Berliner Rede:Rau staucht Eliten zusammen

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In seiner letzten Berliner Rede hat der Bundespräsident in ungewohnt deutlichen Worten Politik und Wirtschaft kritisiert. Er kenne kein Land, in dem so viele Eliten "mit so großer Lust so schlecht, so negativ über das eigene Land sprechen".

In seiner letzten "Berliner Rede" mit dem Titel "Vertrauen in Deutschland - Eine Ermutigung" machte Rau Spitzenpolitiker und Wirtschaftsvertreter für die Vertrauenskrise in Deutschland verantwortlich. Gleichzeitig warb er für mehr Zuversicht: "Ohne Vertrauen werden wir unsere Probleme nicht lösen", sagte Rau in seinem Amtssitz im Schloss Bellevue in Berlin.

Rau machte vor allem die wirtschaftlichen und politischen Eliten für mangelndes Vertrauen und Verunsicherung verantwortlich. Das Land nähere sich einer kollektiven Depression.

Der Bundespräsident kritisierte "Egoismus, Gier und Anspruchsmentalität in Teilen der so genannten Eliten", die alle Maßstäbe verloren hätten. Allzu oft werde das Gemeinwohl vorgeschoben, wenn es nur um Gruppenegoismus gehe. Einige würden sich "ungeniert in die eigene Tasche wirtschaften", kritisierte das Staatsoberhaupt.

Viele würden mittlerweile so schlecht über Deutschland reden, dass er sich frage, ob die Deutschen sich "einer Art kollektiven Depression" näherten, sagte Rau. Der Mangel an Vertrauen und Verantwortungsbereitschaft sei der eigentliche Grund für die pessimistische Stimmung in Deutschland und die mangelnde Kraft zur Veränderung.

Nation braucht ein positives Selbstverständnis

Natürlich gebe es "haarsträubende Versagen und objektive Missstände". Als Beispiele nannte er die Pannen bei der LKW-Maut, das Gezerre um das Dosenpfand oder das Preissystem der Bahn.

Jedoch würden diese Beispiele nicht mehr als "behebbare Einzelfälle von Inkompetenz" gelten, sondern würden als etwas für Deutschland Typisches wahrgenommen. Eine Nation brauche jedoch ein "insgesamt positives Selbstverständnis" und "ein positives Verständnis" zu sich selbst.

Die Politik verspiele auch Vertrauen bei den Bürgern, wenn der Eindruck entstehe, es gehe nur um Macht und Durchsetzungsvermögen.

Als "besonders schlimmes Beispiel" nannte Rau explizit die Gespräche von Regierung und Opposition zum Zuwanderungsgesetz. Politik müsse aber in erster Linie ein Streit um Ziele und um die besten Lösungen sein, mahnte Rau an.

Es sei Ausdruck einer tiefen Vertrauenskrise, wenn Menschen weder der Regierung noch der Opposition glaubten. "Hier droht eine innere Auswanderung aus unserer Demokratie, die wir nicht tatenlos hinnehmen dürfen".

In seinen "Berliner Reden" hat Rau, der am 30. Juni aus dem Amt scheidet, jedes Jahr zu aktuellen Themen Stellung bezogen. Raus Vorgänger Roman Herzog hatte die Serie von Ansprachen 1997 begründet.

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