Beziehung zur Türkei:Merkel verschärft Ton gegenüber Erdoğan

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Die Kanzlerin bezeichnet die Verhaftungen von Journalisten als "in höchstem Maße alarmierend" - aber erst mit Verzögerung.

Von Nico Fried, Berlin

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nach anfänglicher Zurückhaltung die Kritik an der türkischen Regierung wegen der jüngsten Repressionen gegen Journalisten deutlich verschärft. Es sei "für mich und die ganze Bundesregierung in höchstem Maße alarmierend, dass das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit immer wieder aufs Neue eingeschränkt wird", sagte Merkel in Berlin. Ähnlich wie im Fall des ZDF-Moderators Jan Böhmermann hat Merkel damit ein weiteres Mal ihre Tonlage gegenüber der türkischen Regierung erst im zweiten Anlauf verändert - jeweils, nachdem sie selbst wegen ihrer Zurückhaltung in die Kritik geraten war.

Am Montag waren der Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet, Murat Sabuncu, und weitere 12 Mitarbeiter verhaftet worden. Ihnen wird vorgeworfen, die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen unterstützt zu haben, die Präsident Recep Tayyip Erdoğan als Drahtzieher des versuchten Putschs im Juli bezichtigt. Regierungssprecher Steffen Seibert hatte daraufhin zunächst nur die "Sorge" der Bundesregierung über das Vorgehen der türkischen Behörden zum Ausdruck gebracht.

Diese Reaktion war unter anderem vom früheren Chefredakteur der Cumhuriyet kritisiert worden. "Berlin hat die Verhaftungen nicht einmal verurteilt. Besorgt sein hilft uns türkischen Journalisten nicht", schrieb Can Dündar in der Zeitung Die Welt. Ähnliche Kritik kam von den Grünen. Der 55-jährige Dündar war nach Berichten über den türkischen Geheimdienst wegen Spionage angeklagt worden und lebt mittlerweile in Deutschland.

Im Fall Böhmermann hatte Merkel im April dessen Schmähgedicht über Präsident Erdoğan zunächst als "bewusst verletzend" bezeichnen lassen. Anschließend war sie kritisiert worden, die Meinungsfreiheit in Deutschland gegenüber der türkischen Regierung nicht ausreichend zu verteidigen. Die Kanzlerin selbst räumte einige Tage später ein, mit ihrer ersten Bewertung einen Fehler begangen zu haben.

Mit Blick auf die neuen Verhaftungen in der Türkei sagte Merkel nun: "Wir haben hier sehr große Zweifel, dass das den rechtsstaatlichen Prinzipien entspricht." Man werde die Ermittlungen und Verfahren genau verfolgen. Die Journalisten könnten sich "unserer Solidarität gewiss sein, genau wie all diejenigen, die in der Türkei unter erschwerten Bedingungen für Presse- und Meinungsfreiheit eintreten." Der deutsche Botschafter in der Türkei, Martin Erdmann, habe am Dienstag die Cumhuriyet besucht, um zu unterstreichen, "wie wichtig uns das Thema Presse- und Meinungsfreiheit ist". Es spiele auch in den Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union eine "zentrale Rolle", so Merkel.

Die Journalisten-Organisation Reporter ohne Grenzen listet den türkischen Präsidenten Erdoğan inzwischen erstmals als einen "Feind der Pressefreiheit". Er zähle zu 35 Staats- und Regierungschefs, Organisationen und Geheimdiensten, die die "Pressefreiheit durch Zensur, willkürliche Verhaftungen, Folter und Mord" unterdrückten, teilte die Organisation am Mittwoch mit.

© SZ vom 03.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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