er sei weder durchschlagskräftig noch wichtig, noch würde er irgendwie seine Zeit prägen. Wer seine Auftritte als Beleg nimmt für seine Bedeutung, der kann schon zu dem Schluss kommen, da sei bislang so viel nicht gewesen und nicht gewachsen.

In Afrika ein Held

Eugène-Richard Gasana sieht das allerdings anders. Der Botschafter von Ruanda ist von stattlicher Statur, fast ein Hühne. Er hält die zentrale Rede beim Jubiläum des "Senior Experten Service", einer deutschen Organisation, die seit 25 Jahren rüstige Rentner als ehrenamtliche Entwicklungshelfer um die Welt schickt. Gut 1000 von ihnen sind zum Fest gekommen, auf eigene Kosten. Der SES ist beim Botschafter sehr beliebt. Nur Köhler ist bei ihm noch viel beliebter. Und dabei widerspricht der Mann aus Afrika allen, die Köhler für einen ziemlich bedeutungslosen Präsidenten halten.

Gasana entschuldigt sich, er wolle die einmalige Gelegenheit nutzen, um in Anwesenheit so vieler Menschen über Köhler zu sprechen. Der sei ein großartiger Mann. Einer, der was bewege für Afrika und den deutsch-afrikanischen Beziehungen eine neue Qualität gebe. "Er schenkt uns Afrikanern Achtung und Respekt und begegnet uns auf gleicher Augenhöhe. Er ist ein Mensch mit einem großen Herzen, und wir sind ihm zutiefst dankbar für all das, was er für Afrika leistet."

Es ist leise im großen Rund des alten Bonner Bundestages. Und der Präsident, plötzlich auf der Großleinwand sichtbar, bekommt feuchte Augen. So was hört er eher selten. Der Botschafter schaut Köhler direkt an und fügt hinzu: "Das musste mal gesagt werden."

Köhler - ein Held? Das müsste mal ein Deutscher zu ihm sagen. Doch was stimmt tatsächlich? Der Eindruck von Köhler, dem auf den ganz leisen Sohlen? Oder der Eindruck, den der Botschafter vermittelt? Das deutsche Publikum gibt auf diese Frage zunächst eine ziemlich klare Antwort. Seit Monaten, ja seit Jahren sind Köhlers Umfragewerte ausgezeichnet. Stabil mehr als 70 Prozent der Befragten sind mit ihm sehr zufrieden, jüngst hat das Politbarometer ermittelt, dass 80 Prozent ihm eine zweite Amtszeit wünschen. Vier von fünf Deutschen möchten ihn gern behalten. Beliebter als er ist hie und da nur die Kanzlerin und schon seltener der Vielleicht-Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten, Außenminister Frank-Walter Steinmeier.

Nun sind Umfragen nicht alles, sie sind Momentaufnahmen. Aber abgesehen davon, dass bei Köhlers Werten der Moment schon ziemlich lang andauert, kommt da doch eine hohe Wertschätzung zum Ausdruck, eine, die nicht passen möchte ins sehr gemischte Echo bei Politikern und Kommentatoren. Welche Sensoren also, so muss man fragen, stimmen?

Spurensuche im Schloss Bellevue, zu Gast bei Gert Haller. Gert - wer? Genau, bei jenem einigermaßen unbekannten Gert Haller, 64, den sich Köhler nach anderthalb Jahren ins Amt holte. Als Stütze, als Kumpel an seiner Seite, als Ein-Euro-Mann auf dem Posten des formal höchsten deutschen Beamten. So etwas nämlich ist Gert Haller, er leitet das Bundespräsidialamt, er kam für eine symbolische Bezahlung von einem Euro, weil ihm seine Firmenpension aus der früheren Tätigkeit reicht. Und er ist, das vor allem, Freund und Vertrauter des Präsidenten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was die Beziehung zwischen Gert Haller und seinem Vorgesetzten Horst Köhler ausmacht und welche Fähigkeit dem Bundespräsidenten immer noch fehlt ...

Haller sieht nicht nur fast genauso aus wie Köhler, er ist dem Präsidenten, der gerade ein Jahr älter ist, über viele Jahre gefolgt in den Ämtern.

Wie Köhler kletterte er als fleißiger Ministerialbeamter die Karriereleiter hinauf bis auf den Stuhl eines Staatssekretärs im Bundesfinanzministerium, wie Köhler beriet er den Kanzler Helmut Kohl als Sherpa bei den Weltwirtschaftsgipfeln - und wie Köhler wechselte er Mitte der neunziger Jahre in die Wirtschaft. Warum er nun noch einmal auf Bitten Köhlers nach Berlin gekommen ist, umschreibt der Mann mit dem kleinen grauen Schnauzer mit großem Stolz: "Wenn Sie schon mal in der Bundesliga gespielt haben, ist die Verlockung groß, das nochmal zu versuchen."

Hallers Welt in Berlin freilich ist nicht die des Fußballs. Kein Geschrei und keine Jubelgesänge. Wer ihn besucht, betritt eine Welt fast totaler Stille. Vor den Fenstern sieht man auf mächtige grüne Bäume, hier drin ist es so leise, dass das Rauschen der Klimaanlage fast dröhnt wie eine Baumaschine. Alles wirkt wohl sortiert, die Wände schmücken farbenfrohe Stilleben. Nur die Sekretärin flüstert einem zu, man solle sich mal nicht täuschen, es gehe nicht immer so ruhig zu.

Anders ist Haller kaum zu denken. Er gilt als eifriger Diskutant, als Streiter für seine Sache. Als einer, der vollen Einsatz fordert und vollen Einsatz gibt. Einem jungen Mann, den er, in anderem Amte, einst einstellte, gab er mit: "Wenn Sie morgens um halb sechs aus dem Bett fallen, will ich, dass Sie an unser Wohl denken. Und wenn Sie abends um elf ins Bett fallen, will ich genau das Gleiche."

"Das ist keine Masche"

Womit wir wieder bei Horst Köhler wären. Einer, der ihn und andere Bundespräsidenten erlebt hat, sagt: ,,Er ist mit Abstand der fleißigste Präsident von allen." Was als Lob gemeint ist und nicht ohne Nachgeschmack auskommt. Haller sagt, es habe ihn immer beeindruckt, ,,wie akribisch und unermüdlich er arbeitet". Er zielt auf Köhlers Leidenschaft ab. Eine Leidenschaft, die beide aufs Engste verbindet.

Die zwischen ihnen zu stundenlangen Debatten führt über die Globalisierung und die daraus zu ziehenden Konsequenzen. Glaubt man Haller, ist Köhler der Internationalist unter den Präsidenten. "Er ist zutiefst überzeugt, dass man diese Welt auf einem stabilen Pfad nur halten kann, wenn man eine kooperative Weltpolitik hinbekommt." Dabei spiele Afrika eine immer größere Rolle: "Wir werden keinen Frieden haben, wenn eine Milliarde Menschen im Armenhaus Afrika sitzen bleiben - von diesem Gedanken ist er getrieben." Köhler, der Afrikaner - ein Bild, das gepflegt wird.

Derzeit dürften beide leidenschaftlich auch darüber reden, ob Köhler nochmals antritt. Die Emotion zu diesem Thema bekommt der Besucher schnell zu spüren. Natürlich hat Haller das Stück über den Präsidenten im neuesten Spiegel längst gelesen. Es beschreibt Köhler als einen, der die Politikverdrossenheit nutze, um beim Publikum zu punkten. Hallers Kommentar: "Ich verstehe, was der Spiegel schreibt. Aber er verwechselt Ursache und Wirkung." Für ihn, Haller, sei es genau umgekehrt: "Der Resonanzboden ist inzwischen so groß. Deshalb wirken Köhlers Sätze." Es sei schlicht falsch, Köhler zu unterstellen, er habe die "Masche, populistisch zu punkten". Die Sätze sollen eine Position markieren und Entschlossenheit signalisieren. Aber sie zeigen auch, wie die Kritik alle trifft im Präsidialamt. Köhler selbst am meisten.

Er kam schwer ins Amt, ihm haftete schnell das Image des Parteiischen an, weil er nach dem Nominierungsprozess als Kandidat Angela Merkels erscheinen musste. Gegen dieses Bild war zunächst kein Kraut gewachsen, auch wenn Köhler am Tag seiner Amtseinführung nicht nur ankündigte, sondern gleich auch belegte, dass er im Zweifel unbequem sein würde. Sein Lob für Gerhard Schröders Agenda 2010 und dessen triumphales Schauspiel danach war für Merkel sehr unangenehm.

Sehnsucht nach einem Vertrauten

Trotzdem blieb das Bild haften, bis hin zur Auflösung des Bundestages im Sommer 2005. Die Entscheidung war juristisch vertretbar, überlebte die Verfassungsbeschwerde - und wurde doch Köhlers schwächste Stunde. Bald danach begann jedoch so etwas wie die zweite Hälfte der Amtszeit. Köhler holte seinen Freund Haller. Formal ging dessen Vorgänger Michael Jansen, ein angesehener, gut vernetzter Diplomat, in den Ruhestand. Tatsächlich sehnte sich Köhler nach einem echten, engen Vertrauten.

Seither, das glaubt er fest, hat Köhler vor allem Wort gehalten. Im Zweifel unbequem - das will er sein, das gefällt ihm. So hat er Reformen noch eingeklagt, als Merkel längst nicht mehr so wollte; er hat in seiner ersten Berliner Rede 2006 an das Problem der Schulabbrecher erinnert, als andere darüber noch kaum sprachen; er hat die Beteiligung der Mitarbeiter verlangt, als die große Koalition daran noch nicht dachte.

Dabei fehlt vor allem eines: die Fähigkeit, zu genießen und entsprechend aufzutreten. Für ihn war das Amt kein Ziel. Für ihn ist es Aufgabe geblieben. Einer, der ihn seit langem begleitet, sagt: "Er ist nicht der Typ, in dem Zufriedenheit wohnt am Ende des Tages." Sie wissen im Amt, dass er kein guter Redner ist. Und sie wissen, dass sich die Ausstrahlung des Fleißigen manchmal kaum verträgt mit dem Wunsch der Menschen, ihr Staatsoberhaupt möge einfach Würde und Gelassenheit ausstrahlen.

Sie können es nur nicht ändern. Es würde bei Köhler aufgesetzt wirken. Rhetorikkurse? Präsentationsschule? Sie haben es sehr schnell verworfen. Die Gefahr erschien zu groß, dass er nicht mehr authentisch wirken würde. Nicht von ungefähr kommt das Urteil von einem, der mehreren Präsidenten diente: Köhler sei nicht nur der fleißigste, er wäre mit etwas mehr "präsidentieller Souveränität auch der beste".

"Präsidentielle Souveränität", was für ein Wort. Grandezza. Im Präsidialamt würden sie sie ihrem Horst Köhler sofort kaufen, wenn sie nur könnten. So muss er den Mangel mit Fleiß und Authentizität ausgleichen, und sie alle kennen den Vorteil, der Köhler hin und wieder auch nützt: "Er ist nicht der Exekutor", heißt es dort. "Aber das kann man ihm nicht anlasten. So steht es in der Verfassung."

Ein kleiner Sturm

Die Rollenverteilung kann ein Luxus sein, aber sie wird ihm nicht helfen in diesen Tagen, in denen alle auf Köhlers Entscheidung warten, ob er noch einmal antritt. Im November 2006 hatte er angekündigt, sich rund ein Jahr vor dem Wahltag zu äußern. Am Freitag ist der 23.Mai, dann werden es exakt zwölf Monate sein bis zur Abstimmung. Ob er sich mit seiner Ankündigung einen Gefallen getan hat, kann zur Zeit nur er beantworten.

Die politische Lage ist für einen Entschluss nicht leichter geworden. Seit Tagen macht die SPD hin und her. Erst kam sie mit der Botschaft, sie werde sich nicht gegen ihn stellen, dann mit dem Signal, eine eigene Kandidatin sei auch nicht von Schaden. Mittlerweile hat seine Konkurrentin von einst, die Politik-Professorin Gesine Schwan von der SPD, schon mal vorsichtig den Kopf gehoben. Das heißt für Köhler, die Lage ist verschwommener als vor Wochen. Er muss entscheiden, ob er auch kämpfen möchte. Einen Freifahrschein wird es womöglich nicht geben.

Im alten Plenarsaal neigt sich das Jubiläum der ,"Senior Experten". Selbst der Moderator spricht schon von seinem beruflichen Ende. Und dann, als der irgendwie noch etwas besonders Freundliches dranhängen möchte, richtet er sich an Köhler: "Herr Bundespräsident, wir werden uns, wenn unsere Amtszeit vorbei ist, doch ganz sicher auch bei den Senior Experten bewerben." Fröhlich, herzlich ist das gemeint. Und kurz, ganz kurz, kann Köhler schmunzeln. Dann aber bricht in seinem Gesicht Irritation aus. Stirnrunzeln, und seine Augen stellen Fragen: Wie bitte? Amtszeit? Zu Ende?

Einen Augenblick später lächelt er wieder. Der kleine Sturm in ihm ist vorüber. Köhler sieht nicht aus, als ob ihm der Gedanke gefallen hätte.

© SZ vom 21.05.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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