Beck-Brief an die Genossen:"Die Partei braucht Augenmaß"

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In einem Brief an die Genossen äußert sich SPD-Chef Kurt Beck zur Caus Clement. sueddeutsche.de dokumentiert das Schreiben.

Liebe Genossinnen und Genossen,

SPD-Chef Kurt Beck wendet sich in einem Brief an die Genossen. Der Grund? Die Causa Beck (Foto: Foto: AP)

Max Weber hat einmal geschrieben, dass einen guten Politiker zwei Eigenschaften ausmachen: Leidenschaft und Augenmaß.

In der Debatte um das Parteiordnungsverfahren gegen Wolfgang Clement ist viel Leidenschaft zu spüren. Was die Partei jetzt braucht, ist Augenmaß! Deshalb haben Hubertus Heil und ich zur Besonnenheit gemahnt. Diese Erwartung ist an alle gerichtet.

Die SPD wird nur mit mehr Gemeinsamkeit erfolgreich sein. In unserer Volkspartei gibt es notwendigerweise ein breites Spektrum an Meinungen. Die SPD aber ist mehr als die Summe ihrer Flügel.

Die Publikation von Wolfgang Clement in der Welt am Sonntag vom 20. Januar 2008 und seine Aussage in der ARD-Sendung "hart aber fair" vom 23. Januar 2008 haben weite Teile unserer Mitglieder empört, da sie als Aufruf verstanden wurden, in Hessen die Spitzenkandidatin zur Landtagswahl nicht zu wählen. Dazu haben sechs Parteigliederungen ein Schiedsgerichtsverfahren beantragt. Dies hat unterschiedliche Voten erbracht.

Die Bundesschiedskommission wird dazu angerufen und endgültig entscheiden. Wir alle wissen, dass die Schiedskommissionen unabhängig von politischen Weisungen zu entscheiden haben. Dazu steht die Parteiführung ausdrücklich, wie Präsidium und Parteivorstand am 4.8.2008 deutlich gemacht haben. Im Schiedsgerichtsverfahren wird ein konkretes Verhalten bewertet. Es werden nicht Meinungen oder Überzeugungen zu politischen Fragen behandelt. Dies gilt unabhängig von Personen. Ich will mich im Einvernehmen mit den Führungsgremien der SPD ausdrücklich dafür aussprechen, dass in der Entscheidungsfindung auch die politischen Lebensleistungen betroffener Genossinnen oder Genossen zu betrachten sind.

Politische Streitkultur und die von der SPD mit erfochtene Meinungsfreiheit und die Solidarität, die unsere Partei prägen, dürfen nicht gegeneinander gesetzt werden.

Dies gilt in der zugespitzten Situation von Wahlkämpfen in besonderer Weise. Sich diesbezüglich verantwortlich zu verhalten, muss erwartet werden und ist von existenziellem Interesse für unsere Partei:

Wir alle kennen auch die Verdienste und das ausgeprägte Temperament von Wolfgang Clement. Alle Beteiligten im Schiedsverfahren sind aufgerufen, die Unabhängigkeit der Schiedskommission zu respektieren und das Gesamtinteresse der Sozialdemokratie zu berücksichtigen. Es gilt Brücken zu bauen und sie zu betreten.

Als Parteivorsitzender bin ich entschlossen, die Interessen der Gesamtpartei zu wahren. Aufgrund der öffentlichen Diskussion ist es geboten, dass der Parteivorstand von seinem Recht Gebrauch macht, dem Parteiordnungsverfahren gemäß § 9, Abs. 2 Schiedsordnung beizutreten. Das hat der Parteivorstand am 4.8.2008 einstimmig so beschlossen. Hubertus Heil, unser Generalsekretär, und ein von ihm beauftragter Rechtsvertreter werden uns im Verfahren vertreten.

In der Streitsache werde ich nicht öffentlich Stellung nehmen. Einiges will ich aber klarstellen:

1. Es geht nicht um den Kurs der SPD zur Agenda 2010. Dazu hat der Hamburger Parteitag abschließend Stellung bezogen. Unser Blick geht nach vorne.

2. In der Energiepolitik gilt ebenfalls die klare Beschlusslage des Parteitages in Hamburg. Das bedeutet, das von der Regierung Schröder durchgesetzte Atomausstiegsszenario wird von der SPD verteidigt und umgesetzt. Kohlekraftwerke sind nach den entsprechenden Beschlüssen mit Kraftwärmekopplung und der Einhaltung der Luftreinhaltungskriterien auf überschaubare Zeit notwendig. Die Schwerpunkte Energieeffizienz sowie der massive Ausbau Erneuerbarer Energien sind Teil unserer Politik. Wir wollen auch ohne Atomenergie die Emissionen von Treibhausgasen bis 2020 um 40 % mindern. Wir haben uns damit einer großen technischen und politischen Herausforderung gestellt: Sie birgt große wirtschaftliche Chancen. Wir können sie meistern.

3. Die SPD hat zu zentralen wirtschaftlichen und sozialen Problemen klar Position bezogen. Das gilt auch für den Schwerpunkt Bildungs- und Forschungspolitik. Ein Steuer- und Abgabenkonzept, wie wir es vorgelegt haben, sichert die Handlungsfähigkeit des Gemeinwesens. Wir stehen für die Konsolidierung der Staatsfinanzen. Im Gegensatz zu unseren politischen Gegnern wollen wir Bürgerinnen und Bürger beim Vorliegen entsprechender Spielräume dadurch entlasten, dass wir zusätzliche Steuermittel in die Sozialsysteme lenken und die Sozialversicherungsbeiträge senken. Damit werden die Beitragszahler ab dem ersten Euro entlastet. Damit sorgen wir für mehr Gerechtigkeit bei der Finanzierung des Sozialstaates, sichern Arbeitsplätze und geben die richtigen Antworten auf den veränderten Altersaufbau unserer Gesellschaft.

Mit dem Kampf um Mindestlöhne, dem Ringen um Mitbestimmung und faire Arbeitsbedingungen stellen wir sicher, dass für gute Arbeit auch anständige Löhne bezahlt werden.

4. In der internationalen und Europapolitik sind wir hervorragend aufgestellt. Sozialdemokratische Außenpolitik wird von Frank-Walter Steinmeier herausragend repräsentiert. Unsere Europapolitikerinnen und -politiker mit Martin Schulz an der Spitze leisten eine außerordentlich gute Arbeit.

5. Über die politische Position in Hessen - wie in anderen Ländern - wird dort entschieden. Dass wir uns untereinander beraten, ist eine Selbstverständlichkeit. Dabei bleibt es.

Liebe Genossinnen und Genossen,

es gibt also keinerlei Begründung dafür, der SPD einen Richtungsstreit aufzwingen zu wollen. Im Gegenteil, wir sind mit dem Grundsatzprogramm und den Beschlüssen des Hamburger Parteitages die inhaltlich am klarsten aufgestellte Partei in Deutschland.

Ich bitte und erwarte, dass wir alle dafür öffentlich eintreten, anstatt Diskussionen um Details zu Richtungsentscheidungen hoch zu reden. Wir alle haben die Aufgabe, unsere Genossinnen und Genossen im bayerischen Landtagswahlkampf zu unterstützen. Franz Maget und die Bayern-SPD haben die reale Chance, die absolute Mehrheit der CSU zu brechen.

Die letzten Monate waren schwierig. Die öffentliche Diskussion der letzten Tage um das Schiedsverfahren hat die Situation weiter erschwert. Trotzdem bin ich sicher, dass wir eine Chance haben, in die Offensive zu kommen.

Wer, wenn nicht wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, sind gefordert, offensiv und solidarisch für eine verantwortliche und zukunftsfähige Politik zu kämpfen. Unsere Vorschläge sind realistische, politische Antworten auf die Globalisierung. Nicht vor ungebremsten Marktkräften zu kapitulieren, sondern die Globalisierung im Sinne von wirtschaftlichem Erfolg und ökologischer Verantwortung sozial gerecht zu gestalten, ist unsere Aufgabe. Dazu ist nur die SPD in der Lage. Wir können das und wir wollen das! Dazu braucht es mehr Gemeinsamkeit in der SPD und die Entschlossenheit, sich mit dem politischen Gegner auseinander zu setzen. Lasst uns also für unsere Ziele kämpfen - solidarisch, leidenschaftlich und mit Augenmaß.

Mit freundlichen Grüßen Euer Kurt Beck

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