Bombenangriff auf Dresden:Im brüchigen Rahmen der Erinnerung

Lesezeit: 7 min

Am 13. Februar jährt sich die Zerstörung der Hauptstadt Sachsens. Es geht um Schuld, Versöhnung und die Wachsamkeit für Gefahren der Gegenwart. Die Dresdner haben es allerdings satt, dass ihr Trauma noch 60 Jahre danach als ideologische Spielwiese missbraucht wird.

Von Jens Schneider

Helga Sievers stand nahe am Haupteingang der Baustelle der Dresdner Frauenkirche. Sie verteilte Kerzen an alle, die in stillem Gedenken an den 13. Februar 1945 erinnern wollten - den Tag, an dem ihre Heimatstadt unterging.

Die Frauenkirche wurde fast komplett zerstört - nur die Statue von Martin Luther blieb heil. (Foto: Foto: AP)

"Da baut sich dieser Kerl von Anfang zwanzig auf und belehrt uns über den Krieg und die Schuld", erzählt sie. "Der wollte uns einreden, dass wir Täter waren." Die 79 Jahre alte Dresdnerin hat Jahre lang als Lehrerin unterrichtet und ihren pädagogischen Impetus auch 15 Jahre nach der Pensionierung nicht eingebüßt. Und die leichten Reden des jungen Mannes machten sie wütend.

Also erzählte sie ihm von der Nacht der Nächte, als die britischen Bomber Dresden attackierten und den Feuersturm entfachten. Von ihrer Nacht in der Schule in der Tieckstraße. Als junge Rotkreuzhelferin betreute sie 750 Flüchtlinge aus Breslau. Alte, Frauen und Kinder, die vor der Roten Armee geflohen waren. "Bin ich da Täterin gewesen?", versuchte sie in den jungen Mann einzudringen. Er nickte nur. Klar, alle Deutschen waren Täter für ihn.

"Ihr erstickt hier unten wie die Ratten!"

Und die 65 Säuglinge? Die Kinder der Flüchtlinge? Die erste der zwei britischen Luftflotten, die Dresden in dieser Nacht des 13. Februar 1945 bombardierten, hatte gerade ihre Last abgeworfen, da begannen viele der Kleinen zu schreien. Ihre Nasen bluteten. Die Mütter brachen in Panik aus, denn sie fürchteten, die Babys könnten ersticken.

Nur zufällig entdeckte Helga Sievers, warum die Luft knapp wurde. Als sie kurz ins Erdgeschoss ging, wurde sie von drei Soldaten bemerkt. "Habt ihr hier Leute drin?" riefen die drei. "Ihr müsst sofort raus! Eure dritte Etage brennt schon. Ihr erstickt hier unten wie die Ratten!" In größter Eile floh man. Und diese Säuglinge, "waren die auch Täter?" Der junge Mann vor der Frauenkirche nickte wieder.

"Er ließ das alles an sich abprallen", sagt Helga Sievers. "Der hielt mir Sachen vor, die er gar nicht erlebt hat." Schließlich haben sie einander an jenem Gedenktag vor einem Jahr einfach wortlos stehen lassen.

Aufmärsche und Kerzen

Helga Sievers ist eine vergnügliche Dame, die in ihrem mit Lammfell ausgeschlagenen Ohrensessel viele Geschichten erzählen könnte. Aber sie lehnt sich in ihrer Wohnung am Elbhang im Sessel zurück und lächelt herausfordernd: Eigentlich, sagt sie hat sie keine Lust, zum 150. Mal von jener Bombennacht zu berichten.

Zu oft hat sie erlebt, wie Rechte oder Linke ihre Erinnerungen als Vehikel für ihre Ideologien missbrauchten. Einmal wurde sie im Fernsehen gezeigt. Wenig später rief ein Mann aus Schweden an. "Das war wohl ein Nazi", vermutet sie. Er wollte sie belehren, dass der Angriff der Alliierten ein Kriegsverbrechen gewesen sei. Eine Stunde redete er auf die alte Dame ein, bis sie auflegte.

"Die Rechten im Landtag sind die Gefährlichsten"

Deshalb will sie nun gefragt werden, "was ich heute über den Krieg denke. Oder was ich zu den Rechten meine, die jetzt im Landtag sind. Die sind nämlich die Gefährlichsten. Darüber können wir reden."

Dresden erinnert sich, und mit bangen Vorahnungen erwarten viele Dresdner die Aufmärsche, die zum 60. Jahrestag der Zerstörung am kommenden Sonntag angekündigt sind. Mit rund 3000 Neonazis rechnet der Verfassungsschutz bei einer von der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag unterstützten Kundgebung.

Eine Frau gedenkt betend den Opfern des Angriffs auf Dresden. Zehntausende Menschen kamen ums Leben. (Foto: Foto: ddp)

Linke in ganz Deutschland haben zu einer Gegendemonstration mobilisiert. Doch im Unterschied zu früheren Jahren trifft diese Konfrontation die Stadt nicht unvorbereitet.

10.000 Kerzen vor der Semperoper

Nachdem vor einem Jahr mehrere Hundert Neonazis durch die Stadt marschiert waren, haben sich Überlebende des Angriffs wie Helga Sievers, Vertreter der Kirchen und engagierte Bürger früh zusammengesetzt. Zum 60. Jahrestag verfassten sie einen "Rahmen für das Erinnern", in dem sie sich den politischen Missbrauch des Ereignisses ebenso verbitten wie die Verhöhnung der Opfer.

Gemeinsam mit Oberbürgermeister Ingolf Roßberg, Ministerpräsident Georg Milbradt und Künstlern ruft die Interessengemeinschaft 13. Februar dazu auf, am Sonntag als stilles Zeichen des Friedens und der Versöhnung 10 000 Kerzen auf dem Theaterplatz vor der Semperoper zu entzünden.

Man will auch "den geistigen Brandstiftern" von heute entgegentreten, wie Landesbischof Jochen Bohl sagt. Nicht der Aufmarsch der Rechtsextremen soll die Bilder der Tagesschau bestimmen. Die wiederaufgebaute Frauenkirche wird erstmals die Türen zum Hauptraum öffnen, der noch immer eine Baustelle ist.

Das Trauma als ideologische Spielwiese missbraucht

Seit Monaten schon wird in Dresden auch heftig und kontrovers über Mythen und Legenden debattiert, die sich um den 13. Februar 1945 ranken. Oft hält die Polizei sich im Hintergrund bei solchen Diskussionsforen, immer häufiger aber werden junge Extremisten auch durch engagierte, ältere Überlebende ausgebremst, die ihnen wie Helga Sievers einfach ihre Lebenserfahrung und ihren Willen zur Versöhnung entgegenhalten.

Als der britische Historiker Frederick Taylor bei einem Vortrag im Rathaus von jungen Linken und Rechten mit demagogischen Fragen bedrängt wurde, meldeten sich Zeitzeugen zu Wort, um ihm für sein Werk zu danken, "das auch die Menschen hinter dem Leid sieht", wie eine Freundin von Helga Sievers vor den 300 Zuschauern unter Beifall ausrief.

Es ist, als hätten die Dresdner es satt, dass ihr Trauma noch 60 Jahre danach als ideologische Spielwiese missbraucht wird.

Seriöse Historiker gehen von 35.000 Opfern aus

Gezielt wird auch aus dem Rathaus versucht, düsteren Legenden den Boden zu entziehen. So hat der Oberbürgermeister eine Historikerkommission berufen, die einen Schlussstrich unter den gespenstischen Streit über die Zahl der Opfer des Angriffs ziehen soll.

Schon 1945 kursierten horrende Zahlen, die sich im Gedächtnis mancher Dresdner festsetzten. Von bis zu 200 000 Toten sprechen Rechtsextremisten, um das Grauen der Bombardierung als besonders monströse Tat der Alliierten darzustellen - auch um deutsche Schuld zu relativieren. Seriöse Historiker gehen von maximal 35 000 Opfern aus. Genaue Angaben wird es nie geben, denn niemand weiß, wie viele Flüchtlinge damals in Dresden waren.

Kohlenschwarze Rümpfe

Viele Menschen verbrannten im Feuersturm bis zur Unkenntlichkeit. Helga Sievers beobachtete, wie Männer beim Rathaus aus einem Luftschutzkeller kohlenschwarze Rümpfe holten und sie "wie geschlagenes Holz am Waldrand" stapelten.

"Es waren keine Scheite, es waren Menschen." Im Zentrum hatte eine alles vernichtende Hitze das Wasser zum Sieden gebracht und auch die verbrannt, die sich in einen Brunnen geflüchtet hatten. Wegen der Seuchengefahr ließ die Stadtverwaltung auf dem Altmarkt Roste aus Straßenbahnschienen bauen und Berge von Leichen verbrennen.

Der Tod hatte die Stadt eingenommen - was braucht es da eine Zahl? "Es hat nie eine amtliche Bekanntmachung mit dem Stadtsiegel darauf gegeben", sagt der Oberbürgermeister. Das Trauma war jenseits aller Dimensionen. In den ersten Jahren danach wollten viele Überlebende gar nicht zurückblicken.

"Überalll waren nur Trümmer, Trümmer, Trümmer"

"Wir mussten verdrängen, damit das Leben weiter gehen konnte", sagt Margit Fischer, die den Feuersturm als junge Frau im Keller unter der Wohnung der Eltern im Zentrum erlebte. "Man stand neben sich wie in einem Film." Ein Film, dessen Drehbuch kein Innehalten zuließ, sondern nur Plackerei.

"Überall waren nur Trümmer, Trümmer, Trümmer." Erst als die Pensionierung freie Zeit brachte, kam plötzlich "die Erinnerung tüchtig hoch", und Margit Fischer wollte nun auch über die Bilder sprechen, die mit ihr umgingen.

Vor ihr liegen sieben Seiten Papier. In geradliniger Handschrift hat sie festgehalten, wie der Feuersturm im Stadtzentrum wütete, wo nur eine Steinwüste zurückblieb. Man empfindet die beklemmende Anspannung nach, wenn die damals 19-jährige Zahnarzthelferin sich heute, 60 Jahre danach, erinnert, wie eine Detonation nach der anderen auf das Haus niederging.

Das Gedenken besorgten die Machthaber

"Der Keller vibrierte. Dann ein kurzes Aufatmen - wieder davongekommen. Aber schon donnerte die nächste Welle und noch eine über uns hinweg." Als sie endlich aus dem Keller kamen, brannte alles ringsum. Unauslöschbar bleibt ihr der Anblick eines Kühlhauses: An der Wand lief loderndes Feuer wie ein Lavastrom hinab. Es sollte Tage dauern, bis alle Brände erloschen.

Es ist Margit Fischer heute gewissermaßen unvorstellbar, wie ihre Familie "in dieser Totenstadt" weiterleben konnte. "Wir waren abgestumpft", notierte sie, "und zum Teil gefühllos geworden."

Das Gedenken besorgten die zuständigen offiziellen Stellen. Jahrelang ordneten die Machthaber der DDR die Erinnerung an die Vernichtung Dresdens ihrer Ideologie unter, und sie geißelten zeitweise das Grauen als Beleg für den "Imperialismus" der Amerikaner und der Briten.

Dammbruch im Schutz der Kirche

Erst zu Beginn der achtziger Jahre wandten sich auch immer mehr Dresdner Überlebende der eigenen Geschichte zu. Sie begannen, den Umgang mit der Vergangenheit der offiziellen Politik zu entziehen. "Es war wie ein Dammbruch", sagt Matthias Neutzner, der Vorsitzende der 1990 gegründeten Interessengemeinschaft 13. Februar. "Die Leute wollten gehört werden."

In dieser Zeit entstand unter dem Schutz der Evangelischen Kirche auch jene Initiative, die den 13. Februar zu einem Tag der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR machte. Von 1982 an kamen jedes Jahr mehr Menschen, auch viele junge Dresdner, zur Ruine der Frauenkirche, um dort in aller Stille zu gedenken. Bald schon waren es mehrere Tausend.

"Der Staatsmacht war schon bewusst, wie gefährlich ihr diese Initiative werden konnte", erinnert sich Christof Ziemer. Der damals an der Kreuzkirche wirkende Pfarrer förderte die Initiative engagiert. Vergeblich versuchten Partei und Stasi, die Bewegung in den Griff zu bekommen. Wo es zunächst nur um eigene Wege des Gedenkens ging, entstand nun über Gesprächszirkel in der Kirche ein Nährboden für Opposition in der DDR.

Keine unschuldige Kunstmetropole

Ausgehend von Dresden beteiligten sich bald die Kirchen des ganzen Landes. Es wurde, so Ziemer, "so etwas wie die geistige Vorbereitung der Wende". Nach der Wende von 1989 führte die lokale Geschichtsforschung dazu, dass man seit Mitte der neunziger Jahre auch das oft allzu idyllische Dresdner Selbstbild hinterfragte.

Mit einem Mal wurde darüber gesprochen, dass die Stadt 1945 eben nicht eine unschuldige Kunstmetropole war, sondern eine nationalsozialistisch geprägte Stadt. Eine Stadt, deren letzte noch nicht deportierte Juden sich - wie der Literaturprofessor Victor Klemperer - nach den Plänen der nationalsozialistischen Machthaber kurz nach dem 13. Februar zum Abtransport einfinden sollten. Ihnen rettete die Zerstörung Dresdens das Leben.

Eine Stadt der Rüstungsproduktion

Dresden war auch bedeutend für den Nachschub der Wehrmacht, und es war eine Stadt der Rüstungsproduktion. Es sei an der Zeit, dass die Dresdner das zur Kenntnis nehmen, glaubt Oberbürgermeister Roßberg.

Zu diesem Jahrestag soll die Stadt nicht allein ihr eigenes Leid bespiegeln. Im Stadtbild dominiert ein Plakat der Stadtverwaltung, auf dem Dresden in einer Reihe steht mit Bagdad, New York oder Grosny. Viele der engagierten Überlebenden und auch Schüler und Studenten in der Interessengemeinschaft 13. Februar pflegen Kontakte in diese Städte wie zu Angehörigen der Opfer des Attentats am 11. September in New York.

Begleitung von einem britischen Schützen

Bei den Gedenkfeiern am Sonntag wird Helga Sievers, die frühere Lehrerin, ein Gast aus Manchester begleiten. Es ist der ihr fast gleichaltrige Derek Jackson. Als das britische Bomberkommando 1945 Dresden angriff, zählte er zu den Schützen an Bord der Lancaster-Bomber.

Nein, sie kennt ihn noch nicht, sagt Helga Sievers. "Aber im Grunde sind wir uns ja schon einmal begegnet: Er war da oben über der Stadt, und ich habe auf dem Dachboden der Schule gegen das Feuer angekämpft, das von dort kam."

Dann fügt sie lächelnd, ohne lange nachzudenken, an: "Und wir werden uns beide nichts vorwerfen. Er hat gemacht, was für ihn richtig war. Ich habe getan, was meine Aufgabe war."

© SZ vom 10.2.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: