Beschluss des Europäischen Gerichtshofs:Arbeit ohne Ende

Lesezeit: 2 min

In knapp zwei Monaten müssen die deutschen Krankenhäuser die Bereitschaftsdienste ihrer Ärzte voll auf die Arbeitszeit anrechnen - für die meisten ein riesiges Problem. Schlimmstenfalls müssen ganze Kliniken den Betrieb einstellen.

Arbeit rund um die Uhr, Tagesschichten und Bereitschaftsdienst in der Nacht ohne Pause - das ist für viele Ärzte in deutschen Krankenhäusern Alltag. In knapp zwei Monaten soll das ein Ende haben. Am 31. Dezember läuft die zweijährige Frist aus, die der deutsche Gesetzgeber Klinikbetreibern einräumte, um ein Urteil des höchsten europäischen Gerichts umzusetzen.

Im September 2003 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) bekräftigt, dass Bereitschaftsdienste von Ärzten in Krankenhäusern voll auf die Arbeitszeit anzurechnen sind. Das fordert Arbeitgeber, Dienstpläne zu entzerren und dafür bei Bedarf neues Personal einzustellen.

Doch gegen das entsprechend geänderte deutsche Arbeitszeitgesetz, das zum 1. Januar 2006 in Kraft treten soll, regt sich Widerstand. "Das Gesetz ist so nicht umsetzbar, weder die personellen noch die finanziellen Probleme sind in den Kliniken lösbar", sagt der Sprecher der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Holger Mages. Es fehlten 18.000 bis 27.000 Ärzte.

Die Pflegedirektorin eines Frankfurter Krankenhauses bekräftigt: "Es ist schwierig, die EU-Richtlinie in Dienst- und Personalpläne zu fassen." Zudem würden viele Mediziner gerne an der alten Regelung festhalten, schließlich sichere sie ihnen monatlich bis zu 1000 Euro brutto Zusatzverdienst.

Sollte das Gesetz zum 1. Januar kommen, drohten "erhebliche Probleme" bei den Bereitschaftsdiensten gerade in kleineren Abteilungen, sagt die Frankfurter Pflegedirektorin. DKG-Sprecher Mages sagt: "Wir können nur hoffen, dass die Krankenhäuser noch zwei weitere Jahre Zeit bekommen, alles andere ginge zu Lasten der Patienten."

"Keinen Millimeter bewegt"

Sollte es keinen Aufschub geben warnt die DKG: "Schlimmstenfalls müssen ganze Krankenhäuser den Betrieb einstellen." Nach Ansicht des Marburger Bundes hatten die Krankenhausbetreiber genug Zeit, um sich auf die neue Situation einzustellen. "Sie haben sich zurückgelehnt und sich keinen Millimeter bewegt", kritisiert der Sprecher der Klinikärzte-Gewerkschaft, Athanasios Drougias.

Schon 1993 habe Brüssel vorgegeben, dass Bereitschaftsdienst von Ärzten in EU-Staaten zur Arbeitszeit zählt. Doch auch nach dem zweiten EuGH- Urteil dazu zehn Jahre später habe es "in 95 Prozent der deutschen Krankenhäuser keine Verbesserung der Arbeitsbedingungen" gegeben.

Bei Asklepios, einem der größten Klinikunternehmen in Deutschland, ist lediglich zu erfahren, man habe keine einheitliche Linie zur Einführung der EU-Vorgaben, das werde "in den Häusern unterschiedlich gehandhabt".

Dagegen ist das Kieler Städtische Krankenhaus nach Darstellung des Chirurgen Norbert Jaeger ein Positivbeispiel. Seit Jaeger vor gut zwei Jahren durch seine Klage die EuGH-Entscheidung herbeigeführt hatte, wurde in Kiel neues Personal eingestellt und der Dienstplan entzerrt.

"Es gibt bei uns jetzt keine 20- oder 24- Stunden-Schichten mehr", sagt Jaeger. Inzwischen werde auch an Wochenenden operiert, weil das Personal flexibler einsetzbar sei.

In vielen anderen Kliniken werde die EU-Richtlinie jedoch blockiert, meint Jaeger. "So wie dort gearbeitet wird, wird wahnsinnig viel Geld rausgeschmissen, den Patienten geschadet, der ärztliche Beruf unattraktiv gemacht und das Ausland subventioniert, weil Ärzte abwandern", kritisiert der 46-Jährige.

"80 Stunden in der Woche sind noch immer die Regel, nicht die Ausnahme", sagt Drougias, dessen Verband nach seinen Angaben 90.000 der 146.000 angestellte Ärzte vertritt. "Die überwiegende Mehrheit der Krankenhausärzte leistet 30-Stunden-Dienste."

Nach Berechnungen des Marburger Bundes würden schon 6700 zusätzliche Ärzte und flexiblere Arbeitszeitmodelle reichen, um die Lage zu entspannen. "Die Regel Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit ist der Schlüssel für ausgeruhte Ärzte und mehr Patientensicherheit", betont Drougias.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: