Barroso:"Europa kann keine großen Ambitionen haben mit weniger Mitteln"

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Der künftige Präsident der EU-Kommission Jose Manuel Barroso hat die Forderung Deutschlands und anderer Nettozahler nach einer strikten Begrenzung der Brüsseler Ausgaben zurückgewiesen.

Von Christian Wernicke

"Europa kann keine großen Ambitionen haben mit weniger Mitteln", sagte der Portugiese im Gespräch mit fünf Zeitungen, darunter die Süddeutsche Zeitung.

Es sei unmöglich, ein Europa mit 25 Mitgliedstaaten "zu bauen mit dem selben Geld wie zu 15", erklärte Barroso. Der Portugiese will deshalb an dem Finanzplan der scheidenden Kommission unter Romano Prodi festhalten. Berlin hatte höhere Belastungen abgelehnt.

Barroso forderte insbesondere die Bundesregierung auf, ihre Position im Streit über die künftige Finanzierung der Europäischen Union zu überdenken. Deutschland sei für alle neuen EU-Staaten in Mittel- und Osteuropa "der erste Handelspartner" und werde von der jüngsten Erweiterung "enorm profitieren".

Es sei "die Aufgabe der Politiker, dies ihren Völkern zu erklären", fügte der 48-jährige Portugiese hinzu. Barroso glaubt, die Forderung der sechs Nettozahler (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Schweden und Österreich) nach einer strikten Begrenzung des Brüsseler Haushalts auf maximal ein Prozent des EU-Bruttonationaleinkommens (BNE) sei nur eine taktische Position: "Das ist nicht ernst." Einige der sechs Premiers hätten ihm signalisiert, dies diene "nur Verhandlungszwecken".

"Ehrlicher Makler"

Eindeutig bekannte sich Barroso zum Vorschlag der Prodi-Kommission, von 2007 bis 2013 die Zahlungen aus dem EU-Haushalt auf durchschnittlich 1,14 Prozent des BNE festzulegen: "Wir werden auf dieser Grundlage arbeiten." Nach Schätzungen von EU-Finanzexperten wären dies jährlich mindestens 16 Milliarden Euro mehr, als die Nettozahler Brüssel zubilligen wollen.

Dies würde allein für Berlin, das ein knappes Viertel der Nettobeiträge zahlt, eine Mehrbelastung von jährlich vier Milliarden Euro bedeuten. Dies hatte Berlin kategorisch abgelehnt. Hohe deutsche Diplomaten hatten kürzlich sogar verlangt, die Barroso-Kommission solle ein überarbeitetes Finanzpaket vorlegen.

In seinem ersten Interview nach seiner Wahl zum neuen Präsidenten der Brüsseler Behörde erklärte Barroso, er halte an dem Ziel fest, "Europa zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen". Allerdings räumte der designierte EU-Chef erstmals Zweifel ein, dass dies wie geplant bis zum Jahr 2010 gelingen werde: "Das Timing ist eine Frage." Dieses Zeitziel habe er bereits im Sommer 2000 als damaliger portugiesischer Oppositionsführer als "zu ehrgeizig" kritisiert. Dennoch sollten die EU-Staaten mit drastischen Reformen "alles tun, damit wir diesem Ziel so nahe wie möglich kommen".

Als grundsätzliche Aufgabe seiner fünfjährigen Amtszeit, die im November beginnt, bezeichnete es Barroso, die um zehn Staaten erweiterte EU zusammenzuhalten. Eine klare Absage erteilte er einem Europa, das nur von wenigen großen Mitgliedstaaten geführt werde: "Die großen Länder haben viel Einfluss, aber es darf keine Hierarchie zwischen den Nationen geben." Europa stehe "an einer Wegscheide: entweder wir schaffen einen großen Sprung nach vorn oder es droht uns der Verfall".

Seiner EU-Behörde wies der Portugiese dabei eine bescheidene Rolle zu: "Die Kommission ist ein Mittler, ein ehrlicher Makler." Sein Vorgänger Prodi hatte noch 1999 von einer "europäischen Regierung" gesprochen. Der Portugiese lehnte eine EU strikt ab, die in erster Linie auf eine lose Zusammenarbeit der 25 Regierungen baut: "Europa darf nicht zurückkehren zum Wiener Kongress."

Seine designierte Agrarkommissarin, die Dänin Mariann Fischer Boel, nahm Barroso gegen den Vorwurf in Schutz, sie sei aufgrund eines Interessenkonfliktes für das Amt untragbar: "Zu sagen, weil jemand eine Bäuerin ist, dürfe sie nicht Agrarkommissarin sein - das kann ich nicht akzeptieren." Fischer Boel besitzt einen Bauernhof, der seit Jahren von ihrem Mann bewirtschaftet wird und EU-Subventionen von bis zu 80.000 Euro jährlich aus Brüssel erhielt.

Barroso versprach, er wolle mit einem strengen Verhaltenskodex "für Transparenz sorgen". So könne "jedermann erkennen, ob da irgendwer einen besonderen Vorteil erhält".

© SZ vom 20.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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