Biden-Porträt:Routinier mit Kanten

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Das US-Politurgestein Joseph Biden gilt als brillanter und humorvoller Redner. Manchmal treibt er es aber mit seinem lockeren Mundwerk zu weit - wie auch Obama selbst schon erfahren musste.

"Das würde der unterhaltsamste Vizepräsident der Geschichte werden!" Dieser ersten Reaktion eines Moderators des konservativen US-Senders Fox News werden auch US-Demokraten kaum widersprechen. Denn mit Joe Biden hat der designierte demokratische Präsidentschaftskandidat Barack Obama einen brillanten, humorvollen Redner als running mate gewählt.

Der demokratische Senator Joe Biden kann sich freuen: Er wird Obamas Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten. (Foto: Foto: AFP)

Er ist allerdings auch ein Mann, dem seine Worte nur so aus dem Munde strömen und ihn immer wieder in größte Verlegenheit bringen. Legende sind die Geschichten über Bidens zuweilen aufflammenden Jähzorn. Auch bei Obama musste sich Biden im Frühjahr entschuldigen: Obama sei der "erste Mainstream-Afroamerikaner, der sich gut ausdrückt, intelligent und sauber ist und gut aussieht", hatte Biden locker formuliert - und viele Schwarze in den USA damit empört.

Als Biden im Frühjahr selbst noch Präsidentschaftsbewerber war, fragte ihn ein TV-Moderator bei einer Debatte, ob er denn die Disziplin aufbringen könne, um nicht ein Präsident der "peinlichen Ausrutscher" zu werden. Der weißhaarige, distinguierte Senator antworte lächelnd: "Ja!" - und sagte kein weiteres Wort dazu. Selbst damit brachte Biden das politische Amerika zum Lachen.

Überzeugter Katholik und scharfer Bush-Kritiker

Der 65-jährige Biden, der schon mehr als die Hälfte seines Lebens Senator in Washington ist, ist wie Obama ein Gegner des Irakkriegs - allerdings stimmte er 2002 für die Genehmigung des Waffengangs gegen Saddam Hussein. Später wurde der überzeugte Katholik ein scharfer Kritiker der Politik von US-Präsident George W. Bush; zeitweise plädierte er für die Teilung des Iraks zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden.

Biden sitzt seit 1973 für den kleinen Ostküstenstaat Delaware im US-Senat und ist damit einer der Dienstältesten in dieser Kongresskammer. Damals wurde er mit 30 Jahren jüngstes Mitglied in dem neugewählten Gremium. Hier leitet er auch den Auswärtigen Ausschuss. Unzählige Auslandsreisen machten ihn mit den Spitzenpolitikern in aller Welt bekannt. Erst am Montag kam er aus Georgien zurück, wohin ihn Präsident Michail Saakaschwili eingeladen hatte.

Nicht immer hat sich Biden in seiner Karriere rühmlich hervorgetan. Seine Bewerbung um die Präsidentschaft 1988 zog er vorzeitig zurück, nachdem er dabei ertappt worden war, Passagen aus einer Rede des damaligen britischen Labour-Party-Vorsitzenden Neil Kinnock gestohlen zu haben. Er räumte damals ein, übers Ziel hinausgeschossen zu sein und erklärte: "In meinem Eifer, unsere Ideale neu zu entfachen, habe ich einige Fehler gemacht." Biden hatte seine Bewerbung unter das Motto gestellt, "das Feuer des Idealismus in unserer Gesellschaft wieder zu entzünden".

Auch diesmal hatte er eine eigene Bewerbung eingereicht, gab jedoch schon nach der ersten Vorwahl in Iowa wegen Erfolglosigkeit auf.

Der studierte Jurist Biden kommt aus einfachen Verhältnissen einer katholischen Arbeiterfamilie in Pennsylvania. Als Sohn eines Autoverkäufers ist Biden weniger wohlhabend als viele seiner Senatskollegen und ist anders als Obama ein Mann des Volkes. Aus einfachen Verhältnissen und ohne Starallüren. Die Strecke zwischen seiner Heimatstadt Delaware und der Hauptstadt legt der US-Senator seit fast 40 Jahren täglich mit der Bahn zurück.

Privat erlitt Biden früh eine schweren Schlag: Seine erste Frau und seine einjährige Tochter kamen 1972 bei einem Autounfall ums Leben, zwei Söhne wurden verletzt. Seinen Amtseid legte er an ihren Krankenbetten ab. Den Kindern zuliebe blieb er in Wilmington wohnen und pendelte jeden Morgen zwei Stunden mit dem Zug in die Hauptstadt. Noch heute lässt er am Tag des Unfalls, dem 18. Dezember, seine Amtsgeschäfte ruhen. Biden heiratete 1977 wieder. Mit seiner zweiten Frau Tracey hat er eine gemeinsame Tochter, Ashley. Im Februar 1988 wurde dem Senator erfolgreich ein lebensgefährlicher Gehirntumor entfernt. Erst nach sieben Monaten konnte er in den Senat zurückkehren.

Im Vorwahlkampf präsentierte sich Biden als fröhlicher und volksnaher Wahlkämpfer. Er kam gut mit seinen Rivalen aus und würzte seine Reden und Diskussionsbeiträge mit einer guten Portion Selbstironie und Humor. Als er während einer Debatte einmal gefragt wurde, ob er manchmal zuviel rede, antwortete er kurz und knapp: "Nein" - und hatte wieder einmal die Lacher auf seiner Seite.

Nach Bidens Nominierung schien man sich im Wahlkampflager des Republikaners John McCain die Hände zu reiben: Eine Stunde nach den "breaking news" kamen in den USA Fernsehbilder, in denen Biden sagt: "John McCain ist ein persönlicher Freund,... und es wäre mir eine Ehre, mit ihm oder gegen ihn anzutreten". Biden nämlich schloss noch vor sechs Monaten nicht aus, "running mate" des Republikaners zu werden.

Nun wird er bei den Demokraten die Unerfahrenheit des 47-jährigen Obamas insbesondere auf sicherheits- und außenpolitischem Feld ausgleichen können. Allerdings steht er kaum für die Kernbotschaft Obamas: "Wandel für Amerika" und einen neuen Politikstil in Washington. Biden ist ein wirklich alter Hase im politischen Raumschiff Washington. Den sanften Redner Obama Rhetoriker Obama dürfte er im Wahlkampf mit verbaler Schärfe ergänzen - eine Eigenschaft, die traditionell dem Vizepräsidenten zufällt.

Allerdings ist die Entscheidung für Biden nicht ohne Tücken: Als wirtschaftspolitisches Schwergewicht ist Biden nie aufgetreten, die Wirtschaftskrise könnte bei dieser Wahl das zentrale Thema werden. Von einem überstürzten Abzug aus dem Irak hat Biden immer energisch gewarnt.

Der alte politische Fahrensmann steht aber vor allem kaum für Obamas Botschaft des "Wandels in Amerika" und den versprochenen neuen Politikstil. Und schließlich könnte der rhetorisch brillante und sachlich sehr beschlagene Biden Obama zuweilen in den Schatten stellen - dessen Stärken liegen im großen Auftritt, nicht in den harten Diskussionen auf überschaubaren Podien und in Bürgerhallen.

Zu Beginn des Wahlkampfs hatte Biden über Obama gesagt, der Senator aus Illinois sei wegen seiner Jugend und Unerfahrenheit noch nicht bereit dazu, Präsident zu werden - nun will er selbst seinen Beitrag dazu leisten, Obamas Schwäche auszugleichen.

© dpa/AP/AFP/ssc/bosw/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Barack Obama braucht er einen Vizepräsidenten-Bewerber, der die Schwächen seiner Kampagne kompensiert. Drei Kandidaten sind in der engeren Wahl.

Bernd Oswald
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