Bruderkrieg in Nahost:Hamas-Kämpfer plündern Präsidentensitz in Gaza

Lesezeit: 2 min

Wenige Stunden nach der Machtübernahme im Gazastreifen haben Aktivisten der radikalislamischen Hamas den regionalen Amtssitz von Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas geplündert. Außerdem sollen ranghohe Fatah-Führer festgenommen worden sein.

Mit Warnschüssen hielten Hamas-Kämpfer am Vormittag bei ihrer Plünderung des Präsidentensitzes die Zivilbevölkerung davon ab, sich an dem Raubzug in Gaza zu beteiligen. Auf dem Gebäude wurde die grüne Fahne der Hamas gehisst. Am Donnerstagabend hatte die Organisation den Gebäudekomplex eingenommen.

Wie außerdem bekannt wurde, hat die Hamas nach eigenen Angaben führende Kommandeure der Fatah im Gazastreifen festgenommen.

Neben dem Chef der Nationalen Sicherheitsorganisation und dem Kommandeur der Präsidentengarde würden ein Fatah-Sprecher, ein Abgeordneter und sechs weitere Personen zur Befragung festgehalten, sagte Hamas-Sprecher Abu Obeida im Hamas-Fernsehen.

Hanija ignoriert Amtsenthebung

Der palästinensische Ministerpräsident Ismail Hanija will seine Entlassung durch Präsident Mahmud Abbas weiterhin nicht akzeptieren.

Nach Angaben des arabischen Nachrichtensenders al-Dschasira sagte Hanija bei einer Pressekonferenz in der Nacht, seine Regierung werde als Regierung der nationalen Einheit im Amt bleiben. Seine Amtsenthebung und die Ausrufung des Notstands durch Abbas seien "hastig" gewesen.

Abbas habe offensichtlich nicht die Konsequenzen seines Schrittes bedacht. Der Präsident habe "voreilige Entscheidungen" getroffen.

Notstandsregierung geplant

Abbas hatte angesichts der Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen die Einheitsregierung aufgelöst und den Notstand ausgerufen. Sein Sprecher Tajeb Abdel Rachim erklärte am Donnerstagabend im Hauptquartier in Ramallah, Abbas plane die Bildung einer Notstandsregierung.

Fatah und Hamas hatten die Koalition im März geschlossen, um einen monatelangen blutigen Machtkampf der beiden rivalisierenden Organisationen zu beenden. Bei den letzten Gefechten wurden binnen einer Woche mehr als 85 Menschen getötet.

"Gnade für Fatah-Anhänger"

Die Hamas wolle keinen separaten Staat im Gazastreifen ohne eine Einbeziehung des Westjordanlandes ausrufen, sagte Hanija. Die Hamas werde im Gazastreifen für Sicherheit sorgen.

Er rief die Polizei und die Sicherheitskräfte der Hamas auf, ab sofort Recht und Ordnung durchzusetzen. Sie sollten privates und öffentliches Eigentum schützen, sagte Hanija. Er appellierte an die Hamas-Mitglieder, gnädig mit gefangenen Fatah-Anhängern umzugehen, berichtete der israelische Onlinedienst Ynet von der Pressekonferenz.

Die Hamas kontrolliert nach Angaben von Augenzeugen und des Hamas-Rundfunks seit der Nacht zum Freitag den Amtssitz von Abbas in der Stadt. Fatah-Anhänger, die das Gebäude gehalten hatten, hätten sich kampflos ergeben, hieß es. Damit brachte die Hamas den gesamten Gazastreifen unter ihre Kontrolle.

"Dies ist der Beginn der islamischen Herrschaft", erklärte Hamas-Sprecher Sami Abu Suhri. Er sprach von einer "zweiten Befreiung" des Gazastreifens. Zuerst habe man die israelischen Siedler und nun die "Verräter" vertrieben.

Furcht vor Ausweitung der Kämpfe

Nach palästinensischen Angaben kam es am Donnerstag auch zu sporadischen Angriffen von Fatah-Anhängern auf Geschäfte und Büros von Hamas-Mitgliedern im Westjordanland. Politische Beobachter befürchten ein Überschwappen der Gewalt auf das Westjordanland, wo die Fatah politisch und militärisch die Oberhand hat.

Der "Bruderkrieg" der Palästinenser löste rund um den Globus Initiativen zur Krisenbewältigung aus. Die Arabische Liga berief für diesen Freitag eine Sondersitzung in Kairo ein. Liga-Generalsekretär Amre Mussa erklärte nach einem Vorbereitungstreffen, die Mitgliedstaaten hätten die Palästinenser "im Namen aller Araber" aufgefordert, das Töten einzustellen.

Die Vereinten Nationen in New York erhielten den Ruf nach einer Friedenstruppe für den Gazastreifen. Abbas und Israels Ministerpräsident Ehud Olmert hätten einen internationalen Einsatz telefonisch bei ihm angesprochen, sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in New York. Es gebe aber viele Fragen zu klären, unter anderem den Einsatzort und die Aufgabe einer möglichen Truppe.

Die Hamas lehnte Forderungen nach einer internationalen Friedenstruppe für den Gazastreifen strikt ab. "Wir werden mit einer solchen Truppe wie mit einer Besatzungstruppe umgehen", sagte Suhri. Bis auf weiteres betrachte Hamas die Stationierung einer internationalen Truppe als Versuch, in dem Machtkampf eine Seite auf Kosten der anderen Seite zu stärken.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: