Bayern München:Kein Zehner, aber eine 93

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Beim Versuch, eine Ordnung für die Post-Ballack-Ära zu finden, präsentiert sich Roy Makaay den überraschten Bayern als Heißblüter.

Klaus Hoeltzenbein

Hatte er sich verzählt? Kopfrechnen schwach? Das 2:0 gegen Borussia Dortmund hatte Bastian Schweinsteiger soeben in jenem Stil erzielt, in dem er seit Monaten seine Tore gestaltet, nämlich per strammem Fernschuss vom linken Strafraumeck. Doch was tat er? Schweinsteiger reckte drei Finger in die Luft, und an der anderen Hand drückte er Daumen und Zeigefinger aneinander und bildete so eine Null. 3:0? 0:3? Herr Ober, im Vip-Raum in 30 Minuten bitte drei Weißbier, null Schweinsbraten?

Bastian Schweinsteiger beim Kopfrechnen. (Foto: Foto: AP)

Fußball ist ein kryptisches Spiel mit allerlei Scherzen und Gesten, die sich nur von Insidern entschlüsseln lassen. Zumal dann, wenn der Torschütze das Rätsel noch erschwert, indem er sein bayerisches Barock-Gesicht in eine Grimasse wirft, die nicht Freude, sondern Zorn ausdrückt. Jenes FC-Bayern-Bilderrätsel, das Schweinsteiger am Freitagabend im Stadion präsentierte, erzählte mit knappen Gesten eine lange Geschichte. Es war die Geschichte der Nach-WM, der peinigenden Saisonvorbereitung des deutschen Meisters, des 0:2 im Ligapokalfinale gegen Bremen und des 0:3 (!!!) vom Dienstag im Derby gegen den TSV 1860 München.

Was von all dem zu halten war? Nichts, nada, alles nur Fehlinterpretationen der Medien, nur Ergebnismüll aus dem Sommerloch - dies alles signalisierte Bastian Schweinsteiger, der seine Pantomime noch mit einer vulgären Geste abschloss. Wenig später übersetzte Roy Makaay die szenisch furchteinflößende Darbietung des jungen Kollegen in angemessene Worte: "Es war ein schönes Signal für die kommenden Spiele, aber vielleicht nicht so schön für die Konkurrenz, weil die gesehen hat, dass wir vom ersten Spiel an wieder da sind."

"Die Männer sind heiß"

In der Tat dürfte das 2:0 (1:0) ein kleiner Schock für alle gewesen sein, die darauf gehofft hatten, dass sich Geschichte wiederholt. Dass der Primus aus München einen Ballack-Abschied nicht verkraftet und die WM noch lähmend in den Beinen hat. Ähnlich wie 1974, als Paul Breitner nach dem WM-Gewinn zu Real Madrid ging und die Spielzeit für den FC Bayern mit einem 0:6 bei Kickers Offenbach begann. Die neue Saison war noch keine Minute alt, da war diese niedere Hoffnung im Grunde schon zerstoben - Makaay zeigte einen Pfostenschuss, der eminent wichtig war: "Die Leute haben gesehen: Die Männer sind heiß!"

Ein Temperaturanstieg, der viele erstaunte, gerade bei Makaay, der sich in der Vorsaison bisweilen als festgefrorener Kaltblüter präsentierte. Und dem die Bayern deshalb in der Sommerpause seinen niederländischen Landsmann Ruud van Nistelrooy vor die Nase setzen wollten, ehe sich dieser für Real Madrid entschied. "Makaay hat eines seiner besten Spiele für den FC Bayern gemacht", stellte Manager Uli Hoeneß fest, "das haben wir erhofft, aber so nicht erwartet."

Mit klarem, klugen Spiel ordnete Makaay die Offensive, erzielte das erste Saisontor per 16-Meter-Schuss ins Toreck und definierte später seine neue Aufgabe: "Michael ist weg, damit ist ein Referenzpunkt in unserem Spiel nicht mehr da. Von der Erfahrung, vom Alter her muss ich ein bisschen von dieser Verantwortung übernehmen. Davor laufe ich nicht weg." Dem FC Bayern muss es vorgekommen sein, als habe er eine Erscheinung.

Die unerwartete Auferstehung des Roy Makaay wurde begleitet von einer Neuordnung im Mittelfeld. Da die Münchner im Augenblick über keinen eindeutigen Spielmacher - einen klassischen Zehner oder eine 13 (das war Ballacks Rückennummer) - verfügen, hatte Trainer Felix Magath für den Freitag eine "93" konstruiert; die kreativen Aufgaben verteilten sich auf Hargreaves (Nummer 23), Schweinsteiger (31) und Ottl (39). Ob dies das Modell der Zukunft ist, wissen die Münchner selbst nicht, sie rücken zusammen, rücken zurecht, wobei es intern durchaus Widerstände zu überwinden gibt.

Rhetorik der Beruhigung

Magath beispielsweise erwartet, dass Englands Bester bei der WM, Owen Hargreaves, jetzt energisch in eine Gestalterrolle, also weiter nach vorne drängt. Der sagt zwar, "ich bin flexibel", möchte aber lieber weiter hinten die Aufräumarbeit vor der Abwehr verrichten und von dort seine dynamischen Vorstöße starten: "Ich bin 25, da ändert man sein Spiel nicht mehr so leicht."

Das Feld für all die Experimente, die jetzt folgen, wird von der Klubleitung mit einer Rhetorik der Beruhigung bereitet. "Wir haben die Mannschaft nicht attackiert nach dem 0:3 im Derby, wir haben gesagt, wir vertrauen ihr", erklärt Hoeneß, der neue Koordinaten für den Verein anstrebt: "Wir leben hier in einem Spektrum, in dem man eigentlich nicht leben kann: nur ganz unten oder ganz oben. Man muss auch mal wieder die Note drei eine Zeitlang haben. Dann könnten wir eine Mannschaft entwickeln. In diesem extremen Spektrum kann man keine Mannschaft entwickeln."

Ruhe im Fanvolk aber, das wissen die Bayern, gibt es nur gegen Resultate. Mit dem leidenschaftlich erstrittenen 2:0-Start haben sie sich sogar ein wenig Kredit verschafft, um die erste populäre Debatte auszuhalten: Passt Zehn-Millionen-Einkauf Lukas Podolski im Sturm zu Roy Makaay? Oder darf Deutschlands Knuddelkicker diesen zunächst nur von der Bank ablösen, wie am Freitag zwei Minuten vor dem Abpfiff?

"Wir müssen nicht immer den einen herausheben und den anderen niedermachen", kontert Hoeneß, "wir sollten darauf wert legen, dass wir ein besseres Kollektiv kriegen. Das wird die Zukunft des FC Bayern sein." Im Klimawandel der Post-Ballack-Ära tut sich also Überraschendes: Der freie Marktwirtschaftler Uli Hoeneß ruft für seine Mannschaft einen neuen Sozialismus aus.

© SZ vom 14.08.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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