Berlusconi:Verwirrung von Vicenza

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Peinlicher Auftritt: In einem verbalen Amoklauf greift Ministerpräsident Silvio Berlusconi die italienische Wirtschaftselite an - und erntet nur Kopfschütteln.

Ulrike Sauer

Den Albtraum des wirtschaftlichen Niedergangs Italiens beendet Silvio Berlusconi um drei Minuten nach eins. "Seid optimistisch, glaubt den Zeitungen nicht", rief der Regierungschef am Samstag Mittag 5000 Unternehmern in der Messehalle von Vicenza zu.

Silvio Berlusconi blamiert sich vor Wirtschaftsbossen. (Foto: Foto: AFP)

Dem Land gehe es gut, die Börse steige, die Immobilienwerte wüchsen. Sogar die Geburten habe man angekurbelt. "Die Presse erfindet einen Niedergang, den es nicht gibt, um der Linken an die Macht zu verhelfen", empörte er sich.

Autolobby beklagt Wettbewerbsnachteile

Was 23 Stunden zuvor begonnen hatte als ein ernsthafter Versuch der Industrielobby, auf ihrem Kongress drei Wochen vor den Parlamentswahlen die Politik in die Pflicht zu nehmen, endete kurz darauf im verbalen Amoklauf des Cavaliere gegen die Wirtschaftselite.

Karosseriebauer Andrea Pininfarina hatte zu Beginn der Veranstaltung vor dem Ausscheiden Italiens aus dem Kreis der G-8-Länder gewarnt. "Zum ersten Mal seit Kriegsende riskiert Italien, aus der Spitzengruppe der Industrienationen herauszufallen", stellte der Chef der Turiner Auto-Designschmiede besorgt fest.

Der Verlust der italienischen Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt und die anhaltende Stagnation trieben die Unternehmer auf ihrem zweitägigen Treffen in der Mittelstandsregion Venetien, einer Hochburg Berlusconis, um.

Berlusconi: linke Unternehmer "durchgedreht"

Kopfschütteln in der ersten Zuhörerreihe über die Auflistung der Regierungserfolge brachte Berlusconi aus der Fassung. Unternehmer, die seinem Herausforderer Romano Prodi die Stimme gäben, "sind durchgedreht oder haben viele Leichen im Keller und suchen darum bei der Linken Schutz vor der Justiz", schleuderte er der wirtschaftlichen Führungsklasse des Landes entgegen, die unter dem Podium Platz genommen hat.

Die Mienen der großen Bosse waren versteinert. Wirtschaftsminister Giulio Tremonti gab dem Moderator vergeblich Zeichen, Berlusconi zu stoppen. Luxusunternehmer Diego Della Valle wurde von BNL-Chef Luigi Abete davon abgehalten, auf die Provokation zu reagieren.

Ferrari-Präsident empört sich über Auftritt des Ministerpräsidenten

Pininfarina bedauerte eine auf die Strapazen des Wahlkampfs zurückzuführende "Verwirrung". Dem Fiat- und Ferrari-Präsidenten Luca di Montezemolo, der als Chef des Industrieverbandes Confindustria Gastgeber in Vicenza war, verbot es "der Respekt vor den Institutionen", die Entgleisung des Ministerpräsidenten zu kommentieren. Der Bruch zwischen Berlusconi und dem von der Regierung enttäuschten wirtschaftlichen Establishment ist irreversibel.

Die Unternehmer wollten die Wahlkandidaten nach einem rigiden Reglement befragen. Nachdem man dem ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Prodi, Anführer einer Zwölf-Parteien-Koalition, auf den Zahn gefühlt hatte, sagte Amtsinhaber Berlusconi seine Teilnahme wegen Ischiasbeschwerden ab und schickte den Wirtschaftsminister vor. Als die Anhörung Tremontis fast beendet war, platzte Berlusconi in die Halle und nahm die Bühne ein.

Italien ist seit 15 Jahren Wachstumsschlusslicht, und der Abstand zu den anderen Industrieländern vergrößert sich nun. "Italien ist der wahre kranke Mann der Welt", mahnte Sandro Trento, Chefökonom der Confindustria, in Vicenza. Industriellenchef Montezemolo forderte einen großen Plan zur Restrukturierung des Landes. Versprochene, aber nicht vollzogene Liberalisierungen müssten endlich die mächtigen Wachstumshemmnisse beseitigen. "Für ein geschlossenes Amt hat der Staat in der vergangenen Legislaturperiode vier neue eröffnet. So kann es nicht weitergehen", sagte er.

(SZ vom 20.03.2006)

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