Besatzer als Hassfiguren:"Irak den Irakern"

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Die Iraker wollen ein besseres Leben, wollen Demokratie, und nicht zuletzt wollen sie die Besatzungstruppen wieder aus dem Land haben. Das hat die erste Umfrage über die Stimmung im Zweistromland ergeben.

Von Peter Münch

Saddam Hussein hat es nicht gewusst, doch das war ihm egal. Die amerikanische Regierung glaubte es zu wissen, aber sie hat sich offenbar getäuscht. Irrtümer über Irrtümer, die sich blutig rächen.

Was die Iraker wirklich wollen, ist vielen ein Rätsel - vielleicht auch deshalb, weil sie seit Menschengedenken keiner mehr gefragt hat.

Nun allerdings liegt die erste repräsentative Befragung der Menschen vom kurdischen Norden bis hinunter in den schiitischen Süden vor.

Demokratie und ein besseres Leben

Das Ergebnis, kurz und im Überblick zunächst wenig überraschend: Die Iraker wollen ein besseres Leben, wollen Demokratie, und nicht zuletzt wollen sie die Besatzungstruppen wieder aus dem Land haben.

Als direkt umsetzbare Handlungsanleitung für den politischen Alltagsgebrauch mag auch die am Montag in Großbritannien vorgestellte Studie von Oxford Research International in Zusammenarbeit mit der Universität Oxford nicht taugen, zumal es den Iraker angesichts der ethnischen, religiösen und sozialen Zersplitterung der Gesellschaft nicht gibt.

Nur religiöse Führer glaubwürdig

Dennoch lassen sich aus der Befragung von 3244 ausgewählten Haushalten wichtige Schlüsse ziehen über Stimmungen und Trends in einer zerrissenen und von Misstrauen geprägten Gesellschaft.

Allein die religiösen Führer gelten einer Mehrheit von 70 Prozent noch als glaubwürdige Instanz. In die Besatzungstruppen sowie in die US-Zivilverwaltung setzen dagegen 79 beziehungsweise 73 Prozent keinerlei Vertrauen.

Auch die bestehenden irakischen Parteien liegen bei ihrem Marsch zur Macht mit 78 Prozent Ablehnung weit oben im Negativ-Spektrum.

Unter den internationalen Institutionen rangieren die Vereinten Nationen, deren Ruf durch die jahrelangen UN-Sanktionen im Irak ramponiert wurde, mit 35 Prozent Zustimmung noch am besten.

Politikverdrossenheit

Angesichts der alles überwältigenden Sorgen um die Sicherheit und das persönliche Auskommen bei einem Durchschnittsverdienst von monatlich etwa 100 Euro pro Haushalt zeigen die Iraker eine ausgeprägte Abneigung gegen die Politik insgesamt.

60 Prozent geben an, dass sie sich dafür überhaupt nicht interessieren. Klar ist jedoch, dass die Iraker von Irakern regiert werden wollen. 90 Prozent möchten eine Demokratie, doch das Bild davon ist diffus.

Denn deutliche Mehrheiten finden sich auch für einen starken Führer (71 Prozent) und das Modell einer Regierung aus Experten (70 Prozent) oder religiösen Führern (60 Prozent).

Als "bestes Ereignis" in ihrem persönlichen Leben der vergangenen zwölf Monate geben immerhin 42 Prozent den Sturz des Saddam-Regimes an, nur elf Prozent verweisen auf Familien-Ereignisse.

Befreier als Hassfiguren

Gleichzeitig jedoch nannten 35 Prozent den Krieg und die Niederlage als "schlimmste Erfahrung". Die Verbindung, dass ohne den Krieg das Regime nicht vertrieben worden wäre, wird offenbar nicht gezogen.

Die Befreier sind heute die herausragenden Hassfiguren.

Beim Blick in die Zukunft fällt trotz verbreiteter Angst vor Chaos und Bürgerkrieg auf, dass die meisten eine Besserung ihrer persönlichen Lebensumstände erwarten.

Einer aus dem Spektrum antwortete allerdings auf die Frage, was das Beste wäre, was ihm im nächsten Jahr widerfahren könnte: "Das Beste wäre es, für den Islam zu sterben."

© SZ vom 2.12.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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