Bulgarien und Rumänien:Wo rote Fahnen wehen

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Kurz vor ihrem möglichen EU-Beitritt werden Bulgarien und Rumänien besonders hart geprüft.

Klaus Brill

Es sind nur noch zwei Wochen, bis die Prozedur beginnt, und die Spannung steigt. "Bulgarien im Endspurt"lautete der Titel einer Veranstaltung, zu der kürzlich EU-Kommission und Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik nach Berlin eingeladen hatten, und der sportliche Vergleich hat durchaus seine Entsprechung in der Realität. Zwar sind Minister und andere hohe Amtsträger aus Bulgarien sowie dem Nachbarland Rumänien in diesen Wochen nicht als Läufer unterwegs, aber sie legen doch viele tausend Meilen zurück - im Flugzeug.

In großer Zahl reisen sie nach Brüssel und in andere Hauptstädte der EU, zumal Berlin erwartet mehrfach Besuch. Sogar die Staatspräsidenten beider Länder haben sich angekündigt, ferner eine Reihe von Kabinettsmitgliedern. Auch nimmt zum Beispiel der neue bulgarische Generalstaatsanwalt Boris Weltschew nächste Woche am Deutschen Juristentag in Stuttgart teil.

Deutsche Abgeordnete verschiedenster Parteien waren reihenweise in jüngerer Zeit in Sofia und Bukarest zu Gast, auch Landespolitiker wie die Innenminister Bayerns und Baden-Württembergs waren in oder fahren beispielsweise nach Rumänien. "Wir freuen uns, dass wir diesen sehr dynamischen Austausch haben", sagt Bogdan Mazuru, Rumäniens Botschafter in Berlin. "Die Besucher sollen mit eigenen Augen sehen, wie viele positive Schritte Rumänien in letzter Zeit zurückgelegt hat."

Es geht nur um das eine

Es geht natürlich, in tausend Varianten, immer um dasselbe Thema, um die anstehende Entscheidung über die Aufnahme Rumäniens und Bulgariens in die Europäische Union. Am 26. September, in knapp zwei Wochen, wird die EU-Kommission dazu einen weiteren "Monitoring Report" vorlegen und eine Empfehlung aussprechen.

Nach allem, was bisher aus Brüsseler Kreisen verlautete, werden die Kommissare für den Beitritt zum 1. Januar 2007 und damit gegen eine Verschiebung um ein Jahr optieren. Die endgültige Entscheidung liegt danach freilich beim Europäischen Rat, der Versammlung der Staats- und Regierungschefs, die aller Voraussicht nach ebenso votieren werden.

Es fehlt dann nur noch die Ratifikation der Verträge durch die Parlamente der 25 jetzigen EU-Staaten. Die meisten haben dies schon erledigt, nur wenige fehlen noch, darunter der Deutsche Bundestag. Er wird am 28. September, zwei Tage nach dem Brüsseler Kommissionsverdikt, das Beitrittsgesetz in erster Lesung behandeln und voraussichtlich in der letzten Oktoberwoche die zweite Lesung nebst Schlussabstimmung halten. Auch dort ist wohl ein Ja zu erwarten.

Viele Abgeordnete hegen freilich Bedenken und verlangen Garantien dafür, dass die bisher von der EU-Kommission monierten Schwächen vor allem bei der Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität beseitigt werden.

Zudem muss gesichert werden, dass die EU-Milliarden, die künftig über die Neu-Mitglieder Rumänien und Bulgarien ausgegossen werden, nicht in die falschen Hände gelangen. Um solche Fragen ging es in allen Einzelheiten zum Beispiel jüngst, als in Berlin der rumänische Innenminister Vasile Blaga und der bulgarische Außenminister Ivajlo Kalfin mit Bundestagsabgeordneten sprachen.

"Wir haben alle unsere Verpflichtungen erfüllt und die Termine sogar noch unterboten", sagt der Rumäne Blaga. Und der Bulgare Kalfin erklärte bei der Diskussion um den Endspurt seines Landes den zahlreichen Zuhörern im Europäischen Haus in Berlin: "Wir haben unseren Aktionsplan fast vollständig abgearbeitet."

Es ist bei solchen Debatten oft von roten Fahnen die Rede. Mit roten Fahnen pflegen der EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn und seine Kontrolleure vor Ort in Sofia und Bukarest jene Bereiche zu markieren, in denen sie noch "ernste Bedenken" hinsichtlich der Aufnahmetauglichkeit eines Landes haben.

Im Falle Bulgariens waren dies vor einem Jahr noch 16 Sektoren, der jüngste so genannte Fortschrittsbericht vom 16. Mai vermerkte nur noch sechs. Genau auf diesen Feldern wurden verstärkte Anstrengungen angemahnt, auf ihnen ruht auch in zwei Wochen die größte Aufmerksamkeit.

Was also haben Regierung, Parlament und Behörden in Sofia inzwischen getan, um die Geldwäsche und die in diesem Land besonders aktiven Mafia-Banden zu bekämpfen? Wie ist die Korruption zu beseitigen, und wie wird verhindert, dass die künftig fließenden EU-Gelder aus dem Brüsseler Struktur- und dem Kohäsionsfonds wirklich bei den Berechtigten landen und nicht in finsteren Kanälen verschwinden?

Die gleichen Fragen müssen sich auch die Rumänen stellen lassen. In ihrem Fall hatte die EU-Kommission vor einem Jahr noch 14 rote Fahnen vergeben, im Mai nur noch vier. Dabei geht es um die elektronische Datenverarbeitung in der Steuerverwaltung und die Beseitigung von Tierkadavern.

Ebenso wie der Nachbar Bulgarien aber ist Rumänien vor allem gehalten, für die Verteilung der EU-Agrarfonds an die empfangsberechtigten Landwirte und Agrarkonzerne ein System aufzubauen, das jeden Missbrauch ausschließt, wie er etwa in großem Stil in Süditalien schon vorgekommen ist. Werden die Anforderungen nicht erfüllt, so sind Sanktionen zu erwarten: Die Zahlungen bleiben aus.

Und damit die Kontrolleure alle Anträge auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen können, sind derzeit in beiden Ländern Flugzeuge unterwegs, aus denen sämtliche landwirtschaftlich genutzten Territorien gefilmt und fotografiert werden.

Es ist bei Fachleuten unbestritten, dass Rumänien und Bulgarien in diesen Monaten in jeder Hinsicht weit härter geprüft werden als jene zehn Länder Mittel-, Ost- und Südeuropas, die am 1. Mai 2004 in die EU aufgenommen wurden. Bulgarien und Rumänien hätten es "ungleich schwerer", sagte zum Beispiel bei der Berliner Diskussion ganz unverbrämt Michael Stübgen, europapolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag: Wären die zehn nach gleichen Kriterien benotet worden, "dann hätten für die Hälfte dieser Länder so genannte Sicherheitsklauseln eingeführt werden müssen".

© SZ vom 14. September 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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