Brief von Ahmadinedschad an Bush:Ende des Konfrontationskurses?

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Nach Monaten der Provokation vollzieht der iranische Präsident einen sensationellen Schwenk: Zum ersten Mal nach 27 Jahren wendet sich ein Staatsoberhaupt der islamischen Republik direkt an den US-Präsidenten.

Rudolph Chimelli

Nach Angaben Teherans enthält das Schreiben "neue Lösungsvorschläge, um aus den internationalen Problemen und der gegenwärtigen verwundbaren Situation in der Welt herauszukommen". Ob das Schreiben auch zum Atomstreit Stellung nimmt, ist nicht bekannt. Seit der islamischen Revolution vor 27 Jahren hat es keinen offiziellen Kontakt mehr zwischen den Regierungschefs beider Staaten gegeben. Washington ließ wissen, man habe noch keine Kenntnis von dem Brief.

Das Schreiben wurde der Schweizer Botschaft in Teheran übergeben, welche die Interessen der USA vertritt. Sie soll es an das Weiße Haus weiterleiten. Der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Hamid Resa Assefi, kündigte an, der Inhalt des Briefes werde veröffentlicht, sobald er in den Händen Bushs sei. Zum ersten Mal seit Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Teheran und Washington im Jahr 1979 wendet sich ein iranisches Staatsoberhaupt direkt an den Präsidenten der USA.

Keiner von Ahmadinedschads Vorgängern, weder der Reformer Mohammed Chatami noch der um Annäherung an die USA bemühte Haschemi Rafsandschani, hatte einen derartigen Schritt unternommen. Er hätte ihnen mit Sicherheit heftige Kritik von konservativen und radikalen Kreisen in Iran eingebracht. Dagegen ist auch Ahmadinedschad nicht gefeit. Umso sensationeller ist sein Schwenk, unabhängig vom Inhalt des Schreibens und der Reaktion Washingtons.

Propagandistisch geschickter Zeitpunkt

Noch am Sonntag hatte Ahmadinedschad damit gedroht, Iran werde die Kündigung des Nichtverbreitungsvertrags für Atomwaffen erwägen, falls der UN-Sicherheitsrat auf Betreiben der USA und deren Verbündeten Sanktionen verhängen sollte. Eine Mehrheit der Parlamentsabgeordneten forderte die Regierung zu einer solchen Kündigung auf, was diese allerdings nicht bindet. Der Präsident sprach vor dem Militär und trug dabei erstmals ein Palästinensertuch auf den Schulter. Schon um sieben Uhr früh, als der Staatschef eine Ausstellung besuchte, hatte er angekündigt: "Es wird heute eine gute Nachricht geben." Auf den Erdölmärkten wurden die ersten Meldungen über den Brief auch so empfunden. Der Preis für ein Fass Rohöl fiel auf unter 70 Dollar.

Zumindest propagandistisch hat Ahmadinedschad den Zeitpunkt geschickt gewählt. In der vorigen Woche hatte UN-Generalsekretär Kofi Annan die USA aufgefordert, mit Teheran direkte Verhandlungen aufzunehmen, um die sich verschärfende Krise zu entspannen. "Wenn alle wichtigen Spieler um einen Tisch versammelt sind, glaube ich, dass es möglich wäre, ein Paket auszuarbeiten, das alle zufrieden stellt", sagte Annan. Ferner deutete er an, das Fehlen der Amerikaner bei den Gesprächen der EU-Dreiergruppe, bestehend aus Frankreich, Deutschland und Großbritannien, könne die Iraner davon abgehalten haben, sich voll zu engagieren. "In dieser Stimmung und mit dem kulturellen Hintergrund (Irans) legt man nicht alle Karten auf den Tisch."

Widerstände gegen Konfrontationskurs im Iran

Auch in den USA waren Stimmen für solche Verhandlungen laut geworden. So nannte der Vorsitzende des Außenpolitischen Senatsausschusses, der Republikaner Richard Lugar, direkte Gespräche "nützlich". Vor allem solle Washington die Iraner auf ihre Rolle als wichtiger Erdöl-Exporteur festlegen. Auf diesem Gebiet könnten sich "gemeinsame Interessen" ergeben.

Zumindest dürfte Ahmadinedschads Vorstoß zur Folge haben, dass sich der Widerstand von Russen und Chinesen gegen Sanktionen verstärkt. Sollten sich amerikanische Drohungen mit Militärschlägen nicht aus der Welt schaffen lassen, sähe der harte Flügel der iranischen Führung, dem Ahmadinedschad zugerechnet wird, den Zusammenstoß lieber, solange die Ölpreise hoch sind und sich die USA im Irak festgefahren haben.

Ahmadinedschad muss auch Widerständen gegen seinen Konfrontationskurs in Iran Rechnung tragen. Chatami hat seinen Nachfolger wegen dessen Missachtung der Diplomatie öffentlich kritisiert. Vor Studenten warnte der Expräsident vor "organisiertem Radikalismus". In Moskau haben hochrangige iranische Unterhändler aus der gemäßigten Fraktion versichert, die Möglichkeiten für einen Kompromiss und ein Einlenken Teherans seien noch nicht erschöpft.

© SZ vom 9.5.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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