Böhmer über die Linkspartei:"Dämonisierung ist der falsche Weg"

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Wolfgang Böhmer, CDU-Politiker und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident, über den richtigen Umgang mit der DDR-Vergangenheit und die Gefahr von rechts.

Interview: Christiane Kohl

Wolfgang Böhmer, 72, ist Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Der CDU-Politiker hält rot-rote Koalitionen auf Landesebene für eine große Gefahr, weil seine Partei dadurch von einem stärker werdenden linken Block an den Rand gedrängt wird.

Hat "Schwierigkeiten, die Linkspartei als demokratisch zu akzeptieren": Wolfgang Böhmer. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Nach dem Ende der DDR glaubte man, dass sich auch die Nachfolgeorganisationen der damaligen Staatspartei SED bald erledigen würden. Nun ist die Linkspartei stärker denn je. Haben die anderen Parteien etwas falsch gemacht?

Wolfgang Böhmer: Es war wohl eine Illusion zu glauben, dass sich dieses Problem mit dem Ableben der DDR-Aufbaugeneration gleichsam biologisch lösen würde. Wir haben gedacht, dass eine Nachfolgepartei der SED, die ja verantwortlich war für die DDR, sich so unbeliebt bei den Menschen gemacht hätte, dass sie keiner mehr wählen würde. Das war eine Fehleinschätzung. Denn stattdessen nimmt die Linkspartei heute relativ, das heißt in Prozenten, und auch in absoluten Stimmen, von Wahl zu Wahl nur noch zu. Das zeigt, dass es offenbar keinen Zweck hat, dieser Partei ständig die alten DDR-Probleme vorzuhalten. Da applaudieren nur jene, die sowieso nicht vorhatten, die Linkspartei zu wählen.

SZ: Woher kommt der wachsende Zuspruch für die Linkspartei?

Böhmer: Fest steht, dass sich in einer Leistungsgesellschaft die Ungleichheit nicht automatisch verringert, sondern im Gegenteil, sich in einem gewissen Maße sogar vergrößert. Wir haben eine zunehmende Asymmetrie in der Vermögensverteilung, darüber darf man sich nicht hinwegtäuschen. Die Linkspartei versucht daraus Kapital zu schlagen, indem sie mit ihren Verheißungen auf eine Verbesserung der Lebensverhältnisse alle diejenigen einsammelt, die sich heute benachteiligt fühlen.

SZ: Wie erreicht man diese Menschen? Böhmer: Jedenfalls nicht durch Rote-Socken-Kampagnen oder eine Dämonisierung der Linkspartei. Dass man potentielle Sympathisanten der Linken davon abhält, diese zu wählen, indem man sie beschimpft - das ist nicht aufgegangen. Stattdessen müssen wir einen Duktus finden, um diejenigen anzusprechen, die vielleicht erwägen die Linkspartei zu wählen. Wir müssen diesen Menschen klar machen, das die Versprechungen der Linken in Wahrheit unerfüllbar sind. Das heißt, wir müssen ihre Argumentation ernst nehmen, zu Ende denken und erläutern, was es heißt, wenn man die Forderungen der Linkspartei umsetzt: Eine solch starke Umverteilung, wie die Partei sie verlangt, ist doch nur durch immense Besteuerungen der privaten Einkommen erreichbar. Das hieße, aus der Einkommensteuer eine Enteignungssteuer zu machen, und das hatten wir schon einmal in der DDR: Damals betrug der Höchstsatz der Einkommensteuer 96,75 Prozent.

SZ: Also wollen Sie doch wieder mit alten Argumenten kommen?

Böhmer: Das sind keine alten Argumente, das war Realität. Das Gesetz gab es seit den fünfziger Jahren, viele Handwerker sind deshalb geflüchtet, 360000 Unternehmer verließen die DDR. Für uns heute bedeutet das: Solche Umverteilungsstrategien setzen voraus, dass man die Menschen einmauert. Aber das will ja wohl niemand mehr, ein geschlossener Wirtschaftsraum wäre auch nicht machbar in einer globalisierten Welt. Deshalb sind die Verheißungen der Linkspartei illusorisch und untauglich. Aber ich gebe zu: Es ist nicht einfach, soziale Gerechtigkeit unter den Bedingungen einer offenen Weltwirtschaft zu organisieren.

SZ: Neiddebatten gegen Höherverdienende sind in Mode, alle Parteien profitieren gern davon - treibt das der Linkspartei nicht auch Wähler zu?

Böhmer: Jede Partei muss sich auf öffentliche Meinungsschwerpunkte einlassen, auch die FDP redet neuerdings von Sozialpolitik. Eine Wettbewerbsgesellschaft führt zu Verlierern, deren Probleme wir abfedern müssen. Aber Gerechtigkeit darf keine Gleichmacherei bedeuten. Die CDU ist bemüht, die Leistungsgerechtigkeit zu fördern, nicht die Verteilungsgerechtigkeit. Das heißt, wir sollten die Chancen der Menschen verbessern, statt sie durch Geldzahlungen ruhig zu stellen. Wir dürfen niemanden im Stich lassen, aber man kann die Bürger mit nichts mehr verwöhnen, als wenn sie Leistung ohne Gegenleistung bekommen.

SZ: Die Linkspartei ist in einigen Ostregionen bereits die stärkste Kraft, auch im Westen spielt sie eine immer stärkere Rolle, wenn es zu rot-roten Koalitionen kommen sollte - wächst da nicht eine Gefahr für die Regierungsmöglichkeiten der CDU heran?

Böhmer: Eine große Gefahr. Wenn die Linkspartei stärker wird, bedeutet das, dass der Block links von der CDU sich verbreitert. Ich beobachte mit Interesse die Diskussion in Thüringen, wo die SPD ja bereit ist, eine Koalition mit der Linkspartei zu bilden, wenn sie den Ministerpräsidenten stellen kann. Das heißt, die CDU hat letztlich nur noch eine Chance, wenn die Linkspartei stärker als die SPD bleibt - das ist schon etwas absurd.

SZ: Aber die SPD in Thüringen will sogar den Ministerpräsidenten stellen, wenn sie schwächer als die Linken ist.

Böhmer: Ministerpräsident von Gnaden einer anderen Partei zu sein, stelle ich mir nicht als erstrebenswert vor. Aber was sich da anbahnt, ist eine ernstzunehmende Entwicklung für die CDU.

SZ: Es gibt auf lokaler Ebene schon allerlei kleine Koalitionen zwischen CDU und Linkspartei - können Sie sich dergleichen auf Landesebene vorstellen?

Böhmer: In der von mir überschaubaren Zeit nicht. Und es gibt ja auch keine "kleinen Koalitionen", sondern allenfalls ein gelegentlich gleiches Stimmverhalten. Auf kommunaler Ebene geht es häufig um Sachfragen, die keine parteipolitischen Grundsätze berühren. Da ist es kein Sündenfall, wenn CDU-Politiker und Linke hier und da in gleicher Weise abstimmen.

SZ: Halten sie die Linken für eine demokratische Partei?

Böhmer: Ich habe Schwierigkeiten, die Linkspartei als demokratisch zu akzeptieren, weil aus ihren Äußerungen immer wieder klar wird, dass sie eine Systemänderung anstrebt. Die Linken wollen einen anderen Staat, doch sie sagen nicht, wie der aussehen könnte.

SZ: Könnte der rot-rote Flirt der SPD den Staat in Gefahr bringen?

Böhmer: Wir haben in Sachsen-Anhalt acht Jahre rot-rote Tolerierungskoalition erlebt. Das hat dem Land nicht genutzt.

SZ: Ihnen wird zugleich vorgeworfen, das Problem des Rechtsradikalismus zu verharmlosen.

Böhmer: Bei der öffentlichen Diskussion über die Statistiken zu rechtsradikalen Delikten wurde verschwiegen, dass die Erfassung dieser Taten lange Zeit in den Ländern nach höchst unterschiedlichen Kriterien erfolgte. Erst jetzt sind die Zahlen vergleichbar, und da sieht es schon anders aus: Sachsen-Anhalt liegt im Mittelfeld der neuen Länder, was rechte Gewalt betrifft. Natürlich gibt es unschöne Einzelereignisse, aber wir tun auch was dagegen.

SZ: Stört das Rechts-Image die wirtschaftliche Entwicklung?

Böhmer: Das wird gelegentlich behauptetet. Doch ich habe noch von keinem Investor gehört, der wegen solcher Vorfälle nicht nach Sachsen-Anhalt kam.

SZ: Kann das Land wirtschaftlich auf eigenen Füßen stehen, wenn bis 2020 die Fördermittel wegfallen?

Böhmer: Das müssen wir schaffen. Wir brauchen Marktzugänge, insbesondere im Exportgeschäft. Unsere Betriebe sind zu klein, die Umsätze müssen wachsen. Aber ein dritter Solidarpakt ist nicht denkbar. Bis 2020 werden wir 30 Jahre lang überproportional viel Hilfe bekommen haben, um 40 Jahre Teilung zu überwinden. Das muss genug sein

© SZ vom 23.09.2008/liv - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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