Blair und der Irak-Rückzug:Kampf ums Vermächtnis

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Bushs engster Verbündeter im Irak-Krieg will seine Soldaten zurückholen. Mit der chaotischen Lage im Land hat die Entscheidung des britischen Premiers wenig zu tun. Blair will seinen Ruf retten.

Wolfgang Koydl, London

Die Fähigkeit zu überraschen ist Tony Blair längst abhanden bekommen. So gut wie alles, was der britische Premierminister zuletzt bekanntzugeben hatte, ist meist schon vorher angekündigt worden.

Das galt für seine zunehmend hektischen politischen Initiativen ebenso wie für seinen immer wieder hinausgezögerten und mittlerweile nicht nur von Gegnern sehnlichst erwarteten Rücktritt. Und dies gilt nun auch für die Ankündigung des Truppenrückzuges aus dem Süden des Irak.

Genaues Timing

Seit Monaten hatte das Verteidigungsministerium in London angedeutet, dass es zum Jahresbeginn so weit sein würde. Auch die Zahlen waren im Großen und Ganzen schon bekannt: 1500 Mann sofort, weitere 3000 dann bis Weihnachen, wenn demnach nur noch knapp 2500 Briten im Süden des vom Krieg zerrütteten Landes verbleiben sollen.

Das Datum für die Ankündigung des Rückzuges war mit Bedacht gewählt geworden, wenn auch nicht unter militärischen, sondern unter politischen Gesichtspunkten. Denn es ist weder die Sicherheitslage noch die Fähigkeit irakischer Truppen, in Basra für Ordnung zu sorgen, welche den Zeitplan bestimmten.

Sondern es geht allein um den Termin, an dem Blair die Amtsgeschäfte niederlegen will. Wenn er schon keinen demokratischen, stabilen Irak hinterlassen kann, wie er sich das vorgestellt hatte, so will er zumindest mit dem teilweise eingelösten Versprechen aus dem Amt scheiden, dass britische Truppen nicht auf Dauer in diesem Land in einen Bürgerkrieg verstrickt sein werden.

Sein politisches Vermächtnis ist Blair wichtig, wenn er voraussichtlich im Mai oder Juni nach zehn Amtsjahren in den Ruhestand geht. Nicht anders als die konservative Premierministerin Margaret Thatcher vor ihm wollte auch er das Land umkrempeln, der britischen Gesellschaft seinen Stempel und den von New Labour aufdrücken: Bildung, Gesundheitsreform, Strafvollzug - dies waren die ursprünglichen Schwerpunkte.

Eine neue Ära wollte Blair einleiten, er wollte es sein, der als Milleniums-Premier Cool Britannia einen prominenten Platz im 21. Jahrhundert garantieren wollte. Doch nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge wird man in Zukunft nur an eines denken, wenn von Tony Blair die Rede ist: Die Verstrickung des Landes in den Irakkrieg.

Zunehmender Anti-Amerikanismus

Mehr als 130 britische Soldaten sind in diesem Konflikt gefallen, und anders als in den Vereinigten Staaten, wo eine Mehrheit der Wähler die Intervention zumindest am Anfang begrüßte, war der Krieg im Vereinigten Königreich vom ersten Tag an entschieden abgelehnt worden.

Das Irak-Abenteuer hat nicht nur Blairs innenpolitische Initiativen und Pläne überschattet, es hat darüber hinaus die Beziehungen Londons zu seinen europäischen Partnern belastet, Muslime im eigenen Land zu terroristischen Gewaltakten angestiftet, einem Anti-Amerikanismus in der britischen Öffentlichkeit Vorschub geleistet und Großbritanniens Ruf in der arabisch-islamischen Welt vergiftet.

"Ich sage nicht, dass die Schwierigkeiten, denen wir überall in der Welt ausgesetzt sind, durch unsere Anwesenheit im Irak ausgelöst worden sind", umschrieb unlängst der britische Generalstabschef Sir Richard Dannatt die Lage. "Aber es besteht kein Zweifel, dass unsere Irak-Präsenz sie verschlimmert."

Blair hatte diese Einschätzung seines obersten Militärs seinerzeit entrüstet verworfen. Und noch auf dem Labour-Parteitag im vergangenen Oktober hatte er den ungläubig lauschenden Delegierten vermittelt, dass ein Abzug ein "feiger Akt der Kapitulation" sei, der "unsere künftige Sicherheit in höchste Gefahr bringen würde".

Seine Meinung änderte der Premierminister erst, als ihm klar wurde, dass er seinen Rücktritt nicht immer weiter hinauszögern würde können und dass ihm die Stunde der Wahrheit spätestens im Frühsommer dieses Jahres schlagen würde.

Mit der militärischen Lage vor Ort hat die Rückzugsentscheidung deshalb wenig zu tun. Es sei denn, man wäre in Downing Street inzwischen doch zu der Erkenntnis gelangt: Nicht die Präsenz der britischen Truppen sorgt für Ordnung, sondern erst ihr Abzug.

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