Benedikt XVI. in Israel:Papst enttäuscht viele Juden

Lesezeit: 3 min

"Nahezu steril", "emotionslos", "enttäuschend": Die Reaktionen in Israel auf den ersten Tag des Papstes im Heiligen Land sind verheerend.

Tel Aviv und Jerusalem

Papst Benedikt XVI. hat zum Auftakt seines Israel-Besuches gefordert, Judenhass zu bekämpfen. "Unglücklicherweise erhebt der Antisemitismus in vielen Teilen der Welt wieder sein hässliches Haupt", sagte er am Montag auf dem Flughafen Tel Aviv.

Papst Benedikt XVI. verurteilt den Judenhass - und enttäuscht doch viele Menschen in Israel. (Foto: Foto: dpa)

Am Abend gedachte er in einer ergreifenden Zeremonie in der Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem in Jerusalem der Opfer des Holocaust und sagte: "Mögen ihre Leiden niemals geleugnet, heruntergespielt oder vergessen werden."

"Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um den Antisemitismus überall zu bekämpfen", forderte der Papst bei seinem Empfang durch Staatspräsident Schimon Peres auf dem Flugfeld. Tragischerweise sei das jüdische Volk in der Vergangenheit zum Opfer von Ideologien geworden, die die jedermann zukommende Menschenwürde missachtet hätten.

"In Israel habe ich die Gelegenheit, der sechs Millionen Juden zu gedenken, die zum Opfer der Shoah wurden", sagte Benedikt, ohne den Nationalsozialismus oder das Dritte Reich wörtlich zu nennen. Er wolle beten, "dass die Menschheit nie mehr Zeuge eines so monströsen Verbrechens wird".

In Jad Vaschem sagte Benedikt dann vor Überlebenden des Holocausts sowie jüdischen und katholischen Geistlichen in der "Halle der Erinnerung", die katholische Kirche empfinde tiefes Mitgefühl für die Opfer. Zugleich stehe sie allen zur Seite, die heute wegen ihrer Rasse, Hautfarbe oder Religion verfolgt würden.

Als Bischof von Rom und Nachfolger des Apostels Petrus verpflichte er die katholische Kirche, unermüdlich daran zu arbeiten, "damit der Hass niemals wieder in den Menschen regiert".

Scharfe Kritik in Israel

In Israel löste die Rede des Papstes ungewöhnlich scharfe Reaktionen aus. Oberrabbiner Meir Lau sprach von einer "großen Enttäuschung". Er habe sich gewünscht, dass Benedikt XVI. persönliche Anteilnahme am Leid der im Dritten Reich ermordeten Juden zeige. Stattdessen habe der Papst "nur eine allgemein gehaltene Rede ohne Leidenschaft, Anteilnahme und Gefühl" gehalten. "Noch nicht einmal die Wörter 'sechs Millionen Juden' hat er in den Mund genommen", kritisierte Lau mit Blick auf die von den Nationalsozialisten ermordeten Juden. Außerdem vermisste Lau die Erwähnung der Deutschen als Tätervolk in Benedikts Rede. Fast die gesamte Familie Laus ist im Dritten Reich in Konzentrationslagern getötet worden.

Der Leiter der Gedenkstätte, Avner Schalev, äußerte Bedauern darüber, dass der Papst in seiner Jad-Vaschem-Rede nicht zum Thema des Antisemitismus Stellung bezogen habe. Kommentatoren sämtlicher drei Fernsehsender kritisierten den Auftritt des Papstes scharf als "nahezu steril" und "emotionslos". Der erste Tag des Papstes in Israel sei "enttäuschend" verlaufen.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland kritisierte den Auftritt des Papstes in Jerusalem. Generalsekretär Stephan Kramer sagte, er habe deutliche Worte zur traditionalistischen Piusbruderschaft vermisst. Es reiche nicht aus, dass sich der Papst nur allgemein gegen die Leugnung des Holocaust wende. Die Piusbruderschaft propagiere "offen ihren Antisemitismus". Wenn der Papst es selbst bei seinem Auftritt in Jad Vaschem nicht für notwendig erachte, seinem guten Willen Konsequenzen folgen zu lassen, "dann erhöht das seine Unglaubwürdigkeit". Es sei "außerordentlich bedauerlich", dass Benedikt nicht über die ihm gebauten Brücken gehen wolle.

In Tel Aviv hatte Benedikt versichert, er komme als christlicher Pilger ins Heilige Land, um für Frieden zu beten. Die israelischen und palästinensischen Politiker sollten alles dafür tun, ihren Konflikt zu beenden. "Die Augen der ganzen Welt blicken auf die Völker dieser Region." Es müsse eine Lösung gefunden werden, "die es beiden Völkern ermöglicht, in Frieden in ihrer jeweiligen Heimat innerhalb von sicheren und international anerkannten Grenzen zu leben". Damit sprach sich der Papst für die international geforderte Zwei-Staaten-Lösung aus, zu der sich die neue israelische Regierung unter Benjamin Netanjahu bislang nicht bekennt.

Als Mahnung an Netanjahu ist auch die Aufforderung des Papstes zu werten, alle Pilger müssten ohne Einschränkungen die heiligen Stätten besuchen können. Damit verlangte Benedikt indirekt mehr Bewegungsfreiheit für die Palästinenser im Westjordanland und im Gaza-Streifen. Der Papst betonte, die katholische Kirche und Israel seien durch gemeinsame Werte verbunden. "Dazu gehört vor allem der Einsatz dafür, der Religion ihren legitimen Platz im Leben der Gesellschaft zu sichern." Wenn die religiöse Seite des Menschen missachtet werde, seien die Menschenrechte gefährdet.

Peres lobte die Reise des Papstes als "Mission des Friedens". Sie solle die Saat der Toleranz streuen und den Fanatismus entwurzeln.

© SZ vom 12.05.2009/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: