Brüssel setzt auf zweite Volksabstimmung:EU hofft auf Einlenken der Iren

Lesezeit: 2 min

Nach dem Nein der Iren bei der Volksabstimmung sollen alle anderen 26 Mitgliedsstaaten den Lissabon-Vertrag ratifizieren, um den Druck auf Dublin zu erhöhen.

Martin Winter

Irland gerät wegen seines Neins zur Reform der EU unter den Druck seiner europäischen Partner. Diese beharrten am Wochenende auf dem Lissabon-Vertrag.

Sie wollen ihn auch - wo das noch nicht geschehen ist - zügig ratifizieren. Ein dadurch isoliertes Dublin wäre gezwungen, ein zweites Referendum abzuhalten, um nicht aus der Europäischen Union herauszufallen. Tschechien könnte diese Strategie der EU-Mehrheit allerdings noch vereiteln.

Die Staats- und Regierungschefs berieten am Wochenende telefonisch darüber, wie sie die Europäische Union aus ihrer nach dem Scheitern der Verfassung zweiten Reformkrise innerhalb von drei Jahren herausführen können.

Sorge um Tschechien

Vom irischen Premierminister Brian Cowen wurde dabei verlangt, dass er auf dem regulären EU-Gipfel am Donnerstag erläutert, was er nach der Niederlage bei der Volksabstimmung europapolitisch vorhat.

Die Staats- und Regierungschefs drängten ihn, sich nicht gegen eine Wiederholung des Referendums festzulegen. Cowen sagte, dass man schon früher bei ähnlichen Anlässen einen "einvernehmlichen Weg" aus der Krise gefunden habe. Damit nährte er Hoffnungen auf eine Lösung in nicht allzu ferner Zukunft.

Die Regierungen haben sich zwar damit abgefunden, dass der Reformvertrag nicht wie geplant zum 1. Januar in Kraft treten kann. Falls die Strategie aufgehen würde, Irland unter Druck zu setzen, indem alle anderen 26 Staaten bis zum Herbst ratifizieren, könnte es aber im Laufe des Jahres 2009 zu einer Lösung kommen. Allerdings gibt es in der EU eine wachsende Besorgnis wegen Tschechien.

Dessen EU-skeptischer Präsident Vaclav Klaus hat den Reformversuch für "beendet" erklärt. "Die Ratifizierung kann nicht fortgesetzt werden", sagte er. Sollte die Prager Regierung unter dem ebenfalls EU-skeptischen Ministerpräsidenten Mirek Topolanek dieser Linie folgen, befürchten hohe Diplomaten, dass sich der Druck auf Irland nicht aufbauen lässt. Der funktioniere nur, wenn dem irischen Nein im Herbst 26 Jas gegenüberstünden. Bislang haben 18 Staaten den Vertrag ratifiziert. Die Niederlande, Belgien, Spanien, Italien und Zypern wollen dies in Kürze tun.

Politiker erwägen Teilausschluss Irlands

Um den Vertrag zu retten, wird ein Teilausschluss Irlands aus der EU nicht mehr ausgeschlossen. So hält der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier einen vorübergehenden Ausstieg Dublins aus der europäischen Integration für möglich.

Am Wochenende wurde erneut über ein "Kerneuropa" oder ein "Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten" gesprochen. Allerdings warnte der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker vor einem Inkraftsetzen des Reformvertrags ohne die Iren. Das sei rechtlich ein "sehr schwieriges Unterfangen".

Hinter den Kulissen arbeiten europäische Diplomaten auch an einem möglichen Angebot an Irland. Der französische Europa-Staatssekretär Jean-Pierre Jouyet hält eine "Anpassung" des Vertragstextes nicht für ausgeschlossen, um Irland entgegenzukommen.

Paris und Berlin sind sich dem Vernehmen nach einig, dass nun "keine Pause" im Reformprozess eintreten dürfe. Auf dem EU-Gipfel wollen sie deshalb versuchen, einen "Fahrplan" zu verabschieden, wonach Irland auf dem Gipfel im Oktober definitiv sagen müsste, wie es sich seinen weiteren Verbleib in der EU vorstellt.

Nach dem Ergebnis der Wahl in Irland setzte auch eine Diskussion über die Gründe der Ablehnung ein. So meinte etwa der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy, dass man in Europa "ganz anders vorangehen" müsse, weil die Menschen "das europäische Projekt nicht verstanden haben".

Der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble nannte als einen der Gründe einen Mangel an Transparenz in Brüssel. Dieser Zustand könne zum Beispiel durch eine Direktwahl des Präsidenten des Europäischen Rates abgemildert werden.

© SZ vom 16.06.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: